Jahrestag des Hamas-Angriffs: „Genügt nicht, Antisemitismus zu betrauern“ – 1500 Menschen demonstrieren in München

In München forderten Politiker, Religionsvertreter und Kulturschaffende entschlossenes Handeln gegen Judenhass. Rund 1500 Menschen kamen zur Kundgebung am Königsplatz. Kulturstaatsminister Weimer ermahnt propalästinensische Künstler.

Mehr als tausend Menschen folgten nach Polizeiangaben dem Aufruf des Bündnisses „Dach gegen Hass“ in München, um gemeinsam ein Zeichen gegen Antisemitismus zu setzen. Die Kundgebung stand unter der Schirmherrschaft von Ministerpräsident Markus Söder (CSU) und der Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern, Charlotte Knobloch.

Die Veranstalter forderten unter anderem eine Freilassung aller Geiseln durch die Hamas und eine klare Haltung gegen Antisemitismus in Europa. Viele der Demonstranten schwenkten bei der Veranstaltung am Königsplatz israelische Flaggen, einige hatten Schilder dabei. Die Polizei zählte etwa 1500 Teilnehmer. Zu ihnen sprachen unter anderem mehrere prominente Gesichter aus der Politik sowie Vertreter der Kirche.

Kulturstaatsminister Wolfram Weimer (parteilos) warnte vor zunehmendem Antisemitismus – auch im Bereich der Kultur. „Jüdinnen und Juden haben wieder Angst in Deutschland – und das ist unerträglich.“ Er sei besorgt über eine zunehmende Ausgrenzung jüdischer Kulturschaffender. Öffentliche Boykottaufrufe, Anfeindungen und Ausladungen – zuletzt gegenüber dem israelischen Dirigenten Lahav Shani oder jüdischen Künstlerinnen beim ESC – seien nicht hinnehmbar: „Es genügt nicht, Antisemitismus zu bedauern, die Vorfälle zu betrauern. Wir müssen handeln.“

Zuvor hatte Weimer in einem Interview mit der „Neuen Osnabrücker Zeitung“ Künstler und Kulturschaffende ermahnt. „Kritik an der Politik der israelischen Regierung kann jeder äußern“, sagte Weimer. „Doch sollten Kunst und Kultur sich auch klar machen, dass der 7. Oktober ein Tag der Trauer ist“ und „ein Tag des Schmerzes“.

Wer antisemitische Aktionen in Kultureinrichtungen des Bundes plane, werde „dafür keine Bühne bekommen“, sagte Weimer. Dies gelte am 7. Oktober besonders, „aber an jedem anderen Tag auch“. Antisemitismus könne nicht die Antwort auf den Konflikt zwischen Israel und der Hamas sein. Damit bezieht sich Weimer wohl auf einen abgesagten Auftritt des Rappers Chefket im Haus der Kulturen der Welt, zu der der ZDF-Entertainer Jan Böhmermann am 7. Oktober eingeladen hatte.

Schuster spricht von „aggressiverem“ Antisemitismus

Der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Josef Schuster, sagte laut Redemanuskript bei der Kundgebung in München, Antisemitismus sei seit dem 7. Oktober 2023 „lauter, aggressiver und sichtbarer“ geworden. Im DACH-Raum Deutschland (D), Österreich (A) und Schweiz (CH) erlebten Juden Anfeindungen und Angriffe. „Es ist derselbe Hass – nur mit wechselnden Kulissen.“ In allen drei Ländern müsse der Kampf gegen Antisemitismus entschlossener geführt werden: durch Bildung und eine Politik, die „jüdisches Leben wirksam schützt – mit klaren Gesetzen und verlässlichem Handeln von Polizei und Justiz“.

Bayerns Landtagspräsidentin Ilse Aigner (CSU) bezeichnete die Demo als Zeichen dafür, dass „wir das Versprechen ‚nie wieder‘ nicht halten konnten“. Der Judenhass mache sich immer breiter, auch in Bereichen der Mitte, in Kunst und Kultur, Politik, Hochschulen und Wissenschaft, NGOs. Antisemitismus sei die „Ur-Form der Menschenverachtung“ und habe zum größten Verbrechen der Menschheit geführt, so die Politikerin. Wo er vorkommt, sei früher oder später jeder der Nächste. „Wir tragen die größte Verantwortung, diesen Hass zu benennen, zu ächten und zu bekämpfen. Immer und überall!“

Mit deutlichen Worten bezogen auch der bayerische evangelische Landesbischof Christian Kopp und der Generalvikar der Erzdiözese München und Freising, Christoph Klingan, Stellung. Jede Form von Antisemitismus sei mit dem christlichen Glauben unvereinbar: Wer Juden angreife, „greift uns alle an“, sagte der Landesbischof. Christen stünden „an der Seite unserer jüdischen Geschwister – heute und immer“.

Generalvikar Klingan forderte die Menschen auf, jeder offenen oder verdeckten Form von Antisemitismus „mit klarer Haltung, mit Zivilcourage, mit Solidarität“ entgegenzutreten. Der Hass auf Juden bedrohe die gesamte Gesellschaft und die Demokratie. Die Verantwortung aus der deutschen Geschichte gehe über Erinnerungsarbeit hinaus: „Sie ist Auftrag zum Handeln, hier und jetzt“, betonte Klingan.

Die Kundgebung wurde von dem Münchner Hochschulprofessor Guy Katz initiiert. Sie versteht sich den Angaben zufolge als breites zivilgesellschaftliches Bündnis aus Deutschland, Österreich und der Schweiz. Zu den Unterstützenden zählen mehr als 200 Organisationen, die Deutsch-Israelische Gesellschaft sowie zahlreiche Persönlichkeiten aus Politik, Kultur und Gesellschaft.

dpa/KNA/krö