Hart aber fair mit Miersch und Kubicki


Was wäre diese Sendung ohne Christina Böhm gewesen, die Geschäftsführerin eines familiengeführten Malereibetriebs aus Strullendorf bei Bamberg, erkennbar als die Frau mit dem exzentrischen Kopfschmuck? In vierter Generation arbeitet in ihrem mittelständischen Unternehmen „ein 30 köpfiges Team von erfahrenen Handwerkern aus über zehn Nationen, die mit Herz und Seele bei der Sache sind“, wie es auf der Internetseite dieses Malereibetriebs heißt. Böhm durchbrach mit ihrer zupackenden Anwesenheit und ihren erfahrungsgesättigten Ausführungen bei „Hart aber fair“ den grauen Wiederholungszwang der gegenwärtigen Talkshow-Szene, wo in einer Art Endlosschleife immer wieder dasselbe Stück gegeben wird, gestern unter der Überschrift: „Ampel weg, Probleme bleiben: Wie geht ein Neuanfang?“

Tatsächlich spielte Louis Klamroth, der Moderator, schon wieder die x-mal gesehenen Bilder des pampigen Kanzlers ein, wie er dreimal sein „zu oft“ vom Teleprompter abliest, was Christian Lindner sich also zu oft geleistet habe, bevor Olaf Scholz ihm sagte, er wolle ihn nicht mehr in seinem Kabinett mit dabei haben, wie die Informierten formulieren, wenn sie „rauswerfen“ meinen. Diese Aussage – Christian, ich möchte dich nicht länger und so weiter – wird ja Wort für Wort vom Medienbetrieb als derart belangvoll angesehen, dass sie gerne als Wortprotokoll auf einem Cover erscheint oder einen überdimensionalen Einspieler abgibt.

Der konkretistische Ehrgeiz der professionellen Beobachter, wie sich der Berliner Zunftableger nennt, ist nachgerade außer Rand und Band. Wie Archäologen sammeln die politischen Analysten Scherbe für Scherbe, um sie mal so und dann mal wieder so zusammenzusetzen. Ja, so könnte es gewesen sein an jenem Mittwoch, als wir – und nun im Chor – morgens mit dem Trump-Sieg aufwachten und abends mit zerbrochener Ampel-Koalition schlafen gingen.

Die penetrant durchgespielte Wann-Frage

Alles dreht sich im Augenblick um die Wann-Frage: Wann wird die Neuwahl sein, wann die Vertrauensfrage gestellt werden? It’s february, stupid! Die Penetranz, mit der die mediale Aufmerksamkeit tagaus, tagein auf den Kalender gerichtet bleibt, immer und immer wieder dieselben Optionen durchspielt, jedes Phasenmoment der Terminfindung in Zeitlupe abbildet, in dieser wie in jeder Talkshow – diese Penetranz erscheint als unbezwingbarer Prozess unbewusster Herkunft. Man meint zu verstehen und reproduziert doch nur das Unverstandene.

Die erwartbare Abfolge derselben Bilder unter der Frage: „Wie konnte es so weit kommen?“ ist das auch von „Hart aber fair“ bediente Zwangsritual, von dem Freud in der „Analyse der Phobie eines fünfjährigen Knaben“ schreibt: „Aber was so unverstanden geblieben ist, das kommt wieder; es ruht nicht, wie ein unerlöster Geist, bis es zur Lösung und Erlösung gekommen ist.“

Ja, irgendwie unerlöst sieht er aus, Matthias Miersch, der neue Generalsekretär der SPD, er spricht auch unerlöst, seine schneidende Stimme ist von der Art, dass man sie unbedingt ausreden lassen möchte, nur damit man sie nicht länger zu ertragen hat, den nächsten Talkshow-Gast hören darf. Wolfgang Kubicki meinetwegen, das FDP-Urgestein, das die Worte schnell sprechend, ja herausstoßend sich als Silbenverschlucker betätigt bis zur Unkenntlichkeit des Gesagten.

Während Dorothee Bär, die stellvertretende CSU-Vorsitzende und Robin Alexander, der „bestinformierte Journalist im politischen Berlin“ (Klamroth), also ein professioneller Beobachter exzeptionellen Ranges, ausgestattet mit einer entsprechend signifikant hohen Talkshow-Quote, während also diese beiden weiteren Gäste von „Hart aber fair“ stimmlich unanstößig durchlaufen, im einen Ohr rein, im anderen raus, ohne im Gehirn einen spürbaren Schaden anzurichten. Beide strahlen auf je eigene Weise etwas Erlöstes aus in diesem politischen Tränental.

