In Folge 23 knutschen die Models auf dem Driving Bed

Viertelfinale bei „Germany´s Next Topmodel“, Deutschlands zweiterfolgreichster von einer blonden Frau über 50 moderierten TV-Show nach dem ZDF-Sommergarten. Nach bislang 22 Folgen (mehr als je zuvor) und historischem Zuschauerschwund (weniger Zuschauer als je zuvor) gibt ProSieben zwei Wochen vor dem großen Finale noch mal rasant Zwischengas.

Mit Christian Cowan kehrt ein beliebtes Jungdesigner-Gesicht in die Temporär-Jury zurück. Dazu mit der nebenberuflich als Fashion-Fotograf arbeitenden Empathie-Ikone Rankin der bekannteste Female-Empowerment-Motivations-Coach der Klum-Ära sowie ein nasser, glitschiger, sturzaffiner Final-Walk-Runway. Außerdem ist das beliebte Interview-Coaching ist zurück. Und als Krönung lässt der FSK-16-Beauftragte des Unterföhringer Linear-Entertainment-Giganten auch endlich wieder fast nackte junge Frauen auf dem Präsentierteller einer offenen Ladepritsche durch Los Angeles kutschieren, um sie mit fast nackten jungen Männern, mit denen sie nicht liiert sind, in erotische Posen zwingen. Für die einen ist es das Erotik-Shooting, für die anderen die längste Demütigung der Welt.

Aber mal der Reihe nach. Christian Cowan ist noch keine 30 Jahre alt, gehört aber bereits seit 2019 zum Stammpersonal der Topmodel-Suchodyssee mit Laufstegkapitänin Heidi Klum. 2019, das klingt in dieser schnelllebigen Zeit auf den ersten Blick wie vorgestern, aber um die Tragweite dieses Zeitraums deutlich zu machen, hier eine kleine Erinnerung an das Jahr 2019: Niemand, außer vielleicht Karl Lauterbach, wusste, was eine Covid-19-Pandemie ist, E-Roller wurden in Deutschland zugelassen, Angela Merkel war Kanzlerin und mit Karl Lagerfeld verstarb einer der größten Heidi Klum-Fans der Zeitgeschichte. Außerdem fuhren die 16 GNTM-Folgen im Jahr 2019 im Durchschnitt sehr ordentliche 2,34 Millionen Zuschauer ein, wodurch die Bezeichnung „Quotentief“ für die 970.000 Zuschauer, die sich in der vergangenen Woche noch für die Fotovergabe-Doku mit Modelhintergrund begeistern konnten, noch recht schmeichelhaft wirkt.

Christian Cowan Heidi Klum und Rankin
Christian Cowan Heidi Klum und RankinProSieben/Max Montgomery

Fotograf Rankin, der als GNTM-Urgestein vor allem dafür bekannt ist, sich mit der ganz feinen Zartgefühl-Klinge um die oftmals schüchternen und größtenteils erstmals fast nackt vor Publikum stehenden Models zu kümmern, erarbeitete sich mit Kandidatinnen-Urteilen wie „Du bist zu langweilig“ landesweites Sympathie-Renommee. Bevor es körperlich nackt wird, wird aber erstmal seelengestripteased. Dazu bittet Pro Siebens Journalismus-Geheimwaffe Christian Düren zum sogenannten Interview-Training. Düren sieht immer ein bisschen aus, als hätte er sich die Frisur von Marco Reus als Glasfaserkunstoff-Attrappe anfertigen lassen, um sie formschön mit zu kurzen Anzughosen zu kombinieren. Jahr für Jahr freut er sich auf das als Tutorial getarnte Desavouierungsritual, für das er regelmäßig mit knallharten Recherchesensationen über die Kandidatinnen am Set auftaucht. Mal abgesehen von einem weiteren Meilenstein im pathologischen Dynamik-Delirium, in dem sich Spitzenkandidat Moritz mitunter versucht, durch die lästigen Produktionszyklen zu mogeln, gelingt Düren der große Skandaldurchbruch allerdings nicht. Der Dialog mit Marina-Hoermanseder-Walkverweigerer Moritz allerdings hat dafür Kultpotenzial:

