Jeff Bezos treibt „Washington Post“ in die Existenzkrise

Geht die „Washington Post“ in die Knie? Das Blatt hat seit Monaten mit schlechten Nachrichten zu kämpfen: Miserable Geschäftszahlen, ein skandalumwehter und unbeliebter Vorstandschef Will Lewis, wütende Massenkündigungen von Abonnenten vor der Präsidentschaftswahl, und jetzt wandern zahlreiche prominente Journalisten aus Ärger über redaktionelle Eingriffe des „Post“-Eigentümers Jeff Bezos zu Trumps Amtsantritt ab. Hinzu kommt der am 13. Januar beginnende Prozess von Prinz Harry gegen die britischen Blätter Rupert Murdochs. Es ist einer der größten Medienprozesse der vergangenen Jahre um den Abhörskandal von 2011, in dem Lewis, der damals von Murdoch mit der Unterstützung der Polizeiarbeit zur Aufklärung beauftragt worden war, Tatsachenverschleierung vorgeworfen wird.

Jeff Bezos, wie er Donald Trump huldigt

Zuletzt löste die Kündigung der preisgekrönten Karikaturistin Ann Telnaes, seit 2008 bei der „Washington Post“, ein Beben in der amerikanischen Medienlandschaft aus. Bezos hatte ­offenbar eine Zeichnung abgelehnt, die ihn mit anderen mächtigen Medienfiguren – darunter Mark Zuckerberg, der „L. A. Times“-Besitzer Patrick Soon-Shiong (der ebenfalls eine Harris-Empfehlung seiner Redaktion unterbunden hatte) und Micky Maus als Maskottchen des Disney-Konzerns – vor einer Trump-Statue kniend und ihm Geldsäcke darreichend zeigt. Es habe in ihrer Karriere des Öfteren redaktionelle Kritik an womöglich unklaren visuellen Metaphern gegeben, schrieb Telnaes zu ihrer Entscheidung, das Blatt zu verlassen, aber nie am Standpunkt des Kommentars. Erstmals habe man ihr ihre „wichtige Aufgabe“ versagt, mächtige Menschen und Institutionen zur Verantwortung zu ziehen. „Dies ist ein Paradigmenwechsel“, so Telnaes über eine Medienlandschaft, in der Selbstkritik durchaus an der Tagesordnung ist, „und gefährlich für eine freie Presse.“

Telnaes’ Kollege Matt Wuerker, der für „Politico“ politische Karikaturen zeichnet, bezeichnete die Ablehnung von Telnaes’ Karikatur als „rückgratlos“ und sagte, legendäre Mitarbeiter der „Post“ wie der Karikaturist Herbert Block und der Chefredakteur des Blattes zwischen 1965 und 1991, Ben Bradlee, müssten sich „schreiend und strampelnd im Grab umdrehen“.

Das sollte der Eigentümer der Zeitung nicht zu sehen  bekommen: Ann Telnaes zeichnete Jeff Bezos (links) im  Großspenderkreis vor einem Trump-Denkmal.
Das sollte der Eigentümer der Zeitung nicht zu sehen bekommen: Ann Telnaes zeichnete Jeff Bezos (links) im Großspenderkreis vor einem Trump-Denkmal.Ann Telnaes

All dies markiert die Krise der 1877 gegründeten Zeitung, die in den Siebzigerjahren mit den Reportagen von Carl Bernstein und Bob Woodward über den Watergate-Skandal zu einer Institution des US-Journalismus wurde. 2013 kaufte Amazon-Gründer Jeff Bezos das Blatt, das zum Amtsantritt Donald Trumps 2017 den melodramatischen Slogan „Democracy Dies in Darkness“ über den Titel setzte. Die „Washington Post“ war während Trumps erster Amtszeit eine der kritischsten Stimmen in der Presselandschaft und konnte zahlreiche Abonnenten hinzugewinnen. Aber der sogenannte „Trump-Bump“ hielt nicht an; 2023 machte der Verlag 77 Millionen Dollar Verlust, die Zeitung verlor gegenüber 2020 fünfzig Prozent der Leserschaft.

