

Der hessische Innenminister Roman Poseck (CDU) zeigt sich offen für eine „Weiterentwicklung und Neujustierung“ der Meldestelle „Hessen gegen Hetze“. In der anhaltenden Debatte über die polizeiliche Durchsuchung der Berliner Wohnung des Publizisten Norbert Bolz hat der Minister die in seinem Haus angesiedelte Einrichtung aber auch verteidigt.
Sie steht in der Kritik, weil von dieser Online-Plattform der erste Hinweis kam, dass Bolz im Januar 2024 in einem Tweet in leicht erkennbarer Ironie die nationalsozialistische Losung „Deutschland erwache!“ zitiert hatte. Die vom hessischen Innenministerium eingerichtete Stelle hatte den Vorgang dem Bundeskriminalamt übermittelt. Von dort ging er an die Berliner Generalstaatsanwaltschaft.
Die ordnete eine Hausdurchsuchung an und schickte vier Polizisten zu Bolz. Nicht nur die hessische AfD, sondern auch Stimmen aus dem linken Teil des politischen Spektrums in Deutschland fordern nun die Schließung der Stelle. Sie leiste der „Denunziation“ Vorschub und schränke die Meinungsfreiheit, so die Kritiker.
Aus der Meldestelle in Wiesbaden stammte auch der Hinweis auf die Darstellung des früheren Bundeswirtschaftsministers Robert Habeck (Die Grünen) als „Schwachkopf“. In diesem Zusammenhang war es schon im November des vergangenen Jahres zu einer Durchsuchung gekommen, die parteiübergreifend als unverhältnismäßig eingestuft wurde.
„Falsch, die Meldestelle an den Pranger zu stellen“
„Eine weit gefasste Meinungsfreiheit ist unverzichtbar für eine lebendige Demokratie“, konstatiert Poseck auf Nachfragen der F.A.Z. Daher könne er nachvollziehen, dass die Durchsuchung bei Bolz „auch auf Unverständnis gestoßen“ sei. „Aus meiner persönlichen Sicht auch als ehemaliger Richter hätte die Berliner Justiz anders agieren, die Äußerung stärker in den Gesamtkontext stellen und damit auf eine Durchsuchung verzichten können“, so Poseck.
Es sei aber „falsch, jetzt die Meldestelle in Hessen an den Pranger zu stellen“. Die Bewertungen und Entscheidungen, die zur Durchsuchung geführt hätten, seien durch die Berliner Justiz getroffen worden. Die Meldestelle entscheide nicht. Sie nehme lediglich eine erste unverbindliche Bewertung vor.
„Dabei finde ich es nachvollziehbar, dass sie eine Strafbarkeit im Fall Bolz nicht vornherein ausgeschlossen und die Sache deshalb zunächst an das BKA weitergegeben hat“, so Poseck. Schließlich seien die gewählten Worte isoliert betrachtet nach ständiger Rechtsprechung wegen des NS-Bezuges strafbar. Die nähere Abwägung, auch im Kontext von Meinungsfreiheit und Satire, sei ausschließlich Sache der Justiz. „Die Meldestelle ist weder eine Staatsanwaltschaft noch ein Gericht.“
AfD fordert Abschaffung der Meldestelle
Sie dürfe nicht auf den Fall Bolz reduziert werden und nehme eine wichtige Funktion zur Durchsetzung des Rechtsstaats und zum Schutz von Betroffenen wahr. Der Fall Bolz gebe aber Anlass, über Bedeutung und Reichweite der Meinungsfreiheit zu diskutieren.
Dabei sei es legitim, „auch die Arbeitsweise der Meldestelle auf den Prüfstand zu stellen“. Die Aufgaben und Zuständigkeiten sollten fair und sachlich betrachtet werden. Die „bewusste und einseitige Skandalisierung durch die AfD“ nennt Poseck unredlich. Es sei bezeichnend, dass ausgerechnet die AfD die Abschaffung der Meldestelle fordert.
Strafrechtlich relevante Debattenbeiträge
Dabei sei gerade diese Partei häufig für Hass und Hetze selbst verantwortlich. Zum Beispiel zögen ihre Beiträge in den sozialen Medien immer wieder unerträgliche und auch strafrechtlich relevante Debattenbeiträge nach sich. „Offensichtlich geht es der AfD auch in Hessen darum, die Grenze des Sagbaren zu verschieben.“ Das sei ein gefährlicher Ansatz, der mit dem Ziel eines friedlichen und lebendigen Diskurses nicht in Einklang stehe.
Die Meldestelle war Teil eines Aktionsprogramms, das die frühere schwarz-grüne Landesregierung nach dem Mord an dem langjährigen Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke (CDU) im Sommer 2019 beschloss. Vor und nach der Tat fanden sich im Internet so viele von Hass erfüllte Kommentare, dass man den Bürgern jenseits der Möglichkeit, Strafanzeige zu erstatten, die Gelegenheit geben wollte, rassistische und volksverhetzende Äußerungen im Internet ohne größeren Aufwand zu melden.
Strafbar sind beispielsweise das Verbreiten von Propagandamittel verfassungswidriger und terroristischer Organisationen, Beleidigung und Volksverhetzung. Im vergangenen Jahr wendete die Landesregierung für diesen Zweck, nach eigenen Angaben rund 1,1 Millionen Euro auf. Acht Mitarbeiter unterziehen die eingehenden Meldungen im Hinblick auf den Gefährdungssachverhalt sowie potenziell strafbare oder extremistische Inhalte einer ersten Bewertung. Knapp die Hälfte fallen unter den Tisch.
Die Stelle habe eine erste Filter- und Mittlerfunktion und entlaste die Strafverfolgungsbehörden, heißt es im Innenministerium. Zwischen dem Start im Januar 2020 und dem 30. September 2025 wertete sie knapp 85.000 Meldungen aus. In diesem Zeitraum wurden knapp 27.000 Meldungen wegen potenziell strafrechtlicher Relevanz an das BKA und knapp 14.000 Meldungen an die Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt weitergeleitet.
Das Innenministerium nennt auf Nachfragen eine Vielzahl von Beispielen für übelste Kommentare, die zuletzt auch im Zusammenhang mit dem Terrorakt der Hamas auf den Staat Israel vom 7. Oktober 2023 standen. Die in Wiesbaden eingehenden Meldungen stammen nicht nur aus Hessen, sondern in großer Zahl auch aus anderen Bundesländern – obwohl es auch dort solche Meldeportale gibt.