„Was ist denn spannend an dir?“

„Alles, was in meinem Kopf abgeht!“

„Und was geht so in deinem Kopf ab?“

„Eigentlich nicht so viel!“

Christian D. übt Interviews mit den Kandidaten

Christian D.(üren) gilt ja als Christian D.(rosten) des Investigativjournalismus, nur ohne die Morddrohungen aus der Aluhut-Szene. Um die bei ihm antrainierten Interview-Skills auch direkt anwenden zu können, schickt Pro Sieben das Boulevard-Schlachtross Tanya May vom Gegendarstellungs-Primus „Bild“ ins Rennen, um den Models auf den Intimsphären-Zahn zu fühlen. Eine exzellente Wahl, jedenfalls wenn man den teilweise blutjungen Öffentlichkeits-Novizen private Aufregergeschichten entlocken möchte, die anschließend aufgrund von Verletzungen des Persönlichkeitsrechts wieder gelöscht werden müssen. Tanya May ist in der Branche dafür bekannt, mit ihren Artikeln über Prominente mehr Unterlassungsklagen gesammelt zu haben als „Bild TV“ Zuschauer hatte. Also ungefähr acht. Der Medienjournalist Stefan Niggemeier nannte dieses Vorgehen mal „Tanja-May-Journalismus – Artikel, von denen nach wenigen Tagen in den Online-Archiven fast nichts mehr übrig ist“.

Der ganz große Enthüllungs-Coup gelingt May jedoch ebenfalls nicht. Es ist allerdings auch kompliziert, Persönlichkeitsrechte zu verletzen, wenn eine Kamera mitläuft. Da aller guten Dinge drei sind, darf sich anschließend noch ein weiterer Medienprofi im Top-Schlagzeilen-Erzeugungsmodus ausprobieren. Nachdem Paul Ronzheimer aufgrund einer kurzfristigen USA-Reise mit Germany’s Next Topkanzler Friedrich Merz nicht verfügbar ist und Frauke Ludowig von RTL kommt und somit als überqualifiziert gilt, muss Stephanie Göttmann-Fuchs ran. Sie leitet das Unterhaltungs-Ressort im Königshaus-Fachmagazin „Bunte“ und etikettiert ihr Heimatblatt nonchalant als offizielle Promi-Maßeinheit: „Nur ,in‘ ist, wer drin ist!“ Insofern ist „Bunte“ für Deutschland also das, was die Betty Ford Klinik für Hollywood ist.

Göttmann-Fuchs hat bereits vor 20 Jahren bei „Bunte“ angefangen und ist damit genau so lange im Celebrity-News-Business wie Daniela alt ist. Gemeinsam gelingt dem Plaudertaschenteam zumindest ein headlinerelevanter Achtungserfolg. Die Elitejournalistin entlockt der Titelaspirantin, dass sie noch nie eine Beziehung hatte und dementsprechend noch Jungfrau ist. Keine Sensationsoffenbarung, aber immerhin brisanter als der „Ich habe mir mal dein Instagram angeschaut“-Tango von Christian Düren.

Am Folgetag ist dann Rankin-Time. Die kurze Atempause am Vorabend nutzt Teamplayer-Koryphäe Kevin aber noch schnell für einen WG-Rundumschlag. Nach einem kurzen Ausflug in den Hygienesektor (“In eurem Klo war ein Kackstreifen“) widmet er sich einem Loyalitäts-Frontalangriff auf Zoe: „Wer ist denn hier Fake? Die eine hat einen Freund, benimmt sich aber im Backstage wie keine Ahnung sonst was!“ Was „keine Ahnung sonst was“ konkret heißen soll, lässt Kevin unkommentiert. Dass es als Hommage an Zoes Definition von Treue deklariert war, scheint aber implausibel. Welchen Kackstreifen Kevin übrigens genau im Zimmer von Zoe gefunden hat, also einen Til-Schweiger- oder einen Matthias-Schweighöfer-Film, lässt er ebenfalls offen.

Als das Rankin-Shooting beginnt, überlässt Heidi Klum es gönnerhaft den zehn Models, sich zu Pärchen zusammenzufinden, die sich gemeinsam authentisch in eine leidenschaftliche Erotikszene eskalieren können. Zoe schnappt sich Pierre, Canel okkupiert Eliob, Jannik tut sich mit Magdalena zusammen und Daniela wählt Moritz. Dramaturgisch wertvoll bleiben auf der Erotik-Resterampe also noch Aaliyah („Dann nehme ich halt, was noch da ist“) und Kevin („Mir egal, mit wem ich shoote“). Vor allem die Single-Kombination Daniela/Moritz verspricht dabei Knister-Potenzial. Diese Hoffnung kann auch Moritz nicht verheimlichen. Die Produktion wird nach seiner Aussage „Daniela hat mich gewählt, weil ich sehr professionell bin!“ erstmal für 20 Minuten unterbrochen, weil Moritz nach diversen Lachkrämpfen zunächst notbeatmet werden muss.

