Hugo Ekitike trifft für FC Liverpool bei Eintracht Frankfurt

Er rannte, als hätte er nur noch zehn Sekunden. Als würde er mit ein paar Freunden Verstecken spielen, als müsste er eben noch schnell einen Ort finden, um sich den Blicken von 60.000 Menschen zu entziehen, die nun genau beobachteten, was Hugo Ekitiké machte.

Der französische Stürmer hatte gerade in Frankfurt ein Tor geschossen, er hatte dafür 70 Meter Anlauf genommen, war an einem Verteidiger vorbeigerannt und hatte den Torhüter getunnelt. Aber als der Ball im Tor lag, rutschte er nicht auf beiden Knien zur Eckfahne oder schaute verwegen ins Publikum. Kaum jemand jubelte.

Ekitiké drehte sich schnell weg, er drückte die Handflächen zusammen, als bitte er um Entschuldigung. Dann sprintete er zurück in die eigene Hälfte, lief zur Trainerbank. Er spielt jetzt für den Liverpool FC, nicht mehr für Eintracht Frankfurt. Und er schoss für seinen neuen Klub am Mittwochabend das 1:1 in einem Champions League-Spiel, das Liverpool später 5:1 gewann.

Ein solches Tor hatte Ekitiké in der vergangenen Saison oft geschossen, da spielte er noch für die Frankfurter. Der Ablauf war aber der gleiche: Ein Verteidiger oder Mittelfeldspieler zirkelt den Ball an den Abwehrspielern vorbei, hinter denen sich der Franzose versteckt hat.

Hat die Defensive das verstanden, ist er schon einen oder zwei Schritte weiter. Es ist diese halbe Sekunde, die aus einem guten einen herausragenden Stürmer macht. Es ist diese halbe Sekunde, die aus Ekitiké einen der besten Konterstürmer der Welt gemacht hat. Und die der Eintracht im Sommer 95 Millionen Euro aus Liverpool bescherte.

Wird Ekitiké der beste Stürmer der Welt?

Es gibt Menschen bei der Eintracht, die sagen: Das war vielleicht zu wenig Geld. Weil Ekitiké nicht nur kontern kann, er schirmt auch den Ball vor riesigen Verteidigern ab, er schlängelt sich durchs Mittelfeld, er spielt neben einem zweiten Stürmer genauso gut wie alleine in der Spitze, genauso gut wie als Außenspieler. Er könnte eines Tages der beste Stürmer der Welt werden, sagen sie.

Ekitiké hätte im Sommer auch zu Manchester United wechseln können, zu Newcastle oder dem FC Chelsea. Er entschied sich für Liverpool, weil er schon auf dem Bolzplatz in seiner Heimatstadt Reims Fan des Klubs war. Als er in Frankfurt spielte, trainierte er privat in einem Trikot der Liverpool-Legende Steven Gerrard.

Jetzt, wenn er in Liverpool mit Freunden kicken geht, trägt er einen Eintracht-Zipper. „Sie haben aus mir den Spieler gemacht, der ich bin“, sagte Ekitiké nach dem Spiel. Bei seiner Auswechslung klatschte das gesamte Stadion, auf der Schlussrunde der Spieler schloss sich Ekitiké erst seiner alten Mannschaft an, bis er merkte, dass seine neuen Kollegen schon längst in die Kabine gehuscht waren.

Dino Toppmöller und sein alter „Schlawiner“ nach dem 1:5 der Eintracht gegen Liverpool.
Dino Toppmöller und sein alter „Schlawiner“ nach dem 1:5 der Eintracht gegen Liverpool.Reuters

Ekitiké machte noch kurz Halt bei den Mikrofonen der Journalisten, schwärmte über das Leben in Liverpool und seine Freiheiten. Und er sagte: Ich bin bereit im Kopf. Das war in Frankfurt nicht immer so. Dino Toppmöller nannte ihn mal einen Schlawiner, weil Ekitiké es gelegentlich vorzog auf einen Konter zu spekulieren statt seinen Gegenspieler am Ball zu stören.

Auch von seinem neuen Trainer, Arne Slot, durfte sich Ekitiké ein paar Worte anhören, nachdem er sich nach einem nicht besonders wichtigen Tor sein Trikot auszog – und Gelb-Rot sah. In Frankfurt aber war Slot mit Ekitiké zufrieden, er lobte dessen Geschwindigkeit. Und sagte zum 1:1: „Das war ein besonderes Tor.“

Slot, Liverpools holländischer Meistertrainer, dürfte damit gemeint haben, dass dieses Tor zeigt, was Ekitiké ausmacht: Tempo, Dribbling, Abschlussstärke. Irgendwann ist aus dem Schlawiner, der manchmal wie ein Weltklassestürmer spielt, ein Weltklassestürmer, der manchmal über den Platz schlawinert, geworden.

Die Eintracht-Abwehr hätte wissen müssen, was auf sie zukommt, schließlich haben wenige Verteidiger weltweit Ekitiké häufiger spielen sehen. Robin Koch entschied sich trotzdem, bis 70 Meter vors eigene Tor aufzurücken und seinem ehemaligen Kollegen damit den Platz zu geben, den er so gern hat. Das ist das große Problem dieser Eintracht-Mannschaft: Sie wissen, was kommt – aber nicht, was sie dann tun.

Slot sagte später, er sei von der Eintracht überrascht gewesen. Sieben, acht Spiele habe er sich angeschaut, aber am Mittwoch hätten die Frankfurter wie Manchester United oder Crystal Palace gespielt, nicht aber wie die Eintracht, die er dabei kennengelernt hatte. Er hatte mit einem 4-3-3 gerechnet, Toppmöllers Elf spielte dann aber mit Fünferkette und zwei Mittelfeldspielern. Liverpool hatte kurz Probleme, sich darauf einzustellen, geriet in Rückstand und stellte sein eigenes Pressing um.

Das funktionierte, weil der Ball oft am Boden war, nicht in der Luft, wie Slot sagte. Dort hatten seine Spieler zuletzt wenig Möglichkeiten, ihn zu erobern. Sie verloren deshalb vier Mal in Folge, unter anderem gegen, genau, Crystal Palace und Manchester United. Nicht aber gegen die Eintracht, die in den vergangenen sechs Spielen nun 23 Gegentore hinnehmen musste. Und für die es aktuell nicht einmal den zehntbesten Stürmer dieser Welt braucht, um gegen sie fünf Tore zu schießen.