Ponente? Wer kennt das schon? Die meisten Menschen reduzieren Ligurien sowieso auf die Cinque Terre. Diese ist aber in der Levante. Levante – Ponente ist ein Begriffspaar, das Ligurien nicht gepachtet hat. Es wird auch im Süden Italiens, in Spanien oder Marokko angewandt. Mit Levante ist die Ostküste gemeint, dementsprechend mit Ponente die Westküste. Und westlich von Genua geht Ligurien weiter! Da gibt es Alassio, Imperia, San Remo, Ventimiglia und eben: Diano Marina.
Die ligurische Riviera di Ponente wird zuweilen auch Riviera dei Fiori genannt. Zwischen den teilweise mondänen Fremdenverkehrsorten grünt und blüht es reichlich. Die heutigen Blumenkulturen an der Küste gehen auf den deutschen Gärtner und Landschaftsmaler Ludwig Winter zurück, der hier 1870 mit dem Blumenanbau begann.
Ende des 19. Jahrhunderts ließen sich an der westlichen Riviera oft blaublütige Dauergäste aus dem Norden Europas nieder. Die Touristen aus dem Hochadel entdeckten die schönen Ecken der ligurischen Traumküste und errichteten standesgemäße Villen mit dazugehörigen parkähnlichen Küstengrundstücken. Oder sie logierten in den Hotels von Sanremo oder Bordighera. Hier entstand auch der Ruf der vornehmen Urlaubswelt an der Riviera.
(aus dem Blog Riviera di Ponente)
Zitronen und Carciofi
Über unser italienisches Domizil habe ich schon berichtet, z.B. im Artikel Ein Tag unter der ligurischen Sonne. Hier ist ein Update!
In der zweiten Hälfte April kam ich nach Diano Marina, gerade noch rechtzeitig zur auslaufenden Artischocken-Saison
Seit Jahren mache ich mir im Frühling jeweils Salat aus rohen Artischocken. Das habe ich hier in Ligurien kennen gelernt. Junge Artischocken werden unten und oben abgeschnitten und die äusseren Blätter grosszügig entfernt. Was übrig bleibt, wird in ganz dünne Carpaccio-Scheibchen geschnitten und mit viel Olivenöl, Zwiebeln, Knoblauch und frischen Pepperoncini angemacht. Eine Leckerei!
In der ersten Woche war ich alleine hier und erweckte das Haus aus dem Winterschlaf. Der Zitronenbaum im Garten trug leuchtende Früchte, woraus Barbara dann wieder neuen Limoncello macht. Dazu verwendet sie bloss die Schalen, die sie dann für ein paar Wochen in Alcool puro 96 gradi ansetzt. Zuerst fragte Barbara in der Apotheke nach Trinksprit, wie man das in der Schweiz gewohnt ist. Die Apothekerin schaute nur verwirrt und verwies auf das Getränkeregal im Supermarkt. Dort kann man für moderate Preise sogar mehrere Marken Trinksprit kaufen. Aber im Moment hat es noch letztjährigen Limoncello.
Mit dem Saft der Zitronnen macht Barbara dann Sirup. Gerade nach der Gartenarbeit ist Zitronensirup jeweils Gold wert.
Veränderungen, Bars und Cappuccino
Solange ich hier in Diano noch alleine bin, frequentierte ich gerne meine Lieblingsbar, das De Daré. Sie wird betrieben von Alice, einer Bäckerstochter, und ihrem Mann Davide und befindet sich im ehemaligen Ladenlokal der väterlichen Bäckerei, in einem kühlen Hinterhof, derweil die Bäckerei auf die Vorderseite des Gebäudes umzog. Leider verstarb unser lieber Freund, der 68jährige Bäcker Franco, letztes Jahr unerwartet. Seine andere Tochter, Bettina, versuchte, das Geschäft weiter zu führen. Als ich vor paar Wochen aber an der Bitega du Pan, die es seit 1972 gab, vorbei schlenderte, stellte ich mit Erstaunen fest, dass sie permanent geschlossen ist. Ich erfuhr, dass Bettina das Geschäft nicht halten konnte, was wir sehr bedauern.
Das De Darè öffnet erst gegen Abend. Für einen Cappuccino am Vormittag bevorzugen wir die vorgelagerte Jolly Bar. Wenn wir am Vormittag in das Dorf zum Einkaufen gehen, so ist es unser Ritual, im Jolly einen Cappuccio mit einem Croissant vuoto zu geniessen und den Leuten zuzusehen, die in der sonnigen Strasse flanieren. Während der Badesaison wälzen sich ganze Heerscharen Richtung Meer, vollbepackt mit Liegestühlen, Sonnenschirmen und aufgepumpten Dinosauriern aus Plastik.
Massentourismus – zuviel des Guten
Einige Bagnis (so etwas wie „Strandbäder“) hatten bereits vorwitzigerweise die Liegestühle hingestellt, obwohl es noch viel zu kalt ist. Man könnte meinen, dass die Betreiber kaum warten können, bis sich die Touristenströme über sie ergiessen. Dabei sind auch die Italiener der Massentouristen so langsam überdrüssig und wehrt sich mit verschiedenen Massnahmen dagegen. Venedig verlangt fünf Euro Eintritt (als ob es ein Vergnügungspark wäre). Auch für die Begehung der Wanderwege in der Cinque Terre wird eine Gebühr fällig, was ich wiederum begrüsse, denn Wanderwege müssen ja unterhalten werden (siehe z.B. den Artikel in der Frankfurter Rundschau).
