
Im Bundestagswahlkampf dominiert die Erzählung, der
Sozialstaat sei zu teuer und Kürzungen seien dringend geboten. Die Union will
vor allem die Axt an das Bürgergeld legen. Aber sind Einschnitte wirklich zielführend,
um mehr Menschen in Arbeit zu bringen, die Kosten zu senken und mehr Fairness
zu gewährleisten? Welche Reformen brauchen wir wirklich?
Die Parteien überbieten sich mit Versprechen von
Steuersenkungen und zusätzlichen Ausgaben. Konservative und rechte Parteien
sind besonders großzügig mit ihren Ankündigungen und wollen diese primär durch
Einsparungen bei den Sozialsystemen und insbesondere beim Bürgergeld
finanzieren. Sie führen die Wählerinnen und Wähler damit hinters Licht, denn
selbst eine völlige Abschaffung des Bürgergelds würde nur einen Bruchteil der
Versprechen von knapp 100 Milliarden Euro der Union und nahezu dem Doppelten
bei FDP und AfD finanzieren. Durch diesen Sozialstaat-Populismus schieben diese
Parteien die Verantwortung für die finanziell angespannte Lage des Staates auf
die schwächsten und verletzlichsten Menschen. Das spaltet die Gesellschaft
weiter und schwächt die Demokratie.
Trotzdem ist es richtig zu fragen, wie der Staat sparsamer
und effizienter mit seinen Geldern umgehen und auch beim Bürgergeld sparen
kann. Wie groß sind die Potenziale für Einsparungen? Wollen wir solche
Kürzungen überhaupt, was sind die Konsequenzen und was die Alternativen?
Zu den Fakten des Bürgergelds: 2024 wie auch 2023 bezogen nach
Angaben der Bundesagentur für Arbeit rund 5,6 Millionen Menschen in Deutschland
die Leistung. Die Gesamtkosten betrugen 2023 mehr als 40 Milliarden Euro. Im
öffentlichen Diskurs wird gerne suggeriert, diese Menschen könnten und sollten
arbeiten. Allerdings umfasst die Gruppe derer, die dem Arbeitsmarkt zur
Verfügung stehen, lediglich 1,7 Millionen Menschen. Denn weitere 1,7 Millionen
sind Kinder und Jugendliche, die in armen Haushalten leben. Rund weitere zwei
Millionen sind Menschen, die dem Arbeitsmarkt nicht zur Verfügung stehen, weil
sie sich um ihre Kinder kümmern oder Familienangehörige pflegen und eine
Tätigkeit schlecht möglich ist, weil es an Kita-, Schul- und Pflegeplätzen sowie
anderer Infrastruktur mangelt. Etwa 800.