Der Autor Thomas Migge hat offenkundig zwei Leidenschaften: Zug zu fahren und Kirchen zu besichtigen. Das lässt sich vor allem in Italien wunderbar miteinander verbinden. Denn das Bahnnetz ist bis auf einige Regionen im Süden gut ausgebaut, und wenn es in einem Land kunstgeschichtlich erstrangige Kirchen im Überfluss gibt, dann ist das Italien. Sowohl Bahnhöfe als auch bedeutsame Sakralbauten befinden sich in der Regel in den Stadt- und Ortszentren, liegen also nahe beieinander. Und so unternimmt Migge eine moderne Grand Tour durch Italien, um vor allem Kirchen und Kathedralen, Klöster und Dome, aber auch etliche Exemplare herausragender profaner Architektur zu besichtigen. An- und Abreise jeweils mit der Eisenbahn, meistens jedenfalls.
Wenn man es selbst jedoch nicht so sehr hat mit Bildungs- und Studienreisen, jedenfalls nicht in dieser Intensität? Dann ist Migges Ratgeber-Buch „Italien mit dem Zug entdecken“ dennoch eine gute Inspiration. Der Autor hat 33 Routen zusammengestellt, und man muss ja keineswegs jeden seiner Ratschläge befolgen. Kann mitunter einfach in einem Zug sitzen bleiben und eben nicht an jedem Zwischenhalt aussteigen, an dem Migge einem das empfiehlt. Wenn man die Fahrt doch unterbricht, muss man wiederum nicht schnurstracks in die nächste Kirche schnüren, um sich einen weiteren Barockaltar, noch ein Chorgestühl aus der Renaissance oder ein romanisches Fresko anzusehen. Vielleicht geht man lieber bummeln, stöbert durch ein paar Läden, setzt sich in ein Café und beobachtet die Menschen, isst eine lokale Spezialität. Denn eigentlich geht es Thomas Migge genau darum: um entspanntes Reisen.
Es dauert oft nur eine oder zwei Stunden, um von einer sehenswerten Großstadt in die nächste zu gelangen
Mit dem Weg- und Auslassen tut er sich selbst dann aber doch schwer. Seine Grundhaltung: Wenn man schon einmal in der Gegend sei, könne man auch noch hier hinfahren oder dort jenes bestaunen, selbst wenn man für manches davon einen Mietwagen benötigt. Das konterkariert die Grundidee des Buches; aber man hat es als Leser natürlich selbst in der Hand, wie sehr man sich mitreißen lässt von Migges Furor, möglichst viel zu sehen. Oder ob man unter den vielen Anregungen stark aussiebt, ein eigenes Programm zusammenstellt, manchmal vielleicht gar keines hat und sich stattdessen treiben lässt. Also sich sehr bewusst für einige Sehenswürdigkeiten entscheidet, sich mit ihnen auch wirklich befasst, und den Rest ignoriert.

:Dolce Vita auf der Schiene
Ja, Italien ist ein Bahnland! Eines, das in den letzten Jahren viel in schnelle, bequeme Verbindungen investiert hat. Eine Grand Tour mit dem Zug von den Alpen bis Apulien.
Was einem dieses Buch vor Augen führt, ist, wie gut man in Italien tatsächlich mit dem Zug reisen kann – wenn nicht gerade gebaut wird. Da sind zum einen die Schnellzugverbindungen. Zum Beispiel ist man von Florenz aus in eineinhalb Stunden in Rom und in einer reichlichen halben Stunde in Bologna. In weiteren eineinhalb Stunden ist man von Bologna aus in Venedig. Von Mailand nach Rom sind es vier Stunden, es gibt mehr als hundert Verbindungen pro Tag. Die Strecke Neapel-Rom: 80 Minuten. Das Gleiche gilt für Verona-Mailand. Wer eine kleine Städtetour in Italien unternehmen möchte mit drei oder vier Stationen, wird auf kaum einer Strecke schneller reisen können als mit dem Zug, entspannter und klimabewusster ohnehin nicht. Was Migge gar nicht erwähnt, sind die Nachtzugverbindungen, mit denen man von München aus zum Beispiel nach Venedig, Bologna, Florenz, Rom, Mailand, Genua, La Spezia und Pisa gelangt.
Im Zug sitzen, aus dem Fenster auf spektakuläre Landschaften schauen: In Italien geht das besonders gut
Dann sind da noch die Strecken, bei denen nicht so sehr die zügige Verbindung zweier Großstädte im Vordergrund steht. Sondern die Fahrt an sich. Landpartien mit der Eisenbahn, der Aussicht wegen. Mit der Ferrovia Circumetnea rund um den Ätna. Durch die Piemonteser Alpen an den Lago Maggiore. Von La Spezia durch die Cinque Terre nach Genua und weiter bis an die französische Grenze, immer an der ligurischen Küste entlang. Reisen, die mit dem Auto umständlicher wären oder sogar durch Landstriche führen, die man mit dem Wagen gar nicht erreicht. Thomas Migge versteht es, Lust und Neugier in einem zu wecken, das Fernweh auf eine gar nicht so weite Ferne.

Eines allerdings ist ärgerlich an seinem Buch, und das ist die Sprache. Sie ist durchweg phrasenhaft und werblich. Jede historische Altstadt, jede Ortschaft ist entweder malerisch gelegen oder pittoresk oder wie aus einem Bilderbuch. Alles, nicht nur Kulinarisches, ist ein Leckerbissen, etwa auch Museen (für Kunstfreunde) oder Gebirgsseen (für Naturfreunde), vieles ist überdies vom Feinsten, vor allem sommerliche Konzertfestivals, aber auch das Retrodesign des Orient Express Italy. Und eine gesellschaftliche Oberschicht, egal ob im antiken Rom oder zu Lebzeiten Giuseppe Verdis, wird penetrant Jetset geheißen, als hätte es damals schon Flugzeuge gegeben. Ganz abgesehen davon, dass Migge doch fürs Zugfahren werben möchte.