„Handelsblatt“ siegt über AfD vor Gericht

Die AfD-Fraktion im Landtag von Thüringen, der Landesverband der Partei und zwei Abgeordnete sind vor dem Berliner Landgericht mit dem Antrag auf eine einstweilige Verfügung gegen das „Handelsblatt“ gescheitert. Die AfDler wollten der Zeitung einen Artikel verbieten lassen, der unter der Überschrift stand: „Spionage im Auftrag des Kreml? SPD-Innenminister schlägt Alarm“. Die Antragsteller waren der Ansicht, hier handele es sich um unzulässige Verdachtsberichterstattung und einen Verstoß gegen Persönlichkeitsrechte. Das Gericht hielt fest, dass bei einem solchen Artikel, der von verdächtigenden Äußerungen aus der Politik handelt, „die Grundsätze der Verdachtsberichterstattung keine Anwendung“ finden (Az. 27 O 362/25 eV).

Die Medien sind „befugt, das politische Geschehen ungefiltert und vollständig abzubilden“

Es sei nicht mit Artikel 5 Absatz 2 Grundgesetz und auch nicht mit Artikel 10 Absatz 2 der Europäischen Menschenrechtskonvention zu vereinbaren, Medien „bei ihrer Berichterstattung über tatsächlich gefallene Äußerungen eines Politikers“ darauf zu verpflichten, die Anforderungen an Verdachtsberichterstattung einzuhalten. Die Medien seien „grundsätzlich befugt, das politische Geschehen ungefiltert und vollständig abzubilden und zu bewerten“.

Bei dem Bericht handele es sich „weder um unwahre Tatsachenbehauptungen noch um ,aus der Luft gegriffene‘ Meinungsäußerungen“; den Begriff des „Spionageverdachts“ zu verwenden, sei eine Wertung, die sich auf die Äußerung von drei Politikern berufe und eine „hinreichende Tatsachengrundlage“ habe. Der Artikel behandele einen „äußerungsrechtlich privilegierten Gegenstand des politischen Prozesses von höchstem öffentlichen Interesse“. Solche journalistische Arbeit sei „eines der wichtigsten Mittel, ohne die eine freie und unabhängige Presse ihre unverzichtbare Rolle als ,Wachhund‘ einer demokratischen Gesellschaft nicht wahrnehmen kann“.

47 Anfragen der AfD in 12 Monaten

Das „Handelsblatt“ hatte den Thüringer Innenminister Georg Maier (SPD) mit dem Vorwurf zitiert, AfD-Abgeordnete könnten ihr parlamentarisches Fragerecht dafür verwenden, kritische Infrastruktur zu durchleuchten, und täten dies womöglich im Interesse Russlands. Ähnlich äußerten sich der Vorsitzende des Geheimdienste-Kontrollgremiums im Bundestag, Marc Henrichmann (CDU), und dessen Stellvertreter Konstantin von Notz (Grüne). Allein in Thüringen habe die AfD in zwölf Monaten 47 verdächtige Anfragen gestellt, sagte der Landesinnenminister Maier. Die Wiedergabe dessen wollte die AfD dem „Handelsblatt“ verbieten lassen.

Der Leiter der Rechtsabteilung des „Handelsblatts“, Peter Koppe, misst der Entscheidung großes Gewicht zu. Sie bedeute, sagte er in der Zeitung, „eine deutliche Stärkung der Pressefreiheit in einem Umfeld, in dem parteipolitische Auseinandersetzungen zunehmend juristisch geführt werden“. Die AfD-Fraktion im Thüringer Landtag teilte der F.A.Z. mit, die Entscheidung des Landgerichts biete „ohne Zweifel hinreichende Anknüpfungspunkte für eine Berufung“. Es sei bemerkenswert, dass das Gericht „jahrzehntelange Rechtsprechung zur Verdachtsberichterstattung faktisch kassiert“. Über die „Einlegung eines Rechtsmittels“ habe man noch nicht abschließend entschieden.

Die grundlegende Bedeutung der Entscheidung liegt, auch wenn es „nur“ um eine einstweilige Verfügung geht, auf der Hand. Hätte das Gericht dem Antrag der AfDler stattgegeben, würde die Arbeit der unabhängigen Presse in weiten Teilen unter das Rubrum „Verdachtsberichterstattung“ gestellt und juristisch leichter angreifbar gemacht.