Innenpolitik im Iran: Der GAU für jede demokratische Bewegung

Lassen sich Diktaturen militärisch zerstören? Ja, aber die Geschichte zeigt, dass unüberlegte Interventionen kaum je den gewünschten Effekt haben. Hier erklärt der Protestforscher Tareq Sydiq, warum die israelischen und US-amerikanischen Bombardements die zivilgesellschaftlichen Bewegungen innerhalb des Iran sogar entscheidend schwächen.

Dass wir zwei Wochen nach den israelischen Luftangriffen
keinen demokratischen Iran begrüßen können: Das ahnten Menschen, die sich noch an
die jüngere Vergangenheit erinnern. Denn Angriffe aus der Luft erlebte Teheran bereits
in den 1980ern, damals angeordnet vom irakischen Präsidenten Saddam Hussein. Im
sogenannten Krieg der Städte, einer Episode des ersten Golfkriegs,
starben Tausende Zivilisten. Entgegen der Hoffnungen Husseins schwächte dies
die Kriegsmoral des Kontrahenten nicht. Der Iran-Irak-Krieg nahm unverändert
seinen Lauf, und die Islamische Republik ging gestärkt daraus hervor, nicht
geschwächt. Die Opposition gegen die Islamisten an der Macht brauchte knapp ein
Jahrzehnt, um sich von dieser Zeit zu erholen.

Geschichte ist nun nicht zur Wiederholung verdammt. Es gibt
aber wenig Anzeichen, dass es diesmal anders laufen würde, nur weil einige
führende Revolutionsgardisten tot sind. Denn schon längst rücken jüngere Gardisten nach. Das System steht weiterhin, kein großer Aufstand zeichnet
sich ab, und die Opposition bleibt der Straße fern. Stattdessen distanzieren
sich die einen Regimegegner vehement von dem externen Angriff, während die
anderen damit beschäftigt sind, sich und ihre Liebsten vor ebenjenen Angriffen
zu schützen.

Durch den Krieg ist ein Systemwechsel unwahrscheinlicher geworden

Denn: Ein Krieg, noch dazu ein Luftkrieg, ist für
Demokratiebewegungen im Inneren so etwas wie der politische Super-GAU, der
größte anzunehmende Unfall. Die Rechnung, wonach die inneren Feinde eines
Regimes aufstehen, nachdem es aus der Luft geschwächt wurde, und den Rest
erledigen, geht so nicht auf.

Zwar kennt die Sozialwissenschaft – das erschwert diese
Debatte – keine klaren Naturgesetze. Theoretisch kann auch aus einem
Luftkrieg eine Revolution entstehen. Untersuchungen zur Wahrscheinlichkeit
eines solchen Ergebnisses sind aber eindeutig: Bomben auf Teheran reduzieren
die Chancen auf einen Regimewechsel aus dem Inneren. Denn: Politische Systeme,
noch dazu solche, die seit 46 Jahre bestehen, sind tief verankert in der
Gesellschaft. Selbst wenn ihre Führungspersonen sterben oder abtreten, dauern ihre
Ideologien fort, besitzen ihre Anhänger enorme Ressourcen und Netzwerke, die
zurückkehren können. Die Konterrevolution beendete das demokratische Experiment
in Ägypten, sie trug zur Kurzlebigkeit der Weimarer Republik bei und mündete im
blutigen Krieg im Sudan.

Revolution beinhaltet deswegen nicht nur den
Regierungswechsel, das Austauschen der Spitze. Es geht auch und vor allem darum,
einen politischen, gesellschaftlichen, kulturellen, ökonomischen Wandel
anzustoßen und bis zum Ende durchzuziehen – ein Marathon, kein Sprint.

Damit einer demokratischen Bewegung dabei nicht die Puste
ausgeht, braucht sie mehr als ein bisschen Rückenwind. Sie braucht Spielräume,
die sie für Experimente nutzen kann, um politisches Wissen zu erwerben und
Allianzen zu schmieden. Sie braucht Ressourcen, die sie angesichts eines
übermäßigen Staates in Stellung bringen kann. Sie braucht Schutzorte, an denen
sie vor Repressionen sicher ist. Sie ist aber auch angewiesen auf Fehler,
die die Regierenden machen, auf Spaltungen innerhalb des Machtapparates, darauf,
Teile der Eliten auf ihre Seite ziehen zu können.