Ich lasse sie im Stich

Niedergeschlagen trat Lando Norris an die Mikrofone der Reporter heran, die nur diese eine Frage umtrieb: Wie ist das bloß zu erkären? Der McLaren-Pilot Norris, der als WM-Führender und großer Favorit zum vierten Rennwochenende des Jahres nach Bahrain gereist kam, sah im Fahrerlager der Sakhir-Bahn jetzt auf einmal wie der große Verlierer aus, noch ehe die Startampel an diesem Sonntag (17.00 Uhr MESZ im F.A.Z.-Liveticker zur Formel 1 und bei Sky) erlischt. Wie ist das bloß zu erklären?

McLaren-Kollege Oscar Piastri bewies am Samstagabend seine Extraklasse und raste zur Pole-Position, der zweiten in diesem Jahr, der zweiten in seiner Karriere. „Ich kann dem Team nicht genug für das Auto danken, das sie mir an diesem Wochenende zur Verfügung gestellt haben“, sagte der Australier und freute sich. Norris hingegen glich angesichts des enttäuschenden sechsten Rangs im Startplatzrennen einem Häufchen Rennfahrer-Elend.

Was für ein Rückschlag. Im Kampf um den Sieg in Bahrain. Im Kampf um den Titel. Im Kampf um die Vorherrschaft im branchenführenden McLaren-Team. Norris, der im vergangenen Jahr beinahe Weltmeister geworden wäre, will in dieser Saison endlich den Titel einheimsen. Derjenige, den es auf dem Weg dahin zuvorderst abzuhängen gilt, Piastri nämlich, fährt an diesem Sonntag fünf Plätze weiter vorn ab.

„Ich hinke hinterher und weiß nicht warum“

Die Eindrücke der Wintertestfahrten von Bahrain noch im Kopf, galt es der Branche längst als ausgemacht, dass das McLaren-Duo die Pole-Position untereinander ausfahren würde. Die Trainingseindrücke untermauerten diese Vorhersage. Unter Flutlicht und bei etwas kühleren Temperaturen als am Tage erwies sich der orangefarbene, als Raketenfahrzeug gepriesene Rennwagen mit der Typennummer MCL39 im Sprint über eine schnelle Runde jedoch weniger überlegen als erwartet.

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Für Piastri reichte es dennoch, um den anderen komfortabel davonzusausen. Norris hingegen zuckte mit den Schultern. Sichtlich mitgenommen erklärte er, wie er noch hinter Pierre Gasly im Alpine landen konnte: „Ich war langsam“, sagte er. „Ich war das ganze Wochenende über langsam, also kommt das nicht so überraschend.“ Es stimmte zwar, dass Piastri schon während der Übungsrunden besser zurechtkam als er. Dass es für Norris als Sechsten so dick kommen würde, überraschte jedoch. An seinem Arbeitsgerät, das weiß Norris genau, liegt es nicht.

Norris schluckte. Und setzte nach: „Es fühlt sich so an als hätte ich noch nie ein Formel-1-Auto gefahren. Ich hinke hinterher und weiß nicht warum.“ Er müsse nun versuchen, Antworten zu finden. „Das Auto“, versicherte Norris, „ist phantastisch, ich habe nichts zu beanstanden. Das Team leistet großartige Arbeit, aber ich lasse sie im Stich.“ Ob Freud‘, ob Leid, Norris neigt zum Extremen, so kennt man ihn.

Doch in seinen Worten steckte auch Wahrheit. In seiner gesamten Karriere, das lässt sich mit Bestimmtheit sagen, lenkte Norris nie ein besseres Rennauto als jetzt. Doch abermals, wie kürzlich beim Grand Prix von Japan, den schließlich Max Verstappen gewann, verspielte der 25 Jahre alte Engländer den Sieg wahrscheinlich schon am Samstag. Norris, der so glänzend in die Saison startete und deutlich gereift wirkte, erscheint plötzlich wieder selbst als derjenige, der ihm im Wege steht auf seiner Titelmission.

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Während Norris nun im Verlauf der 57 Runden des Grand Prix zunächst einmal einige bissige Gegner überholen oder hinter sich halten muss, die beiden Silberpfeil-Piloten Geroge Russell und Andrea Kimi Antonelli, Charles Leclerc im Ferrari und Alpine-Mann Gasly starten vor ihm, Max Verstappen in seinem Nacken, kann Piastri, sollte ihm der Start gelingen, das Rennen von vorne kontrollieren. In Bahrain steckt darin noch ein größerer Wert als anderswo.