Tatsächlich wärmt Beers bayerische Dauerfreundlichkeit das Gemüt nicht minder wie der unaufgeregte bräsige Tonfall, den Robin Alexander pflegt; Beer und Alexander sind insoweit funktionale Äquivalente, die auf der Haben-Seite einer jeden Talk-Show zu verbuchen sind, ihre vokale Geschmeidigkeit gibt einem das Gefühl, umschmeichelt zu werden, während Kubickis stimmliches Darstellungsvermögen in seiner schwer verständlichen Endlichkeit doch daueranstrengend ist (was genau hat er jetzt schon wieder gesagt?), wobei diese Anstrengung immerhin zumutbar erscheint im Vergleich zur unerträglich triggernden Beschallung durch den Generalsekretär, den neuen (siehe oben).

Die Talkshow-Systemfrage

Der unerlöste Miersch hat sich bei „Hart aber fair“ darauf kapriziert, die Bundeswahlleiterin schneidend in Schutz zu nehmen: Es gehe nicht an, eine Institution des Systems zu hinterfragen oder gar anzugreifen, das komme nur den Extremisten zugute, sagte er bei Klamroth – und damit auch nur das, was er den ganzen Tag lang schon bei verschiedenen Auftritten im politisch-medialen Komplex sagte. Miersch wirft den Talk-Shows gegenüber am krassesten die Systemfrage auf: Welchen demokratischen Mehrwert kann „Hart aber fair“ beanspruchen, wenn das meiste dessen, was in der Sendung von sich gegeben wird, doch auch schon andernorts geäußert wurde, wortgleich oder minimal anders, sei’s drum.

Nehmen wir nur mal die vom Wiederholungszwang ferner diktierte Frage, welche gesetzlichen Projekte jetzt noch durchgewunken werden sollen, von der Härtung des Bundesverfassungsgerichts bis zum Deutschlandticket. Auch diese Frage wurde in der Klamroth-Runde rumgereicht, Scherbe für Scherbe mit Finderstolz. Aber wer sprach das Gemeinte dann bündiger aus als Alexander Dobrindt, der CSU-Landesgruppenchef im Bundestag? Und zwar gerade nicht bei „hart aber fair“, sondern in den anschließenden „Tagesthemen“, die Vorsendung damit handstreichartig obsolet machend. Dobrindt also wiederholte in falscher Sendung und gefälliger Tonart, auf die Reihenfolge komme es an: erst der Termin für die Vertrauensfrage und damit der Wahltermin, „dann werden wir uns über alle möglichen weiteren Projekte verständigen“.

Dobrindt will keine Trümmer fangen

Diese prozedurale Logik des eins-nach-dem-anderen blitzte mehrfach auch schon bei „Hart aber fair“ auf, erst Dobrindt fand aber im Blick auf „Themen, die in der Ampel nicht einigungsfähig waren“, ein eingängig abwehrendes, in den „Tagesthemen“ mitgeteiltes Sprachbild: „Wir werden die herabfallenden Trümmer einer gescheiterten Ampel nicht auffangen, sondern da braucht es klare Mehrheiten erst und dann kann man neue Vereinbarungen treffen.“ Ach, hätte er seine Trümmer-Metaphorologie nicht zehn Minuten vorher bei Louis Klamroth anbringen können? Als bildgewaltiges Symptom der Verdrängung einer 16-jährigen Unionsregierungsvermasselungszeit, bis heute unverstanden geblieben im politisch-medialen Trümmerfeld.

Nicht in schiefen Bildern, sondern in endlich angemessener Konkretion brach dort Christina Böhm das wirtschaftspolitische Desaster, von dem niemand geschmeidiger abzulenken versucht als Wirtschaftsminister Robert Habeck selbst, auf Betriebsgröße runter. Unter dem Stichwort der Nachfolge sieht sie in den nächsten Jahren 60.000 mittelständische Betriebe Pleite machen, welche nämlich keine Chance hätten, die Übergabe zu schaffen, und machte die Probleme der wirtschaftspolitischen Überregulierung an den wöchentlichen Engpässen des Arbeitsalltags deutlich. Ihretwegen, der Christina Böhm wegen, hat sich diese Ausgabe von „Hart aber fair“ gelohnt.