Hans Wilhelm Gäb – Das gute Gewissen des deutschen Sports – Sport

Erinnerung an eine Begegnung im Mai 2008: mit einem Hans Wilhelm Gäb, der es sich mal wieder hätte leicht machen können, dieser Versuchung allerdings widerstand. Ein Festsaal im Deutschen Historischen Museum in Berlin, im Beisein des Bundespräsidenten Horst Köhler und untermalt von Georg Friedrich Händel hob Gäb, damals Aufsichtsratsvorsitzender der Stiftung Deutsche Sporthilfe, sein Herzensprojekt aus der Taufe: die „Hall of Fame des Deutschen Sports“. Ruhmeshallen für Sportidole gibt es viele, in echten und in virtuellen Räumen, meistens werden dort die Helden in ein derart strahlendes Licht gestellt, dass für Schattierungen kein Platz ist. Nicht so bei Hans Wilhelm Gäb.

„Mein Vater sprach nie über den Krieg“, so begann Gäb damals seine Rede, „dabei hatte er ihn von Frankreich nach Russland geführt.“ Gäb berichtete von Jahren des Zweifels, „bis ich endlich Klarheit hatte: Mein Vater ist kein SS-Mann gewesen“. Mehr als 60 Jahre lag diese finstere Zeit schon damals zurück, inzwischen sind es 80. Gäb hatte daraus trotzdem ein Bewusstsein abgeleitet, das auch im modernen Spitzensport eigentlich allgegenwärtig sein müsste, würde nicht ständig darüber hinweg gejubelt: ein Bewusstsein für Ambivalenz.

Widersprüche thematisieren – in der Hoffnung, sie auszuhalten. Wer hat heute noch den Mut dazu?

Wie soll man in so einer Ruhmeshalle umgehen mit jenen Athletinnen und Athleten, die im „Dritten Reich“ mindestens hofiert wurden von den Nazis, wenn sie nicht selbst welche waren? Gehören sie trotzdem hinein in eine solche Dokumentation? Man hätte es sich leicht machen können und „ausschließlich Widerstandskämpfer berufen“, sagte Gäb damals in Berlin. „Aber ein so pauschales Urteil wäre vom Hochmut einer Generation gekennzeichnet, die das Glück hatte, in einer Demokratie aufzuwachsen.“

Also: Widersprüche thematisieren – in der Hoffnung, sie auszuhalten! Und auch wenn die Sporthilfe später nachbessern musste, nachdem die SZ Recherchen öffentlich gemacht hatte, wonach deutlich mehr der Hall-of-Fame-Sportler Mitglieder der NSDAP waren als bekannt: Der gute Wille zählte. Und der gute Wille, das war – wie so häufig – jener von Hans Wilhelm Gäb gewesen. Die Eröffnung der Hall of Fame war eines der letzten Male, dass Gäb auf großer Bühne den deutschen Sport repräsentierte. Mit Nachdenklichkeit und intellektuellem Zugang, mit Integrität und Geradlinigkeit, wie man es selten erlebt in diesem Höher-Schneller-Weiter-Betrieb.

Rückblickend liest sich das, was Hans Wilhelm Gäb seinem geliebten Sport (und seinem Land) hinterlässt, wie mehrere Leben in einem: Geboren in Düsseldorf, deutscher Meister und Nationalspieler im Tischtennis – und schon damals mit einem Motto an der Platte, an das der Deutsche Tischtennis-Bund am Freitag noch einmal erinnerte: „Lerne anständig zu verlieren und in Bescheidenheit zu gewinnen.“ Jener DTTB, den Gäb zischen 1981 und 1994 als Präsident anführte und nachhaltig professionalisierte. Während er zugleich auch jenseits des Sports eine fast märchenhafte Karriere hinlegte.

Nach Jahren als Zeitungsredakteur gründete er 1969 die Auto Zeitung und war deren erster Chefredakteur. Später wurde er Kommunikationschef bei Ford und schließlich Vorstand bei Opel sowie Vizepräsident des Dachkonzerns General Motors Europe. Und wer weiß, wie es unter anderen Umständen mit ihm selbst – und mit dem deutschen Sport – weitergegangen wäre: Gäb war 1992 als Chef de Mission des gesamtdeutschen Teams für Olympia in Barcelona vorgesehen – und als Nachfolger von Willi Daume an der Spitze des Nationalen Olympischen Komitees im Gespräch. Doch wegen einer lebensbedrohlichen Lebererkrankung zog er sich von allen Ämtern zurück.

2005 holte ihn dann die Sporthilfe-Stiftung in schwieriger Lage an ihre Spitze, erst in den Vorstand, dann in den Aufsichtsrat. Jene Organisation also, die mit ihrem Fördersystem für weite Teile des Lebensunterhalts vieler deutscher Olympiasportler aufkommt.  Gäb tat auch bei der Sporthilfe in Frankfurt das, was er am besten kann: konsolidieren, modernisieren, neu ausrichten, mit Haltung und moralischem Fokus. Das „gute Gewissen des deutschen Sports“, so wurde Gäb bisweilen genannt – man erinnert sich daran mit besonderer Wehmut in einem Jahr, in dem an der Spitze des Internationalen Olympischen Komitees ein Wirtschaftsanwalt aus Tauberbischofsheim aus dem Amt scheidet. Gäb war in all den Jahren auch so etwas wie der Anti-Bach.

Wie erst jetzt bekannt wurde, ist Hans Wilhelm Gäb am 13. April, zwei Wochen nach seinem 89. Geburtstag, gestorben. Einer wie er ist im deutschen Sport nicht in Sicht – vielfach geehrt und 2020 schließlich selbst aufgenommen in die Hall of Fame. Nur seinen „Olympischen Orden“, den gab er 2016 zurück – aus Protest gegen den verharmlosenden Umgang von Thomas Bachs IOC mit dem russischen Staatsdoping-System.