„Für diese Ausstellung bräuchten Sie jetzt ganz viel Zeit.“ Nun, eine Drohung mag man Ute Schauers Begrüßung dann vielleicht doch im Ernst nicht nennen angesichts dieser ziemlich großartigen Schau im Institut für Neue Technische Form (INTEF). Und Zeit haben wir ohnehin ausreichend mitgebracht, mit der Leiterin des INTEF das „ABC des polnischen Designs“ durchzubuchstabieren.
Sich bezaubern zu lassen von dem 1932 von Bogdan Wendorf entworfenen Kaffeeservice „Kula“, was so viel wie Kugel heißt; zu staunen vor einem papiernen „Beamten“, wie man ihn in Polen mit „ordentlichen Hausfrauen“ und „verrückten Malern“ statt der Sterne, Engel und Lametta an den Weihnachtsbaum zu hängen pflegte.
Die eigenen Gedanken kreisen lassen
Und hier und da, wenn gerade keiner guckt, den einen oder anderen der „Vogelmilch“ genannten Schokoladenwürfel zu stibitzen. Zeit genug also, sich vielleicht in eigenen Erinnerungen zu verlieren angesichts der nachgerade klassisch sich ausnehmenden Bauklötze, wie sie Stanisław Noakowski 1922 für die Warschauer „Betriebe für Spielwarenindustrie, Musikinstrumente und Kleine Holzerzeugnisse“ entwickelt hat.
Sich überraschen zu lassen von wegweisenden Ideen wie der etwa zeitgleich zu Margarete Schütte-Lihotzkys legendärer Frankfurter Küche entstandenen Einbauküche der polnischen Architektin Barbara Brukalska.
Und nicht zuletzt um hier und da zu schmunzeln, wie angesichts von „Fema“. Nicht etwa bloß ein Haarföhn, wie man meinen möchte, der „eine immer elegante Frisur“ versprach. Sondern, glaubt man dem Hersteller, auch ganz vorzüglich dazu dienen mochte, „schnell kleine Wäschestücke, Strümpfe oder kleine mit Farbe bestrichene Flächen zu trocknen“. Mag sein, das ist in vielen Fällen auch nicht kurioser, als es die Werbung der Sechzigerjahre hierzulande vollmundig versprach. Spaß macht es trotzdem.
Eine Ausstellung von Geschichten
Denn tatsächlich lebt das „ABC des polnischen Designs“, so der Titel der mit dem Deutschen Polen-Institut und dem Lodz Design Festival veranstalteten Schau im INTEF, nicht nur von den genau 100 Exponaten aus 100 Jahren polnischer Designgeschichte, wie sie Kuratorin Ewa Solarz für die Präsentation ausgewählt hat. Oder von der pfiffigen Ausstellungsarchitektur, die Marta und Lech Rowińscy vom Studio Beton entworfen haben.
Es sind die 100 mit dem „Fema“-Föhn aus Bakelit, mit den Bauklötzen, dem Computer AKAT-1 oder mit Zygmunt Stępińskis Cepelia-Pavillon in Warschau verbundenen und an den Exponaten entlang erzählten Geschichten aus der Zweiten Polnischen Republik, der kommunistischen Volksrepublik und schließlich der Dritten Republik, die diesen Rundgang zu einem äußerst unterhaltsamen Vergnügen machen.
Geschichten mithin, die keineswegs nur polnischstämmige Besucher mitnehmen in eine andere Zeit und einen anderen Alltag, wie ihn in Polen angesichts von „Ludwig“, einem Geschirrspülmittel, der „Pewex“-Plastiktüte oder einer „Kowalski“-Schrankwand buchstäblich jedes Kind erinnert.
In eine Zeit aber auch, in der es zu improvisieren galt und manch eine Idee in gänzlich anderer Form verwirklicht wurde als eigentlich gedacht oder aber über einen Prototyp nicht hinauskam. Wie der „Smyk“, „Steppke“ also, genannte Kleinwagen, der einmal so etwas wie der polnische VW-Käfer werden sollte – und gerade einmal in 20 Exemplaren gebaut wurde.
Und keineswegs zuletzt führt die Ausstellung mit Entwürfen wie Jerzy Janiszewskis 1980 entstandenem und sogleich um die Welt gegangenem „Solidarność“-Schriftzug, dem hölzernen „Bajo“-Auto von Wojciech und Barbara Bajorwie oder Robert Czajkas ebenso schlichter wie bezaubernder „Papierstadt“ in die unmittelbare Gegenwart des polnischen Designs.
Am Ende aber sind es doch die seit 1936 hergestellten Schokoladenwürfel, die dem Besucher Anlass geben, über Kontinuität und Wandel nicht nur der Gestaltung, sondern überhaupt der Zeiten nachzudenken. Denn um klammheimlich vom Konfekt zu naschen, sind wir schlicht ein wenig arg spät dran. Noch zur Eröffnung der Schau gut gefüllt, zeigt sich die Dose „Vogelmilch“ nun gänzlich leer.
ABC des polnischen Designs, Institut für Neue Technische Form, Darmstadt, Friedensplatz 11, bis 26. Januar dienstags bis samstags von 11 bis 17, sonntags bis 14 Uhr.