Jakob Fugger, früher Vorbote der Sozialen Marktwirtschaft?

Vor 500 Jahren, am 30. Dezember 1525, starb in Augsburg Jakob Fugger der Reiche, einer der einflussreichsten Kaufleute der Geschichte. Er war die schillernde Figur in einem europaweiten Handelsimperium, das vor allem im Abbau und Handel von Silber und Kupfer Konkurrenten wie die Welser ausstach und sich durch Kredite den Habsburger Kaiser Karl V. gefügig machte. Die Bewertung dieses herausragenden Kaufmanns und Unternehmers ist bis heute viel diskutiert.

Die einen sehen in ihm den barmherzigen Wohltäter und das frühe Vorbild eines Sozialunternehmers. Verwiesen wird auf die Fuggerei, die bis heute bestehende Sozialsiedlung im Herzen von Augsburg. Bedürftige Katholiken aus der Region mit gutem Leumund können hier wohnen gegen einen Betrag von 88 Cent im Jahr und tägliches Gebet für den Stifter. Auch ist überliefert, dass Jakob Fugger ohne Eitelkeit auftrat und sich für seine Mitarbeiter und deren Familien einsetzte: etwa durch Wohnungen und Alterssicherung sowie die Grabpflege für deren Verstorbene, die Befreiung von Leibeigenen und wertschätzenden Umgang mit Vertrauten.

Legenden berichten, dass er seinen Einfluss nutzte, um Sträflingen die Freiheit zu erwirken und ihnen eine Karriere als Kaufmann zu ermöglichen. Macht und Erfolg setzte er – solchem bis heute überlieferten Ruf folgend – im Dienst der Allgemeinheit ein. Auch sei er moralisch verlässlich gewesen. Das Fugger-Wort zählte und ist bis heute Vorbild des ehrbaren Kaufmanns. Und dass er anstelle seiner zwei älteren Brüder die Leitung im Unternehmen übernahm, gilt als freiheitlicher Sieg des Leistungsprinzips gegen überkommenes Standesdenken.

Missachtung des kirchlichen Zinsverbots

Das alles hebt ihn auf den Sockel eines erfolgreichen wie sozialen Unternehmers, eines ehrlichen Wohltäters und rastlosen Streiters für das Gemeinwohl. Ein so positives Bild legt nahe, ihn in eine Hall of Fame der Vorboten Sozialer Marktwirtschaft aufzunehmen. Denn er verkörpert zentralste Eigenschaften des Unternehmertums, das sich Alfred Müller-Armack, Walter Eucken und andere Vordenker wünschten. Doch muss die glorifizierende Hypothese einer direkten Linie vom Augsburg des 16. Jahrhunderts zur Kölner oder Freiburger Schule des 20. Jahrhunderts kritisch hinterfragt werden.

So zeichnen andere von Jakob Fugger das Bild eines superreichen Kapitalisten, dem es um die Befriedigung egoistischer Machtgelüste gegangen sei. Angeführt wird, dass er sich über bestehendes Recht hinwegsetzte. So missachtete er das kirchliche Zinsverbot und legte illegal, aber gewinnbringend das Vermögen des Brixener Fürstbischofs und Kardinals Melchior von Meckau an.

Auch nutzte er seinen Einfluss beim Kaiser, um im Streit über Schürf-, Abbau- und Handelsrechte von Edelmetall in Tirol das Monopolverbot zu umgehen. Er kaufte und bezahlte den Kaiser und dessen Kriege und war im Ablasshandel der katholischen Kirche engagiert. Im Unternehmen solle er ein Top-down-Patriarchat errichtet haben. Und all die sozialen Praktiken seien nicht mehr als Greenwashing. Kurzum: Jakob Fugger sei ein machtbewusster Strippenzieher mit Heuschreckenmentalität.

Kein Sozialrevolutionär, sondern ein Mann irdischer Macht

Damit fiele er vom Sockel. Und das ist heute ein beliebter Sport, Persönlichkeiten der Geschichte durch negative Zerrbilder zu entzaubern, um an deren Stelle eigene Ideologien zu setzen. Was auch Immanuel Kant durch Vorwürfe von Rassismus und Frauenfeindlichkeit widerfuhr, würde so auch Jakob Fugger ins Dunkel stellen. Doch solch einseitige Klitterung verbaut die Möglichkeit, auch von streitbaren Persönlichkeiten zu lernen.

Eine dritte Perspektive räumt Vorurteile beiseite. Weder Glorifizierung noch ideologische Entzauberung werden der Persönlichkeit Jakob Fuggers des Reichen gerecht. Zu einem Lerneffekt seines Lebens für heute müssen positive wie kritische Seiten gemeinsam in die Lehr- und Geschichtsbücher. Fugger war kein Sozialrevolutionär, sondern ein Mann irdischer Macht und des Reichtums. Er war ein Kind seiner Zeit und kein Heiliger. Doch ist sein Leben und Handeln nicht ohne seine tiefe religiöse Überzeugung zu verstehen. Auf einer Tafel aus dem Jahr 1519 in der Fuggerei ist als Beweggrund für die Stiftungen Jakob Fuggers und seiner Brüder genannt: „ihr vom allerhöchsten und gütigen Gott empfangenes Vermögen diesem wieder zu erstatten.“

Einseitigkeiten erscheinen so in neuem Licht: Fuggers Ziel war die Unabhängigkeit von den Mächtigen und von irdischen Regeln. Reichtum und politischer Einfluss ermöglichten ihm diese Freiheit, seinem Gewissen zu folgen. So wollte er sein Leben gestalten in Verantwortung vor den Menschen, vor sich und letztlich vor Gott. Er wollte seine Talente so bestmöglich entfalten und ein Vorbild für andere sein. Er folgte unabhängig seinem Gewissen und erhoffte so die Gnade Gottes im jüngsten Gericht. Es ging ihm um sein Seelenheil.

Auch das mag man womöglich kritisieren. Doch mit Egoismus hat das nichts zu tun. Denn die Moral schließt Gott und Gemeinwohl ein. Solch seltene Tugend hatten zweifellos die Väter Sozialer Marktwirtschaft im Sinn. Die Fugger’schen Stiftungen wollen diese Seite des Erbes in die Zukunft tragen.

Elmar Nass lehrt Christliche Sozialwissen­schaften und gesellschaftlichen Dialog an der Kölner Hochschule für Katholische Theologie (KHKT). Der Text basiert auf einem Vortrag, den er am 2. Dezember auf einer Veranstaltung des Akademischen Forums der Diözese Augsburg gehalten hat.