Jodie Comer im Interview über die Arbeit an „28 Years Later“

Frau Comer, seit Ihrem großen Durchbruch mit der Serie „Killing Eve“ haben Sie unter anderem mit Ridley Scott, Shawn Levy, Jeff Nichols und nun bei „28 Years Later“ (jetzt im Kino) mit Danny Boyle gedreht. Suchen Sie sich Ihre Projekte vor allem nach renommierten Regisseuren aus?

So allgemein würde ich das nicht ausdrücken. Aber im Fall von „28 Years Later“ war tatsächlich Danny Boyle der Grund, diese Rolle anzunehmen. Wie wahrscheinlich viele andere bin auch ich ein riesiger Fan seiner Arbeit, und allein die Chance zu haben, ihn zu treffen und sich auszutauschen, war einmalig. Und die eigentliche Arbeit dann erst! Danny steckt alles um ihn herum mit seiner Energie und seinem Intellekt an, aber vor allem mit einem fast kindlichen Enthusiasmus, der wahnsinnig erfrischend ist.

Wenn es mal nicht die Person hinter der Kamera ist: Was gibt am Ende den Ausschlag dafür, dass Sie eine Rolle annehmen?

Ich weiß, dass die Sache mit dem Bauchgefühl abgedroschen klingt, aber tatsächlich habe ich immer den Eindruck, dass mein Körper darauf reagiert, wenn ein Projekt wirklich tief drinnen in mir etwas anspricht. Wenn ich ein Drehbuch lese, warte ich also immer darauf, dass ich etwas empfinde, was ich auch physisch spüre und was sich einfach nicht ignorieren lässt. Ich komme nicht aus einer Familie, in der irgendwer etwas mit Schauspielerei zu tun hatte, sondern habe damit begonnen, weil es meine Leidenschaft ist. Und dieses Brennen für den Beruf will ich aufrechterhalten, deswegen versuche ich, keine Jobs zu machen, die nicht mindestens eine Aufregung oder Begeisterung in mir auslösen.

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Ohne zu viel über den Plot zu verraten: „28 Years Later“ ist über weite Strecken eine Mutter-Sohn-Geschichte im Ausnahmezustand. Das Gleiche könnte man auch über Ihren Film „The End We Start From“ sagen, in dem Sie vor einem Jahr zu sehen waren, oder?

Interessanter Vergleich. Wobei es gehörige Unterschiede gibt zwischen den Filmen. In „The End We Start From“ ist der Sohn ein Baby, und das Ereignis im Zentrum der Geschichte ist ein Klimadesaster, während der Junge in „28 Weeks Later“ zwölf Jahre alt ist und es – wie in den vorangegangenen Filmen – um das Wutvirus geht, das in Großbritannien grassiert. Ohne Frage erzählen beide Filme letztlich von der menschlichen Natur und vom Überleben, und in beiden Rollen habe ich mich mehr als einmal bei dem Gedanken erwischt, wie ich selbst mich wohl in diesen Extremsituationen verhalten würde. Aber meine Figuren befanden sich letztlich doch in sehr unterschiedlichen Umständen, denn während die Frau in „The End We Start From“ ziemlich willensstark ist und dadurch ihre Situation ein Stück weit unter Kontrolle hat, ist Isla in „28 Weeks Later“ sehr krank und hilfsbedürftig.

Sie haben in einem Interview mal darüber gesprochen, dass sie sehr viel und anschaulich träumen. Sickern die Themen und Welten, mit denen Sie sich bei der Arbeit beschäftigten, öfter in Ihre Träume ein?

Ich erinnere mich nicht daran, dass ich je einen Traum gehabt hätte, in dem ich in meiner Rolle steckte. Aber ganz freimachen von der Arbeit kann ich mich nachts nicht. Vor wichtigen Szenen habe ich ziemlich oft Stressträume. Und wenn ich wie beim Dreh zu „28 Weeks Later“ den ganzen Tag vor sieben Stuntmenschen davongerannt bin, die in der Maske als mit dem Virus Infizierte zurechtgemacht wurden, dann kommt es durchaus auch vor, dass sich das in irgendeiner Form in meinen Träumen niederschlägt. Solche Horror- und Thriller-Elemente, also alles, was bei mir irgendwie Unbehagen oder Anspannung auslöst, greift mein Unterbewusstsein da immer als Erstes auf.

Jodie Comer bei der Premiere von „28 Years Later“ in London
Jodie Comer bei der Premiere von „28 Years Later“ in LondonEPA

Prinzipiell rühmen Sie sich aber eigentlich, bestens die Grenzen zwischen der Figur und Jodie Comer als Privatperson wahren zu können, oder?

Ich glaube, das kann ich tatsächlich ganz gut. Ich habe die Trennung zwischen diesen beiden Sphären immer als sehr gesund empfunden und früh gelernt. Wenn ich abends nach Hause komme, will ich die Arbeit draußen vor der Tür lassen. Vermutlich ist das für Theaterschauspielerinnen wie mich auch einfach eine Notwendigkeit. Wir spielen unsere Rollen auf der Bühne oft über so lange Zeiträume, dass wir uns gar nicht erlauben könnten, sie die ganze Zeit nicht abzulegen. Wobei ich ansonsten definitiv sagen würde, dass die Arbeit am Theater deutlich anstrengender ist als beim Film.

