Israel Philharmonic Orchestra: Ein Crash mit Ansage

Es gibt nicht viele Bilder der Störaktion von vergangenem
Donnerstag, nur wackelige Handyaufnahmen. Die aber haben sich längst weltweit
verbreitet. Sie zeigen einen Mann, stehend in den Zuschauerrängen der Pariser
Philharmonie, eine brennende Bengalofackel in der Hand, Rauch wabert durch den
Saal. Was er ruft, ist nicht zu verstehen, Anwesende sagten später, es seien
israelfeindliche Parolen gewesen. Auf der Bühne machte sich das Israel Philharmonic Orchestra gerade daran, das Klavierkonzert Nr. 5 von Ludwig van
Beethoven aufzuführen. Auf den Bildern sieht man: Lahav Shani, der Chefdirigent
des Orchesters, steht wie versteinert, der Solist András Schiff schlägt sich
die Hände vors Gesicht. Sofort stürzen sich andere Zuschauer auf den Störer,
reißen ihm die Fackel aus der Hand, brüllen ihn nieder, schlagen offenbar auch
auf ihn ein. Nach ein paar Sekunden brechen die Aufnahmen ab. Schon davor, das
berichteten Zuschauer hinterher, habe es einzelne Störungen des Konzerts
gegeben. Sie wurden buchstäblich überspielt.

Der Rauch hat sich inzwischen verzogen. Vier Beteiligte an
Störungen wurden festgenommen; mit der Frage, wie leicht es sein darf,
Pyrotechnik in ein klassisches Konzert zu schmuggeln und in einem geschlossenen
Raum entzünden zu können, muss sich nun der Sicherheitsdienst der Pariser
Philharmonie auseinandersetzen. 

Offen ist auch eine zweite, ähnlich unangenehme Frage: Soll,
kann, darf es wirklich so einfach sein, in einer freien, demokratischen
Gesellschaft den Auftritt eines Künstlers oder von Ensembles nicht nur zu
gefährden, sondern systematisch zu verunmöglichen?

Denn nicht nur das Pariser Konzert, auch das Gastspiel des
Israel Philharmonic Orchestra einen Tag zuvor in Köln war schon durch Proteste vor der dortigen Philharmonie begleitet worden. Vor wenigen Wochen geschah Ähnliches vor einem Auftritt des
Orchesters in New York City in der Carnegie Hall
. Und die Ausladung Lahav
Shanis, der mit den Münchner Philharmonikern beim Flanders Festival im
belgischen Gent spielen sollte, liegt erst zwei Monate zurück.

Geht das jetzt einfach immer so weiter? Es ist, als wäre man
Zeuge einer Kette von absichtlich herbeigeführten Crashs, bei denen der nächste
unabwendbar und nur noch eine Frage der Zeit ist. Und die Vorkommnisse in Paris
deuten eine Eskalation auch der Mittel an: Ausladung, Proteste vor einem
Auftrittsort, potenziell gefährliche Aktionen in einem Saal selbst.

Es ist ein Akt der Gewalt

Tatsächlich scheint es den Störern um nichts als den Crash
zu gehen. Es ist schwer vorstellbar, dass infolge der Ausschreitungen in der
Pariser Philharmonie auch nur ein einziger Mensch im Saal seine Meinung über
die Rolle Israels im Gazakrieg geändert haben könnte. Wer in einem
ausverkauften Konzert dieses Orchesters, mit brennender Bengalofackel in der
Hand, antiisraelische Parolen brüllt, der will nicht diskutieren, sondern
einschüchtern. Will demonstrieren: Wo ihr seid, sind wir auch, ihr entkommt uns
nicht. Es ist ein Akt der Gewalt.

Frankreichs Innenminister Laurent Nuñez verurteilte die
Vorkommnisse aufs Schärfste
, „nichts kann sie rechtfertigen“.
Die französische Kulturministerin Rachida Dati nannte die Angelegenheit einen „Verstoß gegen die grundlegenden Rechte unserer Republik„. Der israelische
Botschafter in Paris, Joshua Zarka, war selbst bei dem Konzert und erklärte hinterher: „Die Franzosen haben genug von
dieser zynischen Instrumentalisierung dessen, was in Israel passiert.“ Und das
französische Außenministerium nannte die Vorfälle inakzeptabel, unverantwortlich
und gefährlich
– „Frankreich bekräftigt seine Ablehnung jeglicher Form von
Boykott gegen Künstler und sein Bekenntnis zur künstlerischen Freiheit.“

Das sind alles Stimmen von Staatsvertretern. Im Vorfeld des
Konzerts in Paris hatte es solche aus der, wie man dann sagt, Zivilgesellschaft
Frankreichs gegeben. Es waren Aufrufe, das Konzert abzusagen oder zu
boykottieren. Der französische Gewerkschaftsbund Confédération Générale du Travail ließ verlauten, ein Auftritt des Israel Philharmonic Orchestra – das
von Israel staatlich gefördert, aber kein staatliches Orchester ist – müsse die
Zuschauer in Paris an die „extrem schwerwiegenden Vorwürfe gegen die Anführer
dieses Landes“ (also Israels) erinnern. Und französische Musiker hatten einen
offenen Brief verfasst
, in dem es hieß: Finde das Konzert in Paris statt, werde
„die Straffreiheit des Staates Israel gegenüber dem Völkerrecht
aufrechterhalten“, ja werde „klassische Musik als Kunst instrumentalisiert“.
Aber wer instrumentalisiert hier was und wen zu welchem Zweck?

Der künstlerische Betrieb ist ansonsten, bis auf wenige
Ausnahmen, verdächtig still. Natürlich, die Ausschreitungen sind ein
politischer Akt, kein künstlerischer, auch wenn sie sich im Konzertsaal
ereignet haben. Für Politik aber ist dieser Ort denkbar schlecht geeignet.
Höchste Zeit, dem etwas entgegenzusetzen.