Howard Carpendale im Interview über die Alkoholsucht seiner Frau

Herr Carpendale, viele Deutsche machen im Winter Urlaub in Ihrem Geburtsland Südafrika. Haben Sie Tipps?

Ich war lange nicht mehr da, das letzte Mal, als meine Mutter vor 13 Jahren gestorben ist. Wenn ich an Südafrika denke, werde ich immer melancholisch, weil ich glaube, die haben eine große Chance verpasst. Eines der schönsten Länder der Welt hätte ein Regenbogenland werden können. Aber die Regierung hat es vorgezogen, korrupt zu sein. Vielleicht ist alles zu schnell gegangen. Mit dem Wechsel der Macht von den Weißen zu den Schwarzen. Eine Mischregierung wäre wohl das richtige gewesen.

Sie schreiben in Ihrer Autobiographie von Ihrem ehemaligen Gitarristen Mike, der als Weißer Angst habe vor Angriffen durch Schwarze.

Mike wohnt in Johannesburg. Da geht es heißer zu als anderswo. Es ist auch falsch zu sagen: „die“ Schwarzen und „die“ Weißen. Es ist wie so oft eine Minderheit. Davon abgesehen glaube ich, man kann die Wut mancher Schwarzer zum Teil verstehen, angesichts dessen, was sie in Jahrzehnten der Apartheid erlebt haben.

Zu einem harmloseren Thema: Sport. Sie waren südafrikanischer Jugendmeister im Kugelstoßen, ein Cricket-Crack, haben Rugby-Bundesliga gespielt, sind Formel 3 gefahren, haben bei „Wetten, dass . . ?“ den Golfball einen Meter weiter geschlagen als Bernhard Langer. Was war der Sport, den Sie am besten beherrschten?

Meine Hoffnung war Cricket. Aber ich war leider nicht ganz so talentiert, wie Sie hier netterweise den Eindruck erwecken. Und ich habe auf zu vielen Hochzeiten getanzt. Die Deutschen können das schwer verstehen. Sie interessieren sich nur für wenige Sportarten, vor allem für die, in denen es erfolgreiche Landsleute gibt wie Boris Becker oder Steffi Graf. Das ist schade. Dadurch verpassen sie viel.

Wussten Sie, dass Costa Cordalis griechischer Meister im Skilanglauf war?

Ja. Sport- und Showbusiness haben eine große Affinität zueinander. Wobei ich mit Sportlern immer besser klargekommen bin als mit Menschen in der Musikbranche. Im Sport ist Authentizität ein höheres Gut.

Howard Carpendale im August 2025 in der Giovanni Zarrella Show
Howard Carpendale im August 2025 in der Giovanni Zarrella Showdpa

Gibt es auch einen Ausbildungsberuf, der für Sie infrage gekommen wäre?

Sie sind, noch keine 20, allein von Durban nach London gezogen. Über eine Anzeige, die sie dort gesehen haben – „Band sucht Sänger“ –, kamen Sie in den Sechzigern nach Deutschland. Was wussten Sie damals von dem Land, und wie waren Ihre ersten Eindrücke?

Ich bin Jahrgang ’46. Da kannte man Deutschland vor allem als das Land, das den Krieg begonnen und verloren hat. Als ich dann dort war, fand ich die Einstellung zur Hygiene irritierend. Für einen Südafrikaner war es normal, jeden Tag zu duschen. Das hat in Deutschland gedauert.

Ihre frühere Frau Claudia hat Sie mal als „undeutsch“ bezeichnet. Was meinte Sie damit?

Ein Wort: Freiheit. Ich habe gelebt, wie ich wollte, und habe mich nicht gefragt, was jemand anders darüber denkt. Eine gewisse Oberflächlichkeit hat mir dabei geholfen. Die Deutschen sind dafür zu tiefgründig. Aber dass kein falscher Eindruck entsteht: Ich würde lieber in Deutschland leben als in irgendeinem anderen Land auf der Welt.

Weil hier die Erde nicht wackelt. Noch nicht.

Als Sie in der Schlagerbranche groß wurden, gab es hier viele Künstler mit Migrationshintergrund: Wencke Myhre, Bata Illic, Ricky Shayne. Warum?

Die eigentliche Frage ist, warum gab es so wenig Deutsche? Ich glaube, das hat etwas mit der Ansicht zu tun, Schlagersänger sei kein richtiger Beruf. Was mich betrifft: Ich glaube, man hat mir nicht unbedingt wegen meiner Stimme einen Plattenvertrag angeboten, sondern weil ich ein blonder Typ aus Südafrika war, ein Kuriosum. Wie oft hat man mir gesagt: „Du bist doch gar nicht aus Südafrika, da gibt es doch gar keine Menschen, die aussehen wie du.“

Ihre zweite Single „Geh doch nicht am Glück vorbei“ erschien 1967, kurz vor den Studentenprotesten, zwei Jahre vor Woodstock. Fühlten Sie sich als jemand, der aus dem Beat kam, als Freigeist, nicht auf dem falschen Dampfer?

Doch, eine Zeit lang schon. Aber Sie müssen verstehen: Damals gab es in Deutschland nur diese Musik.

