Jérôme Boateng: Über Vetternwirtschaft beim FC Bayern

In unserer Kolumne „Grünfläche“ schreiben abwechselnd Oliver Fritsch, Christof Siemes, Stephan Reich, Christian Spiller und als Einwechselspielerin Laura Jung über die Fußballwelt und die Welt des Fußballs. Dieser Artikel ist Teil von ZEIT am Wochenende, Ausgabe 42/2025.

Vor ziemlich genau einem Jahr hat der FC Bayern die Allianz Arena orange anstrahlen lassen. Man wollte damit die Initiative Zonta says No unterstützen, die sich gegen Diskriminierung von und Gewalt gegen Frauen und Mädchen engagiert. Herbert Hainer, Präsident des FC Bayern, sagte, das sei ein „Appell an alle, beim Thema häusliche Gewalt nicht wegzuschauen, um Betroffene zu unterstützen und zu schützen“, und man wolle dabei helfen, „ein noch größeres Bewusstsein zu schaffen“.

Und jetzt durfte Jérôme Boateng in der Sport Bild verkünden, dass er für eine Trainerhospitanz zurück zum Verein kommt. Ein Mann, gegen den wegen vorsätzlicher Körperverletzung an seiner Expartnerin Kasia Lenhardt ermittelt wurde – diese Vorwürfe bestritt er stets – und der wegen vorsätzlicher Körperverletzung einer anderen Expartnerin gerichtlich verwarnt wurde. 

Der Widerspruch ist so offensichtlich, man kann sich nicht vorstellen, dass er den Verantwortlichen beim FC Bayern nicht aufgefallen ist. Da stelle ich mir vor allem eine Frage: Was haben sie gemacht, um diesen Widerspruch auszuhalten? 

Ich frage aus persönlichem Interesse, weil mich die Frage regelmäßig beschäftigt. Ich schaue gern Fußball und noch lieber höre ich Rap. Oft aber mit schlechtem Gewissen. Wie kann ich eigentlich Männer bewundern, die Frauen fast nie bewundern, oft genug nicht mal respektieren, teilweise sogar ihre Karriere darauf aufgebaut haben, Frauen explizit zu missachten? Wie geht das, etwas zu unterstützen, was den eigenen Werten zuwiderläuft? 

Bevor sich jetzt alle Boateng-Fans aufregen: Ja, er gilt juristisch nicht als vorbestraft. Das ist kein vernachlässigbares Detail. Genauso wenig wie die Tatsache, dass er im Fall Kasia Lenhardt nicht einmal angeklagt wurde. Das Ermittlungsverfahren wurde eingestellt. Und zwar auch deshalb, weil Lenhardt nicht mehr aussagen konnte und eine Verurteilung deshalb unwahrscheinlich schien. Sie hatte sich das Leben genommen, kurz nachdem Boateng in einem Bild-Interview heftige Vorwürfe gegen sie erhoben hatte: Sie habe gedroht, ihn zu „zerstören“, indem sie ihn beschuldigen würde, „sie geschlagen zu haben“. Er warf ihr außerdem gefälschte Instagram-Profile, Lügen und massive Alkoholprobleme vor.

Das zweite Verfahren aber, in dem es um Gewalt gegen Boatengs vorherige Partnerin ging, endete mit einer Verwarnung mit Strafvorbehalt: Boateng erhielt eine Geldstrafe von 200.000 Euro unter Vorbehalt: Heißt, er muss sie nur zahlen, wenn er sich in den zwei Jahren nach dem Urteil etwas zuschulden kommen lässt. Heißt aber vor allem auch: Die Schuld des Angeklagten wurde festgestellt. Die Richterin bemerkte darüber hinaus, vom Vorwurf des „notorischen Frauenschlägers“ sei nichts übrig geblieben. 

Jeder soll gern individuell entscheiden, wie er zu Boateng steht und ob man mit ihm auf der Wiesn feiern möchte. Auch wenn es mir leichter fallen würde, diesen Satz zu schreiben, wenn er irgendeine Form von glaubhafter Reue gezeigt hätte. Ich verlange auch nicht, dass man Boateng bis in alle Ewigkeit ächtet. Ich finde aber, dass man sich als Verein nicht der moralischen Verantwortung entziehen darf, die man selbst beschwört. Zum Beispiel, indem man Boateng die Möglichkeit gibt, beim FC Bayern Schritte in Richtung Trainerkarriere zu unternehmen.

Ein Trainer ist ein Vorbild, mindestens für seine Mannschaft und im Profifußball außerdem für ein nicht gerade kleines Publikum. Er trainiert junge Erwachsene in einer entscheidenden Phase ihres Lebens. Noch dazu in einer, in der sie weitestgehend von der Außenwelt isoliert leben. Die Werte, die er vertritt und vorlebt, prägen junge Spieler und Zuschauer. Und zwar mehr als eine orangefarbene Allianz Arena. 

Genau deshalb funktioniert im Fall Boateng das viel gebrauchte Kunst-und-Künstler-Trennen nicht. Weil die Kunst, oder in diesem Fall: die angestrebte Arbeit, unmittelbar mit dem verbunden ist, was der Künstler ist. Ich würde jederzeit Kanye West hören (den frühen jedenfalls) und das sogar empfehlen (My Beautiful Dark Twisted Fantasy ist ein Meisterwerk). Als Lehrer, Politiker oder eben Trainer aber würde ich ihn nirgendwo sehen wollen, geschweige denn einstellen. Und ich finde es auch richtig, dass sich viele seiner alten Weggefährten von ihm abgewandt haben und keine Musik mehr mit ihm machen wollen.  

Vincent Kompany würde das vermutlich anders sehen. Jedenfalls soll der Chefcoach der Bayern die Hospitanz von Boateng ausdrücklich ermöglicht haben. Die beiden haben früher sowohl beim HSV als auch bei Manchester City zusammen gespielt. Vetternwirtschaft, würden das manche nennen. Beim FC Bayern sagt man: Mia san mia. Eine Familie eben. Und Familie geht dem FC Bayern über alles. Egal, in welcher Farbe die Allianz Arena angestrahlt wird.