Hikikomori in Japan: Was passiert, wenn ihre Eltern sterben? – Panorama

Seit etwa 15 Jahren ist es im überalterten Japan üblich, betagte Menschen an ihre Sterblichkeit zu erinnern. Verwaltungen geben Ratgeber heraus, um sie bei den Shukatsu, den Aktivitäten am Lebensende, zu unterstützen. Das ist die feine japanische Art, den Leuten klarzumachen, dass sie der Nachwelt mit ihrem Tod möglichst wenige Umstände bereiten sollen, indem sie ihre eigene Bestattung organisieren, ihr Erbe regeln, ihr Haus entrümpeln. Und zunehmend kommt dazu die Bitte an die Alten, einen Versorgungsplan für ihr Hikikomori-Kind zu hinterlassen, falls sie eines haben.

Der Begriff Hikikomori kam in den 1990er-Jahren durch die Forschung des Psychologie-Professors Tamaki Saito in die Medien. Er beschreibt den Umstand, dass Menschen, vorwiegend junge Männer, in ihren Jugendzimmern verschwinden und dort für viele Monate, Jahre oder sogar Jahrzehnte bleiben. 1,46 Millionen Hikikomori gibt es nach einer Schätzung der Nationalregierung in Japan. Darunter sind widerspenstige Single-Söhne genauso wie ausgelaugte Erfolgsmenschen oder Verzweifelte, die immerhin zum Geldverdienen rausgehen. Das Phänomen ist vielfältig.

Und es wird begleitet von einer Sorge, die man in Japan das „80/50-Problem“ nennt. Was wird aus 50-jährigen Hikikomori, die sich von ihren 80-jährigen Eltern durchfüttern lassen, wenn diese sterben? Hilfsorganisationen und lokale Sozialämter reagieren. Mit Broschüren und Workshops versuchen sie, die Betroffenen auf eine Zukunft ohne Eltern vorzubereiten, erklären Pensionssysteme oder informieren über mögliche Finanzpläne. Aber vor allem ist die Vorsorge der Eltern gefragt.

Viele Hikikomori wissen nicht, wie man Geld abhebt oder Rechnungen bezahlt

Im Fokus stehen die Härtefälle, also jene Hikikomori, die seit ihrer Jugend nicht mehr am normalen Leben teilhaben und allein so gut wie hilflos sind. Im vergangenen Jahr berichtete die Zeitung Mainichi von einem 63-jährigen Mann, der die Leiche seines 95 Jahre alten Vaters ein halbes Jahr lang liegen gelassen hatte. Grund: Er habe sich die Bestattung nicht leisten können.

Armut ist nicht das einzige Problem. Das bestätigt die Finanzberaterin Masako Hatanaka, die seit mehr als 30 Jahren Hikikomori-Eltern betreut. „Wenn ein Elternteil plötzlich stirbt, kann die zurückgezogene Person möglicherweise auch in einem schönen Haus oder mit viel Vermögen nicht die nötigen Formalitäten erledigen“, sagt sie in einem Interview mit der Zeitschrift Aera. Viele Hikikomori wissen nicht, wie man Geld abhebt oder Rechnungen bezahlt. Wenn ihnen niemand hilft, sitzen sie irgendwann ohne Strom und fließendes Wasser in kaputten, vermüllten Häusern. Andere wissen zwar, wie man Geld abhebt, aber nicht, wie man damit umgeht. Masako Hatanaka kennt einen Fall, in dem ein Hikikomori Mitte 50 in nur drei Jahren mehr als 200 Millionen Yen (1,1 Millionen Euro) seines Erbes ausgab.

Masako Hatanaka empfiehlt, mit zurückgezogenen Töchtern und Söhnen Cashflow-Rechnungen zu erstellen und ein System aufzubauen, in dem Geschwister oder andere Leute Hilfe leisten können. Die Eltern sollen zusehen, dass sie nicht unvorbereitet sterben. Denn die Hikikomori-Kinder haben ein Leben nach dem Tod der Eltern.