
Es gab Zeiten, in denen die Schrein-Schreiner die Superhelden des japanischen Arbeitslebens waren. Noch in der sogenannten Edo-Zeit von 1603 bis 1868 rankten sich Legenden um die Könner des Holz verarbeitenden Gewerbes, die die Behausungen der Shinto-Götter zimmerten und mit prunkvollen Schnitzereien verzierten. Auch die berühmten Meister aus der Stadt Hida hatten wohl kein Nachwuchsproblem, als sie vor 1300 Jahren ihre raffinierten, nagellosen Holzstrukturen in die Landschaften setzten. Schrein-Schreiner war damals ein Beruf, der junge Leute mit gesellschaftlichem Prestige und ordentlicher Bezahlung lockte.
Heute belastet die Branche das irdische Problem des demografischen Wandels. Erst diese Woche meldete das Innenministerium in Tokio, dass Japans Bevölkerung auch 2024 wieder geschrumpft ist, diesmal um 0,44 Prozent auf 123,8 Millionen Menschen. Die Jugend im Inselstaat schwindet. Der Arbeitsmarkt bekommt es zu spüren – und im Zeitalter der Betonarchitektur erst recht das Holzbauhandwerk. Mit Folgen: Japans Schreinermangel lässt die Immobilienpreise steigen, weil den Baufirmen Leute fehlen, die Dachstühle und Holzfundamente fertigen. Und das nationale Kulturerbe gerät in Gefahr, weil es ja auch Fachkräfte braucht, um historische Tempel und Schreine zu reparieren.
Nach Daten der Nationalregierung gab es in Japan 1980 insgesamt 930 000 Zimmerleute, 2020 waren es nur noch 300 000. Wenn der Trend anhält, dürften es in zehn Jahren 150 000 sein. Experten, die Schreine bauen und renovieren können, gibt es keine 1000 mehr. Alles nur wegen Japans schwacher Geburtenrate?
Die klassische Schreinerlehre dauert zehn Jahre
An der Jugend von heute liege es schon auch, findet der „Verband der Schrein- und Tempel-Schreiner-Schule“, der 2016 gegründet wurde, als die Krise auch schon da war. „Junge Menschen neigen in letzter Zeit dazu, ein hartes Training im alten Stil zu meiden“, schreibt der Verband auf seiner Website. Zehn Jahre dauert die klassische japanische Schreinerlehre nämlich. Lehrlinge müssen während dieser Zeit im Haus ihres Schreinermeisters leben und haben kaum Privatleben. Der Verband bietet eine moderne Version der Ausbildung an, die nur drei Jahre dauert und mehr Freiheit bietet.
Und die allgemeine Krise des japanischen Schreinerhandwerks hat mit dem geizigen Immobilienmarkt zu tun. Bauunternehmen glaubten zu lange, sich um den Berufsstand nicht kümmern zu müssen. Um Kosten zu sparen, stellten sie keine eigenen Zimmerleute an, sondern vergaben Holzarbeiten an unabhängige Schreinereien. Der Wettbewerb ging auf Kosten der Arbeitsbedingungen, der Beruf wurde unattraktiv. „Das alte Modell, billig auszulagern, ohne in die Ausbildung zu investieren, hat den heutigen Mangel verursacht“, sagt Kenji Takagi, Direktor der Subunternehmer-Plattform Craftbank, in der Zeitung Asahi.
Einige Unternehmen haben das Problem erkannt und stellen jetzt doch eigene Schreiner an. Und die Schreinereien, die es noch gibt, freuen sich über bessere Preise. Sie sind begehrter denn je. Fast könnte man sagen, sie sind jetzt die Superhelden jenes Baugewerbes, das sie zu lange unterschätzte.