Will Lewis, einstiger Chefredakteur des Londoner „Telegraph“, soll seit Anfang 2024 die Wende herbeiführen, die „Washington Post“ umbauen und ihr neuen Auftrieb verschaffen. Aber die berufliche Vergangenheit des Medienmanagers stieß vielen Mitarbeitern der „Post“ sauer auf – Lewis, so fürchtete man, könnte als Veteran der britischen Presse die üblichen rabiateren Methoden mit in die „WaPo“-Redaktion bringen.

Die Chefredakteurin nahm ihren Hut

Vor allem seine undurchsichtige Rolle als Hauptgeschäftsführer des englischen Murdoch-Zeitungsverlags News International bei der „Bereinigung“ des Abhörskandals von 2011 beunruhigt die Redaktion. Im Mai 2024 geriet Lewis mit der Chefredakteurin Sally Buzbee aneinander, als er einen Artikel über eine richterliche Entscheidung im Rahmen jenes Skandals, in der es auch um Lewis’ Rolle ging, für „nicht berichtenswert“ befand. Sie bestand auf der Veröffentlichung, er warf ihr „schlechtes Urteilsvermögen“ vor, verhinderte die Geschichte aber nicht. Im Juni nahm Buzbee, die ihrerseits keinen großen Rückhalt in der Redaktion hatte, ihren Hut, nachdem Lewis sie an die Spitze einer neuen Lifestyle-Redaktion versetzen wollte.

Im Oktober geriet, nur wenige Tage vor der Präsidentschaftswahl, die WaPo erneut in die Schlagzeilen, als ihr Eigner Jeff Bezos die Veröffentlichung einer bereits verfassten Empfehlung des Blattes für Kamala Harris kippte, was weithin als Kotau des Mannes gewertet wurde, der mit Amazon und seiner Raumfahrtfirma Blue Origin milliardenschwere Verträge mit der amerikanischen Regierung hat (am Tag der Nachricht über die gekippte Empfehlung traf sich Trump mit Blue-Origin-Managern).

Die Negativschlagzeilen der „Washington Post“ in eigener Sache reißen nicht ab.
Die Negativschlagzeilen der „Washington Post“ in eigener Sache reißen nicht ab.AFP

Es folgte der Exodus einer Viertelmillion verärgerter Abonnenten, der Herausgeber Robert Kagan kündigte, und drei Mitglieder des zehnköpfigen Vorstands der Meinungsredaktion traten zurück. „Wir blicken der sehr realen Bedrohung einer Autokratie mit der Kandidatur von Donald Trump entgegen“, schrieb einer von ihnen, der Pulitzer-Preisträger David Hoffman. „Ich finde es unhaltbar und skrupellos, dass wir in diesem gefährlichen Moment unsere Stimme verloren haben.“ Kagan befand, Bezos habe seine Aufgabe als Zeitungseigentümer verraten, um sich vor Trumps Vergeltung gegen seine Kritiker zu schützen – „ein übler Vorbote dessen, was auf uns zukommt, wenn Trump gewinnt“.

Seither kehrten weitere Journalisten der „Washington Post“ den Rücken, darunter die langjährige geschäftsführende Redakteurin Matea Gold und der Reporter im Weißen Haus Tyler Pager. Beide gingen zur „New York Times“. Der stellvertretende Meinungschef der „Post“, Charles Lane, und die Politik-Korrespondenten Ashley Parker und Michael Scherer gingen ebenfalls.

Wapo-Vorstand Lewis, dessen redaktionsferner Führungsstil kritisiert wird und der nicht erkennen lässt, wohin er die Zeitung führen will, steht nun angesichts des Zivilprozesses, den Prinz Harry und der frühere Labour-Politiker Tom Watson gegen die illegalen Abhöraktionen der Murdoch-Journalisten von 2005 bis 2011 anstrengen, erneut im Rampenlicht. Lewis wird beschuldigt, in seiner Funktion als Murdochs vermeintlicher Aufklärungshelfer die Polizei in die Irre geführt zu haben, indem er unter Verweis auf ein angebliches „Sicherheitsleck“ anordnete, Millionen von E-Mails zu vernichten, die zwischen 2008 und 2010 im Konzern verschickt worden waren. Die Vorwürfe gegen Lewis würfen unabhängig vom Prozessausgang weitere Fragen auf, sagte der britische Medienanwalt Mark Stephens dem Medienmagazin „Puck“. Mitten in ihrer größten Krise muss sich die „Washington Post“ auf weitere Negativschlagzeilen gefasst machen.