Jetzt geht es um viel Geld

Im sizilianischen Fischerstädtchen Porticello können sie sich gar nicht schnell genug von der Luxusyacht Bayesian trennen. Am Sonntagnachmittag beobachteten Bewohner und Urlauber ohne Wehmut, wie sich ein Kranschiff mit seiner grausigen Last scheinbar im Zeitlupentempo zur Küstenstadt Termini Imerese aufmachte. Es trug den am Vortag geborgenen und an sechzehn Stahlseilen aufgehängten Rumpf der Unglücksyacht zum nächsten größeren Hafen. „Je früher dieser Albtraum ein Ende hat, desto besser“, sagt die Besitzerin einer Ferienpension. „Wer wollte denn noch im Meer baden, solange das Schiff auf Grund lag?“

Jetzt könne man dort auch endlich wieder fischen, meint ein Zulieferer der Restaurants an der Uferpromenade. Seit rund zehn Monaten lag das tragisch verunglückte Schiff knapp 50 Meter tief auf dem Meeresgrund. In Termini Imerese beginnen nun detaillierte Untersuchungen der Staatsanwälte und der Experten im Auftrag der Versicherungsgesellschaften. Neben der menschlichen Tragödie hängt an der Unfallursache viel Geld. Nach groben Branchenschätzungen müssen die Versicherer mindestens 150 Millionen Dollar aufbringen.

Allein der wirtschaftliche Hintergrund der Todesopfer dürfte dazu führen, dass in langwierigen Prozessen in Italien und Großbritannien kaum ein Detail unbeachtet bleibt, sofern es sich noch rekonstruieren lässt. Zu den Opfern gehörten der milliardenschwere Unternehmer Mike Lynch, der kurz vor seinem Tod einen langwierigen Rechtsstreit gegen Hewlett Packard gewonnen hatte, außerdem der Präsident von Morgan Stanley International und Verwaltungsratsvorsitzender des Versicherers Hiscox, Jonathan Bloomer, sowie der Anwalt Chris Morvillo der internationalen Kanzlei Clifford Chance. Insgesamt kamen sechs von zwölf Passagieren sowie ein Besatzungsmitglied der zehnköpfigen Crew ums Leben.

56 Meter lange Rumpf wohl weitgehend unbeschädigt

Die Versicherer von Luxusyachten haben in den vergangenen Jahren ihre Beiträge wegen der vermehrt auftretenden Hurrikane stark angehoben. Der Untergang der Bayesian sorgt für weitere Verunsicherung. Laut den ersten Beobachtungen nach der Bergung ist der 56 Meter lange Rumpf weitgehend unbeschädigt. Türen und Luken sollen auch auf der Steuerbordseite verschlossen gewesen sein. Sie konnte bisher nicht begutachtet werden, weil das Schiff auf dieser Seite auf Grund lag.

Der Hersteller The Italian Sea Group, die Muttergesellschaft der Bayesian-Werft Perini Navi, hatte den Verdacht geäußert, dass die Besatzung nicht alle Öffnungen geschlossen habe, sodass eindringendes Wasser zum Untergang der Bayesian beitrug. Die britische Unfallbehörde Marine Accident Investigation Branch (MAIB) wies diese Vermutung in einem Zwischenbericht zurück. Dabei stützte sie sich weitgehend auf die Aussagen der Crew, von der der Kapitän und zwei weitere Mitglieder unter juristischem Druck stehen. Die italienische Staatsanwaltschaft ermittelt gegen sie unter dem Verdacht fahrlässiger Tötung und verschiedener Pflichtverletzungen.

Der Rumpf der Superjacht „Bayesian“, die am 19. August 2024 in der Nähe von Palermo, Sizilien, gesunken ist, wird während der Bergungsarbeiten von Kränen angehoben.
Der Rumpf der Superjacht „Bayesian“, die am 19. August 2024 in der Nähe von Palermo, Sizilien, gesunken ist, wird während der Bergungsarbeiten von Kränen angehoben.Christian Schubert

MAIB verwies dagegen auf extrem schwierige Wetterumstände. So habe ein heftiger Sturm in kürzester Zeit auf kleiner Fläche – ähnlich einem Tornado – das Boot in wenigen Minuten zum Kentern gebracht. Die Besatzung hatte kaum Zeit zu reagieren, hieß es. Allerdings kritisierte MAIB auch, dass die Bayesian schon bei Winden von rund 63 Knoten so stark zur Seite gedrückt werden konnte, dass sie sich nicht wieder aufrichtete. Denn selbst bei eingeholten Segeln boten der Mast, der Baum, die Takelage und das Oberwerk viel Angriffsfläche für den Wind. Dass die Bayesian schon bei einem Kränkungswinkel von weniger als 71 Grad aus dem Gleichgewicht kommen konnte, sei eine Information, die nirgendwo festgehalten wurde und daher weder der Besatzung noch der Eigentümerin – formal die überlebende Ehefrau von Mike Lynch – bekannt war, wie MAIB bemängelte.

