Haus der Demokratie: Die Frankfurter Paulskirche muss zum Leuchtturm der Demokratie werden

Insgesamt 126 Architektenteams aus dem In- und Ausland haben sich am städtebaulichen Ideenwettbewerb zum Haus der Demokratie beteiligt. Das ist ein deut­liches Zeichen für bürgerschaftliches Engagement und für die Strahlkraft der Paulskirche in Verbindung mit einem Haus der Demokratie.

Für den Bürgerverein Demokratieort Paulskirche sind die der Öffentlichkeit vorgestellten Entwürfe ein wichtiger Anfang. Sie bleiben jedoch im Verhältnis zur inhaltlichen Ausgestaltung und in ihrem Verhältnis zur Paulskirche im Ungefähren, weil ein konkretes Programm für das Haus in die Ausschreibung des Wettbewerbs nicht eingegangen ist. Als Bürgerverein haben wir im Mai 2025 einen solchen Programmvorschlag mit konkreten inhaltlichen Anforderungen der Öffentlichkeit vorgestellt.

Auseinandersetzung mit Vergangenheit hat Zukunftspotential

Dreh- und Angelpunkt für eine stimmige Gestaltungslösung ist aus unserer Sicht die Klärung der Bezüge zwischen der Paulskirche und dem sie ergänzenden Haus der Demokratie. Die Paulskirche braucht diese Ergänzung, damit sie ihre nationale und europäische Bedeutung angemessen zur Geltung bringen kann. Dazu benötigt sie Räumlichkeiten für Funktionen, die sie selbst nicht bereitstellen kann. Diese Dienstfunktion für die Paulskirche ist der eigentliche Zweck des Hauses der Demokratie, an diesem Zweck muss sich seine Gestaltung ausrichten.

Will den charakter der Paulskirche bewahren: Bettina Wiesmann ist Vorsitzende des Bürgervereins Demokratieort Paulskirche e.V.
Will den charakter der Paulskirche bewahren: Bettina Wiesmann ist Vorsitzende des Bürgervereins Demokratieort Paulskirche e.V.Lucas Bäuml

Zugleich hat die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit auch ein Zukunftspotential. Damit der Dialog von Geschichte und Gegenwart tatsächlich einen Ertrag für die Zukunft bringt, müssen Paulskirche und Haus der Demokratie als Ensemble gedacht werden, das mehr ist als die Summe seiner Teile. Sie müssen diesen Dialog auch baulich verkörpern.

Für die weitere Entscheidung gelten für uns folgende Prüfsteine:

Die Paulskirche ist für uns nicht nur ein Denkmal für den Aufbruch zur Demokratie in ganz Deutschland und die Nationalversammlung von 1848/49, die die erste gesamtdeutsche Verfassung her­vorgebracht hat. Sie ist auch ein Zeugnis der Umkehr und des Wiederaufbaus nach totalitärer Herrschaft, einem von Deutschland verursachten Vernichtungskrieg und der Schoa sowie ein Sinnbild für mehr als 75 Jahre freiheitliche parlamentarische De­mokratie. Für uns ist die Paulskirche das „Signature Building“. Deshalb hat sich das Erscheinungsbild des Hauses der Demokratie gegenüber der Paulskirche zurückzunehmen. Das gilt auch für einen Dachgarten oder spektakuläre Dachkonstruktionen auf dem Gebäude der Kämmerei.

Vor diesem Hintergrund sind die schlichte Ausstattung der Paulskirche, ihr Plenarsaal mit den Flaggen, der Orgel und seiner Aura sowie die Raumfolge zu respektieren. Der Plenarsaal sollte – jenseits multimedialer Elemente zur Veranschaulichung historischer Ereignisse – auf keinen Fall für flexiblere Nutzungen umgestaltet werden. Das gilt ebenso für den Torweg, die Wandelhalle, die Rotunde mit dem Wandbild von Johannes Grützke und den Aufgang in den Plenarsaal, die gemeinsam die Kernbotschaft der Paulskirche formulieren: Vom Dunkel ins Licht!

Diese Botschaft unserer Demokratiegeschichte soll erhalten bleiben. Der Torweg soll weiterhin der Haupteingang zur Paulskirche sein. Auch kommt ein Eingang ins Haus der Demokratie, der nicht vom Eingang in die Paulskirche sichtbar ist, nicht infrage. Die Verbindung zwischen Paulskirche und Haus der Demokratie muss durch die Eingangs­situation lesbar sein.

Paulskirche in ihrem Erscheinungsbild bewahren

Damit die Paulskirche in ihrem Erscheinungsbild erhalten bleibt, darf sie nicht mit Funktionen überladen werden. Dafür ist in der Paulskirche und in der Wandelhalle kein Platz. Diese Funktionen sollen im Haus der Demokratie untergebracht werden – einem multifunktionalen Zentrum, das dem Denkmal Paulskirche und der historisch-politischen Bildung dient und sich in die Aufgabenbereiche Ausstellung, Werkstatt, Forum und Forschung gliedert. Hier sollen die mit der Paulskirche verbundenen historischen Erfahrungen, ihr Geist und ihre Botschaft anschaulich werden, in vielfältigen Akti­vitäten ins Heute übersetzt, angewendet und diskutiert werden. Entstehen soll eine Vermittlungsarbeit, die aus den Brüchen wie den Gelingensmomenten der De­mokratiegeschichte Impulse für das Demokratieverständnis, für demokratische Kom­petenzen und für demokratisches Engagement in der Gegenwart gewinnt.

