Jetzt ist der Rubel nicht mal mehr einen Cent wert – Wirtschaft

Vielleicht hat die russische Führung bereits Anfang 2019 den letzten Funken Wahrheit aus dem öffentlichen Leben verdrängt, als sie die Wechselkurs-Tafeln in den vielen Bankschaufenstern verbot. „Wechselkurs-Tafeln sind die letzten unabhängigen Massenmedien, die jeden Tag die Wahrheit sagen“, ließ der russische Autor Oleg Kosirev damals wissen. Wenn diese Wahrnehmung stimmt, geht vom Kurs der russischen Landeswährung Rubel inzwischen ein dröhnendes Schweigen aus.

Seit Anfang dieser Woche kracht der Rubel schließlich in die Tiefe, wie Kursportale im Netz weiterhin zeigen. War ein Rubel Anfang des Monats immerhin noch etwas mehr als einen Dollarcent wert, ist die Notierung vor allem seit Wochenbeginn deutlich abgerutscht – inzwischen unter die Marke von einem Cent. Umso drängender wird für viele Beobachter die Frage: Deutet der Kurskollaps des Rubels auf einen Zusammenbruch der russischen Kriegswirtschaft hin?

Mit klassischem Währungshandel hat der russische Devisenmarkt wohlgemerkt kaum noch etwas zu tun. Die Moskauer Börse, einst Schauplatz des tonangebenden Rubelhandels, unterliegt nun westlichen Sanktionen. Inzwischen stellt daher die russische Zentralbank täglich einen Devisenkurs fest, der sich an Transaktionen im Interbankenhandel orientiert.

Kaum zehn Banken weltweit stellen ihre Rubelkurse überhaupt öffentlich in Kurssysteme wie Bloomberg oder LSEG ein, der Rest lässt sich kaum nachvollziehen. „Das ist ein weitgehend intransparenter Handel“, sagt Osteuropa-Ökonom Alexander Libman von der Freien Universität Berlin.

Vielen russischen Großbanken und Regionalinstituten ist der Zugang zu Euro und US-Dollar aufgrund der Finanzsanktionen des Westens verwehrt, lediglich einige kleinere russische Banken sowie verbliebene internationale Institute im Land können überhaupt noch Rubel in Dollar oder Euro tauschen.

Der Leitzins der russischen Zentralbank liegt bei 21 Prozent

Dass der Rubelkurs binnen weniger Tage jetzt so deutlich abrutscht, hat vor allem mit den Finanzsanktionen des Westens zu tun. Vergangene Woche verhängten die USA Sanktionen gegen die Gazprombank, über die Russland einen wesentlichen Teil seines internationalen Gashandels abwickelte und damit US-Dollar ins Land brachte. Aufgrund der neuen Finanzsanktionen dürften vorerst weniger US-Dollar nach Russland strömen, weil sich viele Geschäftskunden neue Wege suchen müssen.

Parallel zum Verfall des Rubels sorgt Ökonomen jedoch ein ganz anderer Wertverfall: Seit Monaten schon zehren die steigenden Preise im Land bedrohlich an der Kaufkraft der Landeswährung. Im Oktober lag die Inflationsrate laut russischer Zentralbank bereits bei 8,5 Prozent, manche Ökonomen halten diesen offiziellen Wert sogar für deutlich untertrieben.

Inzwischen versucht sich die russische Zentralbank mit einem Leitzins von 21 Prozent gegen den Preistrend im eigenen Land zu stemmen, aber die Wirkung verpufft. „Obwohl Bankkredite nun teurer sind, haben viele russische Unternehmen trotzdem weiter Zugang zu Staatsgeld über öffentliche Aufträge und Subventionen“, sagt Russland-Ökonom Libman.

Während dieser staatlich finanzierte Rüstungsboom seit rund zwei Jahren überraschend hohe Wachstumsraten brachte, dürfte die Dynamik in den kommenden Jahren allerdings abflauen. Wächst die russische Wirtschaft in diesem Jahr voraussichtlich um 3,8 Prozent, sind für kommendes Jahr bloß 1,7 Prozent zu erwarten. Denn eine entscheidende Stellschraube im wirtschaftlichen Hochdruckkessel der russischen Kriegswirtschaft verändert sich gerade.

Weil viele Männer an der Front sind oder Russland längst verlassen haben, fehlen Arbeitskräfte allerorten. „Wenn Sie niemanden mehr an die Werkbank stellen können, treiben selbst mehr öffentliche Aufträge das Wachstum nicht“, sagt Russland-Ökonom Libman. Der Rubelverfall deutet also nicht auf einen Zusammenbruch der russischen Kriegswirtschaft hin, die aktuell komplett ausgelastet ist. Aber er weist auf ein anämisches Wachstum, wie Fachleute es nennen: Dollarknappheit und Sanktionen machen Technologieimporte schwierig, der Fachkräftemangel verstärkt die Blutleere der Wirtschaft. Erhöht der Kreml mit Staatsaufträgen den Druck, steigt allenfalls die Inflation.