Rom kämpft gegen den Vandalismus und will mit drastischen Bussen rücksichtslose Touristen davon abhalten, antike Bauten und Denkmäler zu besteigen und zu entwürdigen. Insbesondere ist es nicht mehr erlaubt, auf der Spanischen Treppe zu sitzen oder Kinderwagen über die Treppenstufen zu ziehen (gemäss Reisereporter).
Hier in Diano Marina sollen mit 500 Euro diejenigen gebüsst werden, die im Dorf in Badekleidern herum spazieren oder gar ein Lokal besuchen. Ich möchte denjenigen Dorfpolizisten sehen, der diese Verordnung durchsetzt!
Dichter und Admiräle
Mal abgesehen von diesen Versuchen, dem Massentourismus Herr zu werden, war es Ende April sogar in den Strassen recht ruhig. Das Dorf präsentierte sich noch ziemlich verschlafen. In Dante’s Caffè in Imperia sitzen nur Einheimische. Das Caffè ist sinnigerweise am Piazza Dante angesiedelt, in einem wohl fast 5 Meter hohen Arkadengang, der den monumentalen Platz in Imperia/Oneglia einfasst. Ich bin sehr gerne in dieser Gegend. Sie ist für mich ein Inbegriff italienischen Flairs. Und obwohl der hoch gebildete Dichter Dante Alighieri aus der Toskana stammt – er wurde 1265 in Florenz geboren – könnte er auch von hier stammen. Vielleicht wäre es ihm hier sogar besser ergangen. Als Spross des guelfischen Stadtadels, wurde von ihm erwartet, dass er sich politisch auf der Seite der Guelfen positionierte. Die Guelfen kämpften für die Interessen des Papstes gegen die kaisertreuen Ghibellinen. Diese gewannen in Florenz die Herrschaft und verurteilten Dante aus rein politischen Gründen kurzerhand zum Tode durch Verbrennen. Dante floh und ging ins Exil.
Damals war auch hier in Ligurien der Teufel los. Der Stadtadel stellte hier die Familie Doria. Der kaiserliche Admiral Andrea Doria wurde hier in Imperia/Oneglia geboren, allerdings erst 1466, war also kein Zeitgenosse Dantes. Die Dorias gehörten der Partei der Ghibellinen an. Zur Zeit Dantes kämpften die kaisertreuen Genuesen, angeführt von den Dorias, vornehmlich gegen die papsttreuen Venezianer.
Ich weiss nicht, weshalb Imperia Dante ebenso gedenkt, wie dem einheimischen Doria. Es gibt in der Tat auch einen Piazza Andrea Doria und eine Via Andrea Doria in Oneglia. Aber mehr nicht. Nun, mir persönlich ist ein Dichter auch lieber als ein Soldat.
Olivenöl und schwimmende Rehböcke
Ende April kam dann auch Barbara. Zusammen besuchten wir die Aromatica Ausstellung hier in Diano, wo jeweils einheimische Oliven und Olivenöl angeboten werden. Anfangs Mai blühen die Olivenbäume. Sie werden gegen Ende Jahr die neue Ernte tragen. Das ligurische Öl der Taggiasca Oliven ist bei Köchen deshalb sehr beliebt, weil es rund und lieblich ist, nicht kratzt und einen diskreten Eigengeschmack hat. Der Name „Taggiasca“ kommt vom Ort Arma di Taggia. Das hohe Zentrum des Taggiascaöls liegt in Lucinasco, im Hinterland von Imperia und Arma. Eine Flasche Olio Extravergine Cultivar Taggiasca aus Lucinasco ist ganz ‚was Edles. Nicht zu vergleichen mit „Olio Extravergine di Oliva 100 % Italiano“, bei dem man nicht weiss, woher es kommt und was drin ist. Der Zusatz „100 % Italiano“ soll wohl wie eine Qualitätsbezeichnung klingen, ist aber eher ein Euphemismus.
Barbara und ich spazieren oft über die Incomputa, die Küstenstrasse von Diano nach Imperia, wo wir einmal zuschauten, wie die „Ambulanze Verterinarie“ versuchte, einen Rehbock zu bergen, der sich aus dem Hinterland an die Küste verirrte. Als drei der Tierärzte nach einer halsbrecherischen Kletterpartie sich dem Tier näherte, stürzte es sich in das Mittelmeer und schwamm Richtung Korsika. Wir waren verblüfft, als wir sahen, wie schnell ein Reh schwimmen kann. Aber die Retter holten es dennoch bereits nach ca. 50 Meter ein und brachten es in Sicherheit.
Wetterkapriolen und Versöhnung
Ein ander Mal machten wir einen Ausflug in das malerische Dorf Perinaldo im Hinterland. Da war es zwar noch sonnig, aber einen Tag darauf prasselte ein Hagelunwetter herunter, dass sich ein regelrechter Sturzbach durch das benachbarte brachliegende Terrain ergoss und einen tiefen Canyon ins Erdreich riss. Doch bald erholte sich das Wetter wieder. Es wurde zwar schön, aber das Thermometer stieg selten über 21 Grad, was für die aktuelle Jahreszeit zu kalt ist. An Pfingsten besuchten wir das pittoreske Hinterlanddorf Montegrazie. Dort gibt es ein sehr berühmtes und gutes Restaurant. Wir wanderten zwar daran vorbei, dachten aber nicht einmal daran, einzukehren, weil wir glaubten, ohne Reservierung eh keinen Tisch zu bekommen. Dafür hatte Barbara ein Rendez-vous mit einer Katze, die es sich in der Sonne wohlergehen liess. So lässt es sich hier gut leben. Heute Morgen lugte die Sonne hinter einer Wolke hervor, die wohl zwischen Genua und Portofino hing.