Sie haben mal gesagt: „Obwohl ich viele Schlager gesungen habe, war ich nie Schlagersänger.“ Was meinten Sie damit?

Bis 1975 habe ich Lieder gemacht, die man mir gegeben hat. Danach habe ich die Sache selbst in die Hand genommen und mein angelsächsisches Gefühl für Musik mehr durchgesetzt. Ich glaube, es gibt in Deutschland nicht viele Sänger, die so viele verschiedene Musikrichtungen gesungen haben wie ich. Man liest hier immer: Dieser und jener sei sich treu geblieben. Das ist dann positiv gemeint. Ich finde, sich treu bleiben ist langweilig.

Dieser Text stammt aus der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung.



Sie haben ein Duett mit Cliff Richard gesungen, einen Elvis-Talentwettbewerb gewonnen, Sie waren Ordner auf einem Stones-Konzert. Wer von diesen Künstlern ist Ihnen am nächsten?

Das sind alles sehr große Namen. Für mich war immer entscheidend, wie performen die auf der Bühne? Hits sind wichtig, aber die personality eines Künstlers zeigt sich in einem Drei-Stunden-Konzert. Wenn Showgiganten wie Elvis oder Dean Martin in einer Samstagabendshow im deutschen Fernsehen auftreten würden, würden selbst sie schrumpfen auf die Größe all der anderen, die da immer noch nach dem Motto der ZDF-Hitparade auftreten: kommen, singen, der Nächste.

Wo sehen Sie Ihren Platz im deutschen Musikgeschäft?

Die Sechziger, Siebziger, Achtziger und Neunziger wurden am Ende von den immer gleichen drei dominiert: von Udo Jürgens, Peter Maffay – und mir.

Was hat Ihnen geholfen, in einer Branche, in der es ja auch auf Jugend und Virilität ankommt, zu überdauern? Spielen da auch Dinge eine Rolle wie Ihr tolles volles Haar?

Na ja, Jugend: Inzwischen tendiert das Durchschnittsalter von Schlagerkünstlern in Richtung 60. Da muss man sich fragen: Was ist hier schiefgelaufen? Das Geheimnis einer langen Karriere sind im Übrigen nicht die Haare, sondern dass man sich als sogenannter Star nicht zu ernst nimmt. Ich habe mich immer über meine Erfolge gefreut, aber nie fürs Berühmtsein gelebt. Ich wusste, dass es jederzeit vorbei sein kann, und vielleicht ist es gerade deshalb immer weitergegangen.

„Es gibt nichts, worauf ich stolzer bin“: Carpendale 2023 mit seiner Frau Donnice
„Es gibt nichts, worauf ich stolzer bin“: Carpendale 2023 mit seiner Frau Donnicedpa

Nach Ihrem zwischenzeitlichen Abschied von der Bühne 2003 bekamen Sie Depressionen.

Es gab damals viele private Probleme. Mit meiner Frau, das ist bekannt. Mein bester Freund linkte mich finanziell. Und dann gab es dieses Leben in Florida, das mir nicht mehr gefiel. Nach 9/11 haben die Amerikaner ihre Einstellung zu fremden Leuten geändert, ich merkte, dass ich ein Außenseiter war, der, wenn er über den Irakkrieg redete, gesagt bekam: Ihr Deutschen habt viele Kriege verloren, ihr habt keine Ahnung. Und dann fehlte mir noch das neben meiner Familie Wichtigste: Ziele zu haben.

Ihre Multiple Sklerose, die zeitweise als Grund für Ihren Rückzug galt, kommt in der Autobiographie nicht vor. Warum?

Es gibt zwei Ärzte, die behaupten, dass ich MS habe, und es gibt ein paar andere, die sagen: Quatsch. Eigentlich glaube ich, ich habe eine milde Form, aber ob es überhaupt eine milde Form von MS gibt, wissen die Ärzte auch nicht so genau. Mittlerweile ignoriere ich das Thema einfach. Das ist mir sehr gut bekommen.

Sie schreiben auch über die Alkoholkrankheit Ihrer Frau, die sie ja inzwischen überwunden hat. Ich nehme an, Sie haben es mit ihr abgesprochen.

Erstens haben wir im „Stern“ vor zehn Jahren darüber geredet. Zweitens glaube ich, dass ihr das Thema wichtig ist. Wir haben diese Krankheit 18 Jahre lang erlebt – und es gibt nichts, worauf ich stolzer bin, als dass sie sie überwunden hat. Außerdem macht es uns beide wütend, dass man darüber debattiert, ob man einen Joint rauchen darf, dass aber der Alkohol, der Donnice fast umgebracht hätte, nach wie vor beworben und glorifiziert wird.

Einer Ihrer ersten Hits war „Das schöne Mädchen von Seite 1“. Kann man so etwas heute noch singen, oder gerät man da unter Sexismus-Verdacht?

