
Fachkräftemangel gehört neben Bürokratie und hohen Energiekosten zu den meistgenannten Hemmnissen der Wirtschaft – im Handwerk ebenso wie in der Industrie, im Handel wie im Gastgewerbe. Entsprechend groß ist die Hoffnung zum Beginn des Ausbildungsjahrs, dass möglichst viele junge Leute die passende Lehrstelle finden. Doch noch eine Woche vor dem Stichtag waren beispielsweise auf der Internetseite von Provadis noch 22 Ausbildungsplätze bei Betrieben im Industriepark Höchst ausgeschrieben – für das Ausbildungsjahr 2026 sind es 180.
Auch die Frankfurter Industrie- und Handelskammer (IHK) wies kürzlich noch auf Hunderte unbesetzte Stellen hin. Ende Juni hatten die hessischen Arbeitsagenturen landesweit noch 13.600 unbesetzte Lehrstellen gemeldet, und knapp 15.000 junge Leute, die noch einen Ausbildungsplatz suchten. Auch wenn längst nicht jede Stelle und jeder Bewerber bei den Arbeitsagenturen registriert sind, zeigt sich ein Missverhältnis, das bedeutet, dass für rund 1400 junge Menschen kein Ausbildungsplatz zur Verfügung steht. Da es bei Angebot und Nachfrage oft regionale Unterschiede gibt, und auch fachliche, dürften dennoch viele Lehrstellen unbesetzt bleiben.
Dennoch hat das Ganze auch eine positive Seite: „Junge Leute haben wieder mehr Lust auf eine betriebliche Ausbildung“, sagt der Chef der hessischen Arbeitsagenturen, Frank Martin. Leider seien die Arbeitgeber angesichts der aktuellen Wirtschaftslage derzeit eher zurückhaltend, kommentiert er die Lage. Dennoch gelte: „Wer jetzt Initiative zeigt, hat noch gute Chancen, einen passenden Ausbildungsplatz zu finden.“ Die Möglichkeiten seien da, müssten aber ergriffen werden. Die Arbeitsagenturen bieten aktuell mit ihren Berufsberatern Unterstützung sowohl im persönlichen Gespräch als auch in unterschiedlichen digitalen Formaten an. „Wir sind bereit, jeden zu unterstützen“, so Martin. Denn auch in den nächsten Wochen ist der Einstieg in eine Ausbildung noch möglich.
Darauf verweist auch die IHK Frankfurt, die mit gut 2700 bis Ende Juni geschlossenen Verträgen für das neue Ausbildungsjahr ein Plus von fünf Prozent im Vergleich zum Vorjahr verbucht hat. „Berufsausbildung ist wieder stärker gefragt“, so Brigitte Scheuerle, in der IHK-Geschäftsführung zuständig für Aus- und Weiterbildung. Sie führt das auch auf die verstärkten Angebote zur Berufsorientierung zurück. „Die Unternehmen haben verstanden, dass sie sich trotz herausfordernder Konjunktur auf die demographische Entwicklung einstellen müssen“, sagt Scheuerle. Insbesondere legten Banken, Immobilienunternehmen, Metallbetriebe und der Einzelhandel erkennbar zu. Leicht zurückgegangen sei dagegen das Angebot an Ausbildungsplätzen für IT-Berufe, in der Chemiebranche gebe es sogar einen Rückgang um 20 Prozent. Ein Indiz dafür, dass zunehmend für den Eigenbedarf ausgebildet werde, sei, dass mehr als die Hälfte aller IHK-Unternehmen ihre Absolventen nach der diesjährigen Prüfung übernommen hätten.
Der Wandel durch das Ausscheiden der geburtenstarken Jahrgänge aus dem Berufsleben zeigt sich auch an Daten aus den vergangenen Jahren, die das Institut für Wirtschaft, Arbeit und Kultur (IWAK) in seinem Report zur betrieblichen Ausbildung für Hessen nach Befragung von 1068 Betrieben für das IAB-Betriebspanel jetzt vorgelegt hat.
Lediglich 26 Prozent der Betriebe in Hessen haben demnach im Ausbildungsjahr 2023/2024 ausgebildet. Damit wurde der 2016 und 2021 gemessene Tiefstwert abermals erreicht. Knapp die Hälfte gab als Grund an, dass ihr das Personal dafür fehle. Dennoch wurden im Ausbildungsjahr 2023/24 in Hessen hochgerechnet rund 65.000 Ausbildungsplätze angeboten – das war der zweithöchste Wert seit Beginn der Erhebungen 2002. Allerdings wurden nur 73 Prozent der Plätze besetzt – ein deutlicher Rückgang im Vergleich zum Vorjahr, da waren es 84 Prozent. 2022/2023 hatte die Zahl der angebotenen Ausbildungsplätze mit 71.000 einen Rekord erreicht.
Im verarbeitenden Gewerbe bildeten 2023/2024 43 Prozent der Betriebe und im Baugewerbe 38 Prozent aus. Damit lag der Anteil in den beiden Sektoren deutlich höher als bei Handel und Reparatur (28 Prozent), Öffentlicher Verwaltung und Organisationen ohne Erwerbszweck (25 Prozent) und Sonstige Dienstleistungen (24 Prozent). Die Übernahmequote ist seit 2004 kontinuierlich gestiegen und erreichte im Jahr 2024 landesweit den Höchstwert von 76 Prozent.
Erheblich gestiegen sind die Chancen für Schulabgänger ohne Abschluss. So gaben 56 Prozent der Betriebe in der Befragung an, auch diese Bewerber bei Eignung zu nehmen. Im Jahr 2013 hatten nur 29 Prozent der Unternehmen solche jungen Leute berücksichtigt. Besonders hoch ist diese Quote der Erhebung zufolge in der Baubranche. Ein guter Eindruck bei der Bewerbung, im Praktikum oder bei der Probearbeit, eine Empfehlung, ein Eignungstest und öffentliche Förderung seien in solchen Fällen ausschlaggebend gewesen.
Wirtschaftsminister Kaweh Mansoori (SPD) sieht in den Ergebnissen der Studie den Beleg dafür, dass Investitionen in Ausbildung und Qualifizierung unerlässlich sind, um den Fachkräftemangel zu bekämpfen. Das Land werde das mit dem bis zum Jahr 2029 verlängerten „Bündnis Ausbildung Hessen“ weiter unterstützen.
Neben der Werbung bei Betrieben und jungen Menschen für die duale Ausbildung ist es nach Ansicht von Arbeitsagenturchef Martin wichtig, „beide Seiten auch zu mehr Flexibilität aufzurufen“. Nicht selten fänden Bewerber und Unternehmen nicht zusammen, weil die Beteiligten sich einen zu engen Rahmen gesetzt hätten, und verwies dabei auf abgebrochene Schulkarrieren. Der Arbeitsmarktexperte appellierte darum an die Unternehmen: „Wer in seinem Betrieb eigene Nachwuchskräfte ausbildet, nutzt die Chance, gezielt qualifiziertes Personal zu entwickeln und langfristig zu binden.“ Für Bewerber seien Probearbeit und Praktika häufig der erste Schritt zu einem Ausbildungsvertrag – und für Betriebe zu einer künftigen Fachkraft.