Wenig unabhängige Begutachtungen bei Luxusyachten

In der Welt der Luxusyachten gibt es vergleichsweise wenige Begutachtungen durch unabhängige Behörden; viel hängt an der Selbstkontrolle der Hersteller, die Gutachter beauftragen und diese auch bezahlen, berichtete ein britischer Experte in Porticello, der ungenannt bleiben wollte. Interessenkonflikte zulasten der Sicherheit sind nicht ausgeschlossen. Vom gleichen Yachttyp wurden rund ein Dutzend Versionen gebaut, doch die anderen alle mit zwei Masten. Bei der Bayesian dagegen traf die gesamte Windkraft auf den einzigen, 72 Meter hohen Mast, der einer der höchsten der Welt war. Die Yacht wurde 2008 ausgeliefert und in den folgenden Jahren zweimal umgebaut.

Unter den wichtigsten Versicherungsgesellschaften befinden sich nach Angaben der Nachrichtenagentur Reuters die Anbieter OMAC aus Monaco sowie British Marine und ein Konsortium der Unternehmen Travelers Companies, Navium Marine und Convex. Die Yacht soll in der Anschaffung 40 bis 50 Millionen Dollar gekostet haben. Die schwierige Bergung schlägt Schätzungen zufolge mit Kosten von bis zu 30 Millionen Dollar zu Buche.

Die britische Spezialfirma TMC Marine, die zur Zertifizierungsgesellschaft Bureau Veritas gehört, hat sich dem Projekt im Auftrag der Versicherungen zu Beginn des Jahres angenommen und stieß bald auf Schwierigkeiten. Ein niederländischer Taucher starb Anfang Mai, als er an der Abtrennung des Baumes arbeitete und es dabei wohl zu einer Explosion kam. Danach wurden keine Taucher mehr eingesetzt, sondern Unterwasserroboter. Die eigentlichen Bergungsarbeiten erledigen die niederländischen Spezialanbieter Hebo Maritiemservice und Smit Salvage.

Eine schwimmende Plattform mit einem 83 Meter hohen Kran, der 2200 Tonnen Gewicht tragen kann, hat die Yacht am Samstag aus der Tiefe gezogen. Ein zweiter fast so großer Kran diente als Unterstützung. Der Mast war unter Wasser abgetrennt worden; er soll später heraufgeholt werden. Um den weiträumig abgesperrten Unfallort haben die Unternehmen eine Schutzvorrichtung ins Meer gezogen, die eine Ölkatastrophe vermeiden sollte. In dem Rumpf befinden sich noch 18.000 Liter Treibstoff sowie mehr als 1000 Liter Motoröl. „Bisher ist nichts ausgetreten“, berichtete ein Sprecher der italienischen Küstenwache. Die Leerung der Tanks soll in Termini Imerese erfolgen.

Um die dramatischen Minuten vor dem Sinken ranken sich viele Vermutungen und Spekulationen. Die Segelbranche erwartet, dass Lehren aus den Ursachen gezogen werden, wenn sie denn eruiert werden können. Der MAIB-Bericht brachte zutage, dass nur ein Besatzungsmitglied ohne Spezialqualifikation als Ankerwache fungierte, während der Sturm heraufzog. Er weckte den Kapitän erst wenige Minuten vor dem Untergang, nachdem sich der Anker gelöst hatte. All das ist auf Luxusyachten trotz der Dimensionen einer Bayesian nicht illegal. So war keine Zeit mehr, die Yacht mit dem Bug in den Wind zu manövrieren, wie es dem kaum entfernten Schiff Sir Baden Powell gelang. Der Sturm schlug dann seitlich auf die Bayesian auf und brachte sie rasch zum Kentern. Das Schwert war dabei nicht komplett ausgefahren, was ein anderer Kritikpunkt an der Crew war.