Ort der Debatte: Rund um die Frankfurter Pauslkirche soll ein Haus der Demokratie entstehen.
Ort der Debatte: Rund um die Frankfurter Pauslkirche soll ein Haus der Demokratie entstehen.Victor Hedwig

Alles, was in diesem Haus der Demokratie geschieht, soll so weit wie möglich den Blick auf die Paulskirche ermög­lichen. Das gilt für Veranstaltungs- und Vermittlungsformate der historisch-po­litischen Bildung genauso wie für Dis­kussions- und Partizipationsformate und für die Präsentation der Wirkungsgeschichte der Nationalversammlung mit ihren europäischen, globalen und aktuellen Bezügen.

Für die Gestaltung des Gesamtkomplexes entscheidend ist die inhaltliche Verbindung zwischen Paulskirche und Haus der Demokratie, die sich auch in der baulichen und stadträumlichen Gestaltung zeigen muss. Idealerweise entsteht zwischen beiden Gebäuden ein Dialog, der die Würdigung der Anfänge der deutschen Demokratie und ihre darauf fußende Weiterentwicklung zum Gegenstand hat. Sicht- und Wegeverbindungen, die Stellung der Baukörper zueinander, das Verhältnis der Zugänge, architektonische Zitate können dazu beitragen. Dabei soll die Paulskirche weiterhin als Solitär zur Geltung kommen; zugleich soll das Haus der Demokratie ausdrücken, was eine moderne parlamentarische Demokratie heute kennzeichnet: Transparenz, offe­ner Diskurs, Begegnung, Respekt, Teilhabe und Freiheit. Ein in diesem Geist kre­iertes Ensemble kann ikonischen Charakter gewinnen. Dieser Anspruch muss in der Ausschreibung des architektonischen Rea­lisierungswettbewerbs klar formuliert werden.

Als multifunktionales Demokratiezentrum benötigt das Haus der Demokratie angemessene Ausstellungsflächen, um die Revolution von 1848/49, ihre Wirkungen in der deutschen Demokratie- und Verfassungsgeschichte, ihre europäische Einbettung, aber auch die Geschichte des Bauwerks Paulskirche in zeitgemäßer Form zu beleuchten und wechselnde aktuelle Fragen der Demokratieentwicklung mit historischen Bezugspunkten zu thematisieren. Dies müssen das Raumprogramm, die historisch-politische Bildungsarbeit, Impulse zu übergreifenden gesellschaftlichen Debatten und begleitende Forschungs­aktivitäten abbilden.

Auch die Idee einer digital unterstützten „Paulskirchenbibliothek“ zu Demokratiefragen in Zeit und Raum, gestaltet als Agora, die die vertiefende Befassung mit dem Erlebten ebenso ermöglicht wie spontanen Austausch, begrüßen wir. Ei­nen weiteren großen Versammlungsraum im Haus der Demokratie halten wir hingegen für verzichtbar.

Orientierung bieten

Übergreifend sehen wir es als wichtig an, dass das künftige Ensemble aus Paulskirche und Haus der Demokratie den un­terschiedlichen Ebenen von Demokratie Raum gibt. Die parlamentarische Demokratie unseres Grundgesetzes ist eine Herrschaftsform, die Strukturen und Verfahren benötigt, um funktionsfähig zu sein. Sie ist zugleich eine Gesellschaftsform, in der sich Menschen von Grund auf demokratisch organisieren, zum Beispiel in Vereinen, und eine Lebensform, ein auf demokratischen Werten beruhendes soziales Miteinander. Alle drei Ebenen gehören zusammen und bilden gemeinsam die Stärke eines demokratisch gestalteten Gemeinwesens, das Bedrohungen standhält und zur Weiterentwicklung in der Lage ist.

Des Weiteren ist eine strukturierte Nutzungs- und Kapazitätsplanung er­forderlich, die zwischen organisierten Besuchergruppen, angemeldeten Einzelbe­suchern, besonders angesprochenen Zielgruppen (Schüler, Zuwanderer) und spon­tanen Besuchern unterscheidet und der angestrebten Breitenwirkung des Hauses entspricht.

Schließlich sollen die Belange der Stadt Frankfurt berücksichtigt werden. Die Akzeptanz des Hauses der Demokratie an der Paulskirche durch Frankfurterinnen und Frankfurter wird auch davon abhängen, dass sich eine substanzielle Aufwertung des Areals um die Paulskirche, insbesondere östlich des eigentlichen Pauls­platzes, aber auch an der Berliner Straße ergibt und damit ein echter touristischer und Standort-Mehrwert im Wettstreit mit anderen Metropolen geschaffen wird.

Im Dialog mit einem Haus der Demokratie kann die Paulskirche zu einem Leuchtturm der Demokratie werden, der Menschen in Deutschland und Europa Orientierung bietet, sie in ihrer demokratischen Überzeugung bestärkt und Anstöße zur demokratischen Entwicklung gibt. Dieser Anspruch sollte für den weiteren Planungsprozess maßgeblich sein.