
Hito Steyerl ist eine Spezialistin für die sogenannten schwierigen Themen: Bürgerkriege, Unterdrückung, neuartige Waffensysteme, der digitale Kapitalismus. Die deutsch-japanische Filmemacherin und Künstlerin inszeniert aufwendige Videoinstallationen, die ganz und gar mit Bildern und Tönen einer dystopischen Gegenwart gesättigt sind und dann diskursiv und mit Humor überhöht werden. Jetzt ist ihr neuestes Werk in einer nicht großen, dafür aber umso intensiveren Soloausstellung im Wiener Museum für Angewandte Kunst (MAK) zu sehen.
In Mechanical Kurds (2025) gleitet die Drohnenkamera über ein in der Hitze flirrendes Flüchtlingscamp im Nordirak, dann wiederum werden die Fahrten von Autorikschas, sogenannten Tuk-Tuks, durch das Barackenlager im Stil der Actionfilmreihe The Fast & Furious verfolgt. Eine junge Frau, Narin, die gemächlich das Areal durchschreitet, ist von hinten zu sehen. Im Offscreen-Kommentar erzählt sie, was sie hier macht: Nurin gehört zu einer Gruppe von kurdischen Geflüchteten, die als Microworker rekrutiert wurden, um eine KI zu trainieren und deren Bilderkennungskompetenz zu verbessern. Wer die Auftraggeber waren, blieb im Dunkeln, welchem Zweck die Arbeit dienen sollte, ebenfalls. Allerdings sei die KI heute, nur wenige Jahre später, in der Lage, sich selbst zu optimieren, sagt Hito Steyerl. Das menschliche Daten-Tagging war schnell hinfällig geworden, die Jobs wurden allesamt gekündigt. Der „rasende Stillstand“, von dem der Philosoph Paul Virilio schon in den Neunzigerjahren gesprochen hatte, hat die Krisenzonen und digitalen Schlachtfelder der Gegenwart eingeholt. Die Beschleunigungszyklen der technischen Entwicklungen werden immer enger getaktet, die Gesellschaft selbst kommt aber nicht vom Fleck – oder entwickelt sich sogar zurück.
Man mag in solchen Engführungen von prekären Lebensverhältnissen und Hypermoderne, von Technologie, militärischem Aufrüstungswahn und politischen Ausbeutungszusammenhängen das Pflichtprogramm sehen, das sich Hito Steyerl selbst auferlegt. So richtig zum Leben erwacht Mechanical Kurds allerdings erst in der Kür, wenn die Tuk-Tuks psychedelisch zu blinken beginnen und drei Männer mit umgedrehten Basecaps wie im Breakdance auf orange-dunkelviolettem Terrain akrobatisch rotieren. Eine Texteinblendung verkündet: „Gefangen im Traum der Künstlichen Intelligenz beginnen wir zu tanzen.“ Vielleicht das Update einer alten Weisheit des Afrofuturisten George Clinton aus den Siebzigerjahren: „Free your mind … and your ass will follow.“
Die Koppelung von Mechanical Kurds (2025) mit der älteren Arbeit Hell Yeah We Fuck Die (2016) zeigt, dass sich die Simulationstechniken in wenigen Jahren dramatisch verbessert haben: Die Roboteranimationen, die in der Installation zu sehen sind, wirken recht basal und werden – ein beliebtes Stilmittel Steyerls – mit tatsächlichen Filmsequenzen gegengeschnitten. In diesen Laborszenen sieht man Wissenschaftler, die brutal auf die Roboter eintreten, um ihre Resilienz zu testen. Denn die Maschinen sollen im militärischen Ernstfall Menschen vom Schlachtfeld retten. „Kein Roboter wurde dabei verletzt“, so lautet der ironische Kommentar von Hito Steyerl zu ihrer Arbeit. Die Laufbilder auf den im Raum verteilten Screens werden durch zusätzliche dreidimensionale Objekte installativ ausgebaut: Der Titel Hell Yeah We Fuck Die blinkt neonhell in übergroßer Typografie auf Schaukästen, die gleichzeitig als Sitzmöbel fungieren. Bei Mechanical Kurds – der Titel ist eine Anspielung auf den legendären, unbesiegbaren „Schachtürken“ aus dem 18. Jahrhundert, ein angeblicher Schachautomat, den in Wirklichkeit ein im Apparat versteckter Mensch bediente – wurden vor der Leinwand reale Autorikschas platziert, die von der Besucherin als Kinosessel verwendet werden können. Warum die Ausstellung im MAK allerdings, nach dem Schriftsteller und Satiriker Karl Kraus, Der Menschheit ist die Kugel bei einem Ohr hinein und beim anderen herausgeflogen heißt, bleibt rätselhaft.
Die Rechten kämpfen für eine Antiästhetik
Die ästhetische Gemengelage aus Sinn und Form, aus Wahnsinn und Gesellschaft, gruppiert sich sowohl in der Ausstellung in Wien wie auch in der Arbeit der Künstlerin ganz allgemein, auf manchmal harmonische, viel öfter aber auf disruptive Weise immer wieder neu. „Alle Werke von Hito Steyerl sind wie ein subtiles Gewebe miteinander verbunden“, sagt die MAK-Kuratorin Bärbel Vischer, die die Schau konzipiert hat. „Das erschließt sich allerdings erst dann, wenn man viele der sehr unterschiedlichen Arbeiten von ihr kennt.“
Steyerl versucht eine Balance zu finden zwischen den jeweils aktuellsten Bilderfindungs- und Bildbearbeitungsmethoden und der anschwellenden Monstrosität des KI-Aberwitzes. Derzeit seien vor allem in rechten Kreisen unter dem Titel „Slop“ besonders schlecht gemachte Trash-KI-Bildmontagen in Mode. Es gehe tatsächlich darum, eine Art Antiästhetik in der Kunst durchzusetzen, sagte die Künstlerin kürzlich in einem Interview mit der österreichischen Zeitung Die Presse: „Vielleicht kommt ja ein KI-verstärkter Neo-Futurismus? Das würde mich nicht wundern.“
Hito Steyerl will zeigen, was der Fall ist, ohne sich moralisch in Szene zu setzen. Ihre Filme oszillieren zwischen Gamer-Ästhetik und herkömmlichen dokumentarischen Praktiken, zwischen einem räudig-punkigen Found-Footage-Look und hyperrealistischen HD-Bildern, ohne die Übergänge zwischen unterschiedlichen visuellen Schichten zu markieren. Ihre Kunst ist integral, tanzt auf der Schnittstelle von Fakten und Fiktionen. Und sie katapultiert den Museumsbesucher im günstigsten Fall in eine Zone der existenziellen Instabilität, wo simple Antworten ausbleiben und die Fragen drängend werden. Traue nichts und niemandem, ist die zentrale Botschaft, die Hito Steyerl immer wieder neu visualisiert. Am allerwenigsten einem scheinbar authentischen Filmbild.
Die Ausstellung „Der Menschheit ist die Kugel bei einem Ohr hinein und beim anderen herausgeflogen“ von Hito Steyerl läuft noch bis 11. Januar 2026 im Wiener Museum für angewandte Kunst.