Handball-Bundesliga: Der extrem enge Kampf um die Meisterschaft – Sport

Die deutsche Handballmeisterschaft ist praktisch entschieden: Einer der sechs Klubs, die gerade vorn stehen in der Tabelle, wird es wohl machen. Tatsächlich, sechs Teams noch mit Aussichten auf die Meisterschaft – das ist schon eine außergewöhnliche Momentaufnahme vor dem letzten Saisondrittel. Wer am Ende auf Platz eins landen wird, ist kaum zu prognostizieren. Einen Favoriten gibt es nicht.

Die MT Melsungen, das große Überraschungsteam, steht nach 22 von 34 Spieltagen an der Tabellenspitze (36:8 Punkte). Dahinter haben sich die Füchse Berlin und die TSV Hannover-Burgdorf (35:9) nah herangeschoben. Einen weiteren Zähler dahinter rangiert der Rekordmeister THW Kiel (34:10), die SG Flensburg-Handewitt (31:13) ist auch noch in Schlagdistanz. Und der Titelverteidiger? Der SC Magdeburg ist bloß Sechster, hat aber wegen der Spielabsagen nach dem Anschlag auf den Magdeburger Weihnachtsmarkt drei Partien weniger absolviert. Die werden nachgeholt, und nach Minuspunkten liegt der SCM gleichauf mit Berlin und Hannover (29:9).

Ein solch enges Rennen versetzt viele in der Branche ins Staunen, auch den Bundestrainer. Alfred Gislason sagt, die Meisterschaft sei „spannend wie nie zuvor. Es gibt fünf, sechs Mannschaften, die noch immer Meister werden können. Das tut der Liga sehr, sehr gut.“ Mit seinem Meistertipp liege er allerdings momentan „ein bisschen daneben“, sagt der Isländer mit einem Grinsen. Gislason hatte Flensburg und Magdeburg die besten Chancen vorausgesagt.

Handball-Titelfavorit Flensburg kann sich eine weitere Niederlage kaum leisten

Und jetzt dieser Hammerspieltag. Am Donnerstagabend müssen Tabellenführer Melsungen (19 Uhr in Hamburg) und Hannover (19 Uhr bei den Rhein-Neckar Löwen) zwei komplizierte Auswärtsaufgaben erledigen. Am Freitagabend treffen zwei Titelkandidaten aufeinander, Magdeburg und Berlin. Und am Samstagabend gleich der nächste Kracher: Flensburg gegen Kiel. Das Tabellenbild kann nach diesem Spieltag schon wieder ganz anders aussehen. „Punkte sind da nicht bloß Punkte auf der Habenseite“, sagte Magdeburgs Trainer Bennet Wiegert, sondern auch Punkte, die dem direkten Konkurrenten fehlen.

Für Flensburg ist das Nordderby so etwas wie eine letzte Chance, eine weitere Niederlage würde für die SG das Aus im Titelkampf bedeuten. Das überrascht, galten die Flensburger vielen Experten doch als Favorit für diese Spielzeit. Die Breite des Kaders um Spieler wie Johannes Golla, Jim Gottfridsson oder Simon Pytlick wirkte außergewöhnlich, doch die Mannschaft harmonierte eher mittelprächtig mit Trainer Nicolej Krickau, der im Sommer 2023 gekommen war und im Dezember 2024 gehen musste. Früh sammelte Flensburg etliche Minuspunkte. Zudem hat den Klub, den jetzt der Slowene Ales Pajovic trainiert, erhebliches Verletzungspech ereilt: Zuletzt hat sich der dänische Weltmeister Pytlick mit einem Unterarmbruch für den Rest der Saison abgemeldet; auch Rückraumkollege Kay Smits (Verdacht auf Herzmuskelerkrankung) fällt länger aus. Da das Transferfenster geschlossen ist, war nur der Notkauf eines vertragslosen Spielers, in diesem Fall des Dänen Andreas Holst Jensen möglich.

Das Thema Verletzungen wird ohnehin eine großes sein im Ligaendspurt. Es ist kein allzu gewagter Tipp, wenn man behauptet, dass am Ende das Team Meister wird, bei dem die wenigsten Schlüsselspieler ausfallen. Die Belastung ist am Ende dieser Saison immens hoch, besonders für alle Nationalspieler, die drei große Turniere binnen 15 Monaten (EM, Olympia, WM) in den Knochen haben. Die Klubs versuchen, ihre Besten zu schützen, wo es nur geht. Doch die Zahl der Verletzten geht überall hoch.

Bei Tabellenführer Melsungen etwa fallen beständig sechs bis sieben Kräfte aus, besonders hat trifft das Team von Trainer Roberto Garcia Parrondo die Verletzung von Rückraumspieler Aaron Mensing (Achillessehnenriss). Zuletzt wurde sogar der frühere Publikumsliebling Felix Danner reaktiviert, der eigentlich längst raus war aus dem Bundesligageschäft. Bei Magdeburg fehlten monatelang Weltklasseakteure wie Felix Klaar, Gisli Kristiansson oder Omar Ingi Magnusson; gar nicht mehr auflaufen in dieser Saison werden Manuel Zehnder (Kreuzbandriss) und Oscar Bergendahl (Sprunggelenks-OP). Beim THW Kiel fiel direkt nach der WM der Kroate Domagoj Duvnjak (Wadenverletzung) aus. Der Österreicher Nikola Bylik absolvierte nach langer Verletzungspause gerade wieder seine ersten Pflichtspielminuten.

Kaum auszumalen, was bei den Füchsen Berlin ein Ausfall eines extrem belasteten Leistungsträgers wie dem Welthandballer Mathias Gidsel auslösen würde. Hannover-Burgdorf, das zweite Überraschungsteam neben Melsungen, würde einen Ausfall von Renars Uscins auch nur vergleichbar schwer verkraften. Angesichts dessen war es für Hannover ein beinahe glücklicher Umstand, dass Uscins jüngst beide Länderspiele mit der deutschen Nationalmannschaft wegen muskulärer Problemen nicht bestreiten konnte. Eine Woche zum Auskurieren, so viel Zeit hätte der Linkshänder im laufenden Betrieb nicht bekommen.

Der Tabellendritte aus Hannover, trainiert vom früheren Bundestrainer Christian Prokop, hat von allen Vereinen das wohl schwerste Restprogramm: In den verbleibenden Saisonspielen trifft der Klub auf alle fünf direkten Konkurrenten: erst auf Berlin, dann auf Melsungen, Magdeburg, Flensburg und Kiel. Dreimal auswärts, zweimal in eigener Halle. Wie das ausgeht? Völlig offen.