Schließlich gilt die Wüstenbahn wegen ihres rauen Asphalts und der hohen Temperaturen als besonders reifenzehrend. Vorbeizumüssen an Rivalen, in deren aufgewirbelter Luft zu kreisen, kostet Reifen, wie es in der Szene heißt, ruiniert die Gummis also schnell. „Ich glaube nicht, dass ich gewinnen werde“, sagte Norris bedient. Einen Platz auf dem Podium bezeichnete er als das Höchste der Gefühle.

McLaren-Teamchef Andrea Stella wollte Norris nicht abschreiben: „Lando ist ein wenig frustriert, dass er nicht in der ersten Reihe steht“, sagte Stella und sprach ein wahres Wort gelassen aus. „Aber er hat eine starke Rennpace und kann auf einer Strecke, auf der Überholmanöver möglich sind, viel erreichen.“ Möglich, ja. Aber selbst in einem McLaren ist Überholen mehr als eine Formalität.

Hamilton bittet um Entschuldigung

Stellas Optimismus ging Ferrari-Pilot Lewis Hamilton, das verriet der leere Blick, nach dem Qualifying vollkommen ab. Der Rekordweltmeister schaffte es nur auf Startplatz neun. Porca Miseria! Scheibenkleister! Selbst Carlos Sainz, den Ferrari für Hamilton vor die Tür setzte, war in seinem Williams schneller. „Unser Auto“, sagte der vierzig Jahre alte Engländer, „ist viel besser als das, was ich mit ihm abliefere.“

Hamilton lobte seinen Teamkollegen Leclerc und bat das Team um Entschuldigung dafür, „dass ich den Job nicht erledigt habe“. Auf die Frage, was an diesem Sonntag noch drin sei für ihn, winkte Hamilton ab. „Ich weiß es nicht“, sagte er und schüttelte den Kopf. „Ich habe wirklich keine Ahnung.“

Über 57 Touren dürfte er, der sich schon während der Trainingsrunden deutlich schwerer tat als Leclerc, einige Plätze gutmachen. Doch zum dritten Mal in diesem Jahr unterlag er seinem Teamkollegen im Startplatzrennen. Überhaupt und wenngleich Charles Leclerc sich auf Platz drei qualifizierte und wegen einer Strafe gegen George Russell auf Rang zwei vorrückt: Die Lage bei Ferrari bleibt angespannt.

Verstappen hat ein „Riesenproblem“

Und der Weltmeister? Für Max Verstappen reichte es im Red Bull zu Rang sieben hinter Norris. „Wie ich mich fühle im Auto, kann ich im Fernsehen nicht sagen“, sagte Verstappen dem Sender Sky. Aber er sagte es nicht leidend wie Norris. Er schmunzelte mit dem Selbstbewusstsein eines viermaligen Champions, der weiß: An ihm liegt es ganz sicher nicht.

„Wir haben das ganze Wochenende viele Probleme gehabt mit der Balance“, erklärte Verstappen. Sein Team habe zwar viel versucht, sei dabei jedoch erfolglos geblieben. „Gar nichts hat funktioniert“, sagte er. „Das ist ein Riesenproblem.“ Und weiter: „Probleme mit den Bremsen, Untersteuern, Übersteuern, kein Grip in den Reifen. Da lässt sich schwer die richtige Abstimmung finden.“

Den Rennsonntag hakte der Weltmeister ab und blickte nach vorn: „Es gibt eine Menge zu analysieren und zu besprechen, um zu verstehen, was wir an diesem Wochenende ausprobiert haben und wie wir am nächsten Wochenende angreifen können.“ Schon an Ostersonntag, dem Sonntag der nächsten Woche, steht in Dschidda die fünfte Tour des Jahres an (19.00 Uhr MESZ im F.A.Z.-Liveticker zur Formel 1 und bei Sky).

So weit war Lando Norris am Samstagabend dann doch nicht. „Oscar wird wohl alle überrunden“, sagte er. „Ich werde auf Platz zwei abzielen.“ Darin steckte die vielleicht einzige gute Nachricht für Norris: Sollte Piastri tatsächlich gewinnen, genügte ihm selbst der dritte Rang, um das schwierige Wochenende von Bahrain als WM-Führender abzuschließen.