Irlands Troy Parrott in der WM-Qualifikation: Mit Tränen in die Playoffs – Sport

Der Kerl mit dem Stoppelbart stammelte und schnaufte tief. Alles so emotional gerade, „sorry“. Viel mehr bekam Troy Parrott im Interview bei Irlands nationalem TV Sender RTE kaum heraus, er musste sich mit seinem Trikot erst durchs Gesicht wischen. „Tränen des Glücks“, wie er mit brüchiger Stimme berichtete, während im Hintergrund, na klar, irische Fans den Fußballklassiker „The Fields of Athenry“ anstimmten. Eine Hymne über Leid, Hunger und jenen Funken Hoffnung, den Irinnen und Iren immer im Herzen tragen, auch wenn es schlecht um sie steht. Und es war in dieser WM-Qualifikation wahrlich schlecht um Irlands Nationalteam gestanden. Aber dann kam Troy Parrott, 23, diese neue Galionsfigur der Grünen Insel, und erzielte drei Tore im Ferenc-Puskas-Stadion.

3:2 gegen Ungarn, mit einem märchenhaften Showdown in der 96. Minute, als Parrott sein Team und ein ganzes Land in Ekstase schoss. Mit einem Treffer, der alles beinhaltete, was irische Fußballkunst ausmacht: verzweifelter langer Ball von der Küste Connemaras, Kopfballablage und irgendwie reingespitzelt. Ästhetisch fast deckungsgleich mit einem anderen unvergessenen Kraftakt der „Boys in Green“. Jenem 1:1-Schlussakt von Robbie Keane bei der WM 2002 gegen Deutschland, als man letztmals an einer Endrunde teilgenommen hatte und sich alle Warnungen vor der Willensstärke der „Irländer“ (DFB-Teamchef Rudi Völler) bewahrheiteten.

Die Folkore spielt ja immer mit, wenn irische Mannschaften aus ihren begrenzten Möglichkeiten Kostbarkeiten des Sports erschaffen. Und es ist fast schon egal, dass diese Heldengeschichte bislang eigentlich unvollendet ist. Qualifiziert sind die Iren um ihren Nationaltrainer Heimir Hallgrimsson trotz ihres Überholmanövers gegenüber Ungarn auf den letzten Metern in Gruppe F noch nicht. Ihre zehn Punkte haben sie auf Platz zwei hinter Portugal gehievt, es geht nun in die Playoffs, wo noch größere Anstrengungen nötig sein werden, um es zum vierten Mal nach 1990, 1994 und 2002 auf die WM-Bühne zu schaffen. Die Gefühlswallungen erreichten trotzdem gehöriges Ausmaß, das Guinness spritzte in Pubs rund um den Globus, wo die riesige irische Diaspora die „erstaunlichste Viertelstunde der irischen Fußballhistorie“ (Irish Times) zelebrierte. Und sich in Heiligenverehrung von Angreifer Parrott erging, der nicht nur in Budapest drei Treffer hervorzauberte, sondern zuvor auch zwei beim 2:0 gegen Portugal in seiner Heimatstadt Dublin.

Die erstaunlichste Viertelstunde der irischen Fußballhistorie

Die Zeitung Irish Times

Schon vergangene Woche hatte der Mann vom niederländischen Klub AZ Alkmaar nach seinem Doppelpack von einem Karrierehöhepunkt geschwärmt, er fand, „dass solche Momente zum Träumen sind“. Da konnte er nicht ahnen, was am Sonntag in Ungarn folgen würde, als er sich seinen Platz im Himmel der Iren neben St. Patrick und Arthur Guinness sicherte. Mit einem Elfmetertor, das die ungarische Führung ausglich (15. Minute), einem Knipsermoment zum 2:2 (80.) und schließlich jenem 3:2, nach dem er unter einem Jubelknäuel in Grün-Weiß begraben wurde. „Heute glaube ich nicht, dass ich jemals einen besseren Abend in meinem Leben erlebe“, erklärte er, als er sich im Fernsehinterview wieder halbwegs gefangen hatte, „deshalb lieben wir Fußball.“

Beim Interview nach dem Spiel ließ Parrott dann seine Emotionen heraus, er wirkte fassungslos vor Glück.
Beim Interview nach dem Spiel ließ Parrott dann seine Emotionen heraus, er wirkte fassungslos vor Glück. (Foto: David Balogh/Getty Images)

Parrotts persönlichen Aufstieg begleitet eine kleine Tangente in die Bundesliga: Im vergangenen Sommer soll sich dem Vernehmen nach auch der VfL Wolfsburg um ihn bemüht haben, nachdem er in der niederländischen Liga bei Excelsior Rotterdam und in Alkmaar endlich sein Können gezeigt hatte. Das eines echten Torjägers, der Räume erahnt, der Chancen mit chirurgischer Finesse verwertet und der sich nicht beirren lässt von einer ins Stocken geratenen Karriere in England. Aufgewachsen ist er in der tristen Buckingham Street in Dublins Norden, nur wenige Kilometer vom Nationalstadion Croke Park entfernt. Seine Mutter berichtete zuletzt von Kindheitstagen in einer Gegend fernab der Grüne-Insel-Klischees.

Parrotts Glück bestand darin, dass er im Alltagsgrau der Wohnblocks nichts anderes als Fußball im Sinn hatte. Er kickte zwischen Backsteinbauten und im Belvedere Youth Club, selbstbewusst auf dem Platz, zurückhaltend im Rest des Lebens. So führte sein Weg in die Jugendabteilung von Tottenham Hotspur, wo man in ihm längst den neuen Robbie Keane (Spurs-Angreifer in den Nullerjahren) sah. Aber was andere sehen, ist eben nicht immer so leicht umzusetzen: Der junge Parrott brauchte einige Umwege über Leihen nach Millwall, Ipswich, Preston oder Milton Keynes, um erwachsen zu werden. Das Toreschießen fiel ihm in der ruppigen Unterklasse Englands schwer, hinzu kam die Last, als eines der größten irischen Versprechen seit Jahren zu gelten. Erst in der Eredivisie zündete er in den Jahren 2023 und 2024, aber so gut wie aktuell war er noch nie: sieben Tore in sechs Ligaspielen mit Alkmaar in der laufenden Saison, dazu nun fünf Treffer binnen drei Tagen im Nationalteam.

Und wie es sich für einen Volksliebling gehört, kommentierte er seinen Elfmetertreffer gegen die Ungarn im Moment maximaler Anspannung mit einem Satz, der seinen Charakter offenbart: „Mir ist es lieber, wenn der Druck auf mir lastet, als auf jemand anderem, so habe ich es in meiner Hand.“ Am Donnerstag wird in Zürich der Playoffgegner der Iren ausgelost – Troy Parrott wird bereit sein.