
„Thank you for your service“: Was man in Amerika oft erlebt, dass sich Bürger auf der Straße bei wildfremden Menschen in Uniform dafür bedanken, dass sie mit ihrem Leben für die Sicherheit der ganzen Gesellschaft einstehen, wäre hierzulande undenkbar. Polizisten oder Soldaten wird nicht gedankt. Und wenn sie in einer Talkshow sitzen, werden sie manchmal sogar verhöhnt, wie gestern Abend bei „Hart aber fair“.
Kaum hatte der Jugendsoldat David Matei in der Runde Platz genommen, wurde er angegangen: „Halten Sie Ihre Arbeit bei der Bundeswehr eigentlich für sexy?“, fragte die Journalistin Bascha Mika den neuen Gast in der Runde. Zuvor wurden Mateis Tiktok-Einspieler gezeigt, in denen er für ein junges Publikum sein Leben als Soldat, die NATO oder die Münchner Sicherheitskonferenz in bunte Bilder übersetzt. Als Matei die Frage nicht ganz verstand, hakte die Einundsiebzigjährige nach: „Halten Sie Ihre Arbeit für attraktiv?“ Denn die Wahrheit sei doch: „Die Bundeswehr ist sexistisch, rassistisch und rechtsradikal unterwandert.“
Kriegsende am Verhandlungstisch
David Matei war zehn Jahre bei den Gebirgsjägern und unter anderem in Afghanistan im Einsatz. Die törichte Pauschalverurteilung schreckte ihn nicht, er wehrte sich eloquent und brauchte dafür nicht einmal den Beistand des altgedienten Roderich Kiesewetter (CDU), der vor seinem Wechsel in die Politik als Soldat unter anderem im Balkan im Einsatz war.
Die Szene gegen Ende der Sendung war auch deshalb aufschlussreich, weil sich die ehemalige Chefredakteurin der „Frankfurter Rundschau“ als verhärtete Gesprächspartnerin ohne jegliches Interesse an ihrem Gegenüber erwies, während sie angesichts der großen Lage, in der wir uns derzeit in der Welt befinden, Besonnenheit und einen Austausch der Akteure forderte.
Der Frieden in der Ukraine müsse jetzt verhandelt werden, verlangte sie ein ums andere Mal, als ob es dazu nur eines Anrufs bei Putin bedürfe, während sie Friedrich Merz unterstellte, dass es ihm bei den Verteidigungsausgaben unter dem Motto „whatever it takes“ in Wahrheit um mehr „als nur Verteidigung“ gehe, und auch deshalb in die Rüstungsindustrie investiert werde, weil „die Autoindustrie gerade abkackt“. „Mit der Sprache fängt vieles an“, hatte Bascha Mika an anderer Stelle mahnend bemerkt. Wohl wahr, mochte man ihr entgegnen, während Kiesewetter schon wieder eines ihrer Argumente zurechtrücken musste: Die meisten Kriege würden am Verhandlungstisch beendet, behauptete die Journalistin. Tatsächlich treffe dies nur auf vierzig Prozent zu. Weder der Zweite Weltkrieg noch der zweite Irakkrieg wurden auf diese Weise beendet.
Ist Aufrüsten alternativlos?
„Milliarden für die Bundeswehr: Ist Aufrüsten alternativlos?“ war die Talkshow vom Montagabend überschrieben. Wer die Politikwissenschaftlerin Nicole Deitelhoff in dem zuvor ausgestrahlten ARD extra „Verteidigung – Wie schützt sich Deutschland?“ gehört hatte, konnte sich über manche Äußerung im anschließenden Gespräch nur wundern. Vehement plädierte die Direktorin des Leibniz-Instituts für Friedens- und Konfliktforschung für einen „Bewusstseinswandel“ in Deutschland angesichts der neuen Bedrohungslage: einerseits ein dreijähriger Angriffskrieg der Russen in der Ukraine, andererseits ein US-Präsident, der sich von Europa distanziert und die NATO-Garantie in Frage stellt. Und weil das jetzt „mit aller Macht auf uns zukommt“, hält die Professorin die hohen Ausgaben zur Ertüchtigung der Bundeswehr für gerechtfertigt. Gleichzeitig fordert sie eine Diskussion darüber in der Gesellschaft, um für die Gefahr zu sensibilisieren: „Das viele Geld dient vor allem unserer Sicherheit. Damit Russland gar nicht erst auf die Idee kommt, uns anzugreifen.“
Tatsächlich hat sich Deutschland mit dem breiten Rücken des großen Bruders jenseits des Atlantiks immer sicher gefühlt und konnte es sich deshalb leisten, für die Moral zuständig zu sein, während man die hässliche Geopolitik den Amerikanern überließ. Das ist vorbei. Nachdem Trump das Gleichgewicht des Schreckens ins Ungleichgewicht gebracht hat, plädiert Außenpolitiker Kiesewetter für einen gemeinsamen europäischen Abwehrschirm, möglichst nuklear. Julian Nida-Rümelin spricht von einem „gaullistischen Moment“ – schon Charles de Gaulle hatte sich für eine europäische Verteidigungspolitik einst ebenso vergeblich ausgesprochen wie später Emmanuel Macron. „Hochriskant“ und „leichtsinnig“ sei das gewesen, so der Münchner Philosophieprofessor weiter, wie unter Angela Merkel die Rüstungsausgaben nicht effizient eingesetzt und die Landesverteidigung sowie die Wehrpflicht ausgesetzt worden seien. Wer habe denn wissen können, wie sich Russland, die größte Atommacht der Welt, nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion entwickeln würde.
Das alles ficht Ole Nymoen nicht an. Der Podcaster, der kürzlich das Buch „Warum ich niemals für mein Land kämpfen würde“ veröffentlicht hat, sagt an diesem Abend nicht viel. Dabei wäre es nicht die erste Diskussion über Kriegsdienstverweigerung. Doch der Siebenundzwanzigjährige beschränkt sich darauf, den Titel seines Buches zu variieren: Er wolle nicht sterben und sei nicht bereit, sein Leben für dieses Land zu lassen. „Nee, am Ende des Tages ist man sich selbst der Nächste.“ Aber auch anderen spricht er die Bereitschaft zur Landesverteidigung ab, wenn er meint, dass ein Großteil der „Bevölkerung lieber unter fremder Herrschaft leben als im Kampf sterben will“. Ob die vergewaltigten Frauen, entführten Kinder und aus ihren Häusern vertriebenen Menschen in den besetzten Gebieten Russlands das auch so sehen?