„Wir hatten fast Sex, aber das wurde uns nicht gesagt, das haben wir einfach gemacht!“

Nachdem Staffelphilosoph Pierre noch einen wertvollen Insidertipp spendiert hat („Wenn man übt, weiß man, was man macht!“) geht es dann endlich auf das „Driving Bed“: Ein LKW, der auf einem offenen Anhänger ein Bett quer durch Hollywood zieht, auf dem Rankin und Klum die zu knapp 95 Prozent nackten Pärchen zu intimen Gemeinschaftsposen drängen. Wobei, nicht alle müssen subtil zu libidinösen Eskapaden gezwungen werden. Canel und Eliob beispielsweise fallen übereinander her, als müssten sie den Paris-Hilton Kultfilm „One Night in Paris“ nachstellen. Freiwillig natürlich. Oder wie Canel sagt: „Wir hatten fast Sex, aber das wurde uns nicht gesagt, das haben wir einfach gemacht!“

Einfach machen ist leicht gesagt. Kandidatin Daniela, gerade von ihrer Jungfrau-Beichte zurück, und Moritz beispielsweise bekommen unvermittelt die volle Rankin-Dosis zu spüren: „Das ist unbeholfen!“ Offenbar sind Daniela und Moritz aber eine Turniermannschaft. Heidi Klum kommt aus dem Zotenfieber gar nicht mehr raus: „Jetzt hören die nicht mehr auf, sich zu küssen! Die sind ja besser als Canel und Eliob!“ Nicht ganz das Flirtniveau erreichen Zoe und Pierre. Klum ist dennoch zufrieden: „Das ist Meckern auf hohem Niveau, ihr habt beide einen Super-Schuss!“ Dass Pierre und Zoe einen Schuss haben, das findet auch Kevin. Klum allerdings, da bin ich mir ziemlich sicher, meint an dieser Stelle ein Foto.

Was Klum bei ihrem Urteil über Kevin und Aaliyah meint, ist dagegen ziemlich eindeutig: „Aaliyah, du siehst aus, als hätte dich gerade jemand getötet!“ oder „Kevin, das sieht aus, als würdest du sie erwürgen!“ Nicht zwangsläufig Szenarien, die man landläufig als sinnlich bezeichnen würde. Diese Einschätzung teilt auch Rankin: „Hier gibt es für mich nichts zu fotografieren!“ Mit der Zusammenfassung „Ich weiß gar nicht, wer von den beiden weniger Bock hat“ scheint die Entscheidung, wer das Halbfinale nicht erreichen wird, schon vor dem Final Walk gefallen zu sein.

Der findet allerdings aus Programmfüllungszwängen dennoch statt. Und auch Christian Cowan hat ja extra seine besten Glitzerfummel rausgelegt. Wie nicht anders zu erwarten, geleiten Heidi Klum und ihre heutigen Jury-Adjutanten Rankin und Cowan euphorisch Daniela und Moritz ins Halbfinale. Auch wenn Klum mal wieder einen ihrer eigenen Grundsätze verwässert und ihrem Konzept-Credo „GNTM ist keine Dating-Show“ aus der Auftakt-Folge diese Woche ein „Schade, ich dachte, ihr verliebt euch heute vielleicht am Set“ folgen lässt.

Noch scheint aber der Funke bei den beiden Vorzeige-Singles nicht übergesprungen zu sein. Außer auf den Fotos, die nur mit viel Wohlwollen das „FSK 16“-Zertifikat erreichen. Daniela und Moritz werden von Magdalena und Jannik sowie Pierre und Zoe ins Halbfinale begleitet. Folgerichtig verbleiben am Ende Canel, Aaliyah, Eliob und Kevin, von denen nur zwei das Ticket für die kommende Woche erhalten. Wie schon vermutet trifft es die Kackstreifen-Kontrahenten Kevin und Aaliyah. Ob die Toilette im jetzt nur noch von Zoe bewohnten Penthouse-Zimmer nächste Woche wieder sauber ist, verrate ich kommenden Freitag. Bis dann!