Mit dem Sexismus-Vorwurf ist man heutzutage schnell bei der Hand. Gott sei Dank habe ich mich davon nie kirre machen lassen. Wir spielen „Das schöne Mädchen von Seite 1“ nach wie vor im Konzert, allerdings mit einer Rap-Stelle, um zu zeigen, dass wir darüber auch ein bisschen lächeln können. Aber ich möchte nicht einen Titel, der mir so viel gegeben hat, verleugnen oder schlechtmachen.

Sie gelten als Womanizer. Zu Recht?

Sie fragen so was einen fast Achtzigjährigen.

Ich sage nur: im Fahrstuhl, schon als Teenie.

Vielleicht war ich etwas früher dran als andere. Aber ich hatte immer Respekt vor Frauen. Und wenn ich gemerkt habe, jemand ist ein Fan, dann waren solche Themen für mich tabu.

Sie schreiben: „Wer fremdgeht, sollte den Anstand haben, es für sich zu behalten.“ Man könnte ja auch zum gegenteiligen Schluss kommen . . .

Ich rede da nicht vom ständigen Fremdgehen, sondern von jemandem, der mal einen Fehler macht. Da sollte man nicht, um sich selbst das Herz zu erleichtern, den Partner belasten. Ich muss allerdings dazu sagen: Ich bin jetzt seit über 40 Jahren mit meiner Frau zusammen, und diese Dinge kommen mir seit mindestens 30 Jahren gar nicht mehr in den Kopf.

Was hat es mit der Patientin auf sich, die angeblich aus dem Koma erwacht ist, als man ihr Ihre Songs vorspielte?

Genau weiß ich das nicht. Ich habe aber oft erlebt, welch wichtige Rolle man als Idol für das Leben mancher Menschen spielen kann. Damit sollte man sehr verantwortungsvoll umgehen. Ich lese viele Fanbriefe. Darin sehe ich, dass ein Gutteil dieser Welt sehr traurig ist.

Sie beschreiben in Ihrem Buch auch eine Missbrauchserfahrung aus Ihrer Kindheit. Ein Ihnen fremder Mann, vor dem Ihre Eltern Sie nicht genügend schützten, nahm Sie auf Ausflüge mit, setzte sich mit Ihnen auf eine Parkbank und ließ dabei, wie Sie schreiben, seine Hand immer weiter ihr Bein hinaufstreifen. Warum war es Ihnen wichtig, das zu schildern?

Weil das ein einschneidender Vorfall in meinem Leben war und weil wir einen amerikanischen Präsidenten haben, der es vollkommen okay findet, Freundschaften zu Leuten zu pflegen, die zuhauf junge Mädchen missbraucht haben.

Sie sind Trump vor 20 Jahren begegnet – beim Golfspielen.

Da, wo ich gelebt habe, in Florida, lebten sehr viele Millionäre und Milliardäre. Ich war da wahrscheinlich der Ärmste, aber Sie müssen jetzt kein Mitleid haben. Mit all diesen Typen habe ich auf dem Golfplatz über Trump gesprochen, denn er war immer ein Thema, und die haben über ihn gelacht, Witze über ihn erzählt. Wenn du diese reichen Menschen heute nach Trump fragst, nach diesem Lügner und Trickbetrüger, dann sagen sie dir, er sei der Größte, weil er ihre Steuern senkt. „Very good golfer, isn’t he?“, sagte Trump 2006 über mich in die Runde und klopfte mir auf die Schulter.

Er hatte zeitweise einen Buddy aus Ihrem Heimatland: Elon Musk. Wie denken die Südafrikaner über den?

Südafrika ist ein kleines Land, mit drei Millionen Weißen, und die haben jetzt den reichsten Mann der Welt. Manche sind darauf stolz. Für mich ist Musk ein Symbol für alles, was mit dieser Welt nicht in Ordnung ist. Eigentlich könnten wir uns wegen des technologischen Fortschritts auf eine wunderbare Zukunft freuen – aber nicht, solange 80 Prozent der Menschen auf dieser Erde ein Scheißleben führen und solange das Leuten wie Musk scheißegal ist.

Südafrika hat ja auch große Leute hervorgebracht: Nelson Mandela etwa.

Ich hatte eine wunderbare Begegnung mit ihm, in Bonn. Ich stand in einer Schlange von Menschen, die ihm die Hand schütteln durften, und als ich dran war, hab ich ihm gesagt: „Herr Mandela, wenn Sie hier sind, um der bekannteste Südafrikaner in Deutschland zu werden, muss ich Sie enttäuschen, denn der bin ich.“ Er hat von Herzen gelacht.

Zur Person

In Südafrika 1946 geboren in eine politische Familie, ein Großvater ist Bürgermeister von Durban.

Erste Erfolge als Sänger von ­Coverbeatbands.

Nach London zieht er 1965.

1970 gewinnt er den Deutschen Schlager-Wettbewerb; bis heute hat er 65 Millionen Tonträger ­verkauft.

Zwei Söhne, Wayne mit seiner ersten Frau Claudia, Cass mit der zweiten, Donnice.

Lebt am Starnberger See.

Die Autobiographie „Uner­wartet. Mein Leben“ (Heyne, 320 Seiten, 25 Euro) ist gerade erschienen. Eine Abschiedstournee ist für 2026 geplant.