Ich kann natürlich nur für mich sprechen, aber ganz subjektiv betrachtet wird einfach Adrenalin auf einem ganz anderen Level ausgeschüttet, wenn man jeden Abend 90 Minuten oder länger live auf der Bühne steht. Ich schlafe dann kaum beziehungsweise werde ich zur Nachteule, wenn ich jeden Abend arbeite und tagsüber frei habe. Außerdem durchlebt man mit jeder Aufführung die komplette Geschichte, während man sich bei einem Filmdreh ja selten länger als zwei Minuten in der Welt der Figur befindet, bevor wieder jemand „Cut!“ ruft.

Was doch sicherlich auch nicht ohne ist, oder?

Ich will auch auf keinen Fall sagen, dass die eine Art der Schauspielerei schwieriger sei als die andere. Gerade das Kleinteilige beim Film bringt ganz eigene Herausforderungen mit sich. Ich mag beides auf seine Art und Weise sehr gerne und will weder auf das eine noch das andere verzichten. Gerade zum Beispiel habe ich einen „Robin Hood“-Film mit Hugh Jackman und Regisseur Michael Sarnoski gedreht, was eine in kreativer Hinsicht enorm erfüllende Erfahrung war. Aber körperlich anstrengender ist ein Theaterprojekt für mich auf jeden Fall. Und durch die wochenlangen Proben und die Chance, jeden Abend aufs Neue die Darbietung zu variieren, empfinde ich die Bühnenarbeit in der Regel doch als freier und meist transformativer.

Wie gut sind Sie eigentlich darin, egal ob beim Film oder am Theater, Angebote abzulehnen?

Sagen wir es mal so: Es schwingt tatsächlich oft eine Art Schuldgefühl mit, wenn ich ein Angebot nicht annehme. Immerhin ist es Arbeit – und dafür muss ich als Freiberuflerin doch dankbar sein. Doch zum Glück kann ich inzwischen auch recht resolut sein, was meinen Entscheidungsprozess angeht. Was sich nicht richtig anfühlt, mache ich nicht.

Gilt das nur für die Arbeit oder auch sonst in Ihrem Leben?

Was den Job angeht, fallen mir klare Entscheidungen leichter als im Privatleben. Da brauche ich oft sehr viel länger, bis ich wirklich weiß, was ich will, und zergrüble die Dinge auch gerne mal. Aber ich arbeite an mir und werde besser, halleluja!

Sie erwähnten eingangs, dass Sie auf keinen Fall die Leidenschaft für die Schauspielerei verlieren wollen, die Sie schon als Jugendliche für sich entdeckten. Finden Sie denn im Spielen heute das Gleiche, wofür Sie damals entbrannten?

Gute Frage. Die Freude, die ich daran habe, ist noch exakt die gleiche wie vor 20 Jahren. Aber meine Herangehensweise hat sich natürlich verändert. Heute weiß ich viel besser, was ich durch die Schauspielerei bewirken und verarbeiten kann. Als Zwölfjährige war ich sehr von meinen Gefühlen getrieben und fühlte mich ganz instinktiv zu möglichst dramatischen Geschichten hingezogen, ohne wirklich zu verstehen, warum. Heute begreife ich, worauf ich da anspringe und was es mit mir macht, wenn ich mich mit solchen Stoffen auseinandersetze. Als ich gerade besagten „Robin Hood“-Film gedreht habe, musste ich an meine kindlichen Anfänge denken, denn da drehten wir mit einer fantastischen jungen Schauspielerin, die ungefähr so alt war wie ich, als ich zum ersten Mal auf einer Bühne stand. Die Tiefe der Emotionen zu sehen, die sie mit ihrem Spiel greifbar machte, war erstaunlich, denn in dem Alter ist man eigentlich doch noch so unschuldig und hat so wenig erlebt. Aber genau wie sie machte auch ich das damals mit erstaunlichem Selbstvertrauen und viel Furchtlosigkeit wett.

Sind Sie nicht heute auch noch furchtlos?

Ich versuche, es zu sein. Wobei ich als Erwachsene eher nach dem Motto verfahre: Ich spüre die Furcht zwar, lasse mich von ihr aber nicht aufhalten. Weil ich weiß, wie sehr man an Dingen wachsen kann, die man sich zum allerersten Mal traut.

Jetzt haben wir die ganze Zeit über die Arbeit gesprochen. Was machen Sie denn, wenn ausnahmsweise mal kein Job ansteht? Wie sieht Ihre Freizeit aus?

Nicht sonderlich originell, fürchte ich. Wenn ich frei habe, mache ich am liebsten all die Dinge, zu denen ich keine Gelegenheit habe, wenn ich drehe. Ich gehe zu Konzerten und mit dem Hund spazieren. Und ich koche mein eigenes Essen! Endlich wieder in meinen eigenen vier Wänden zu sein, erdet mich immer auf ganz besondere Weise. Dann kaufe ich mir Blumen, treffe Freunde, all solche Dinge. Und wenn ich wirklich abschalten will, dann liege ich den ganzen Tag auf dem Sofa und gucke eine Folge „The Real Housewives of Beverly Hills“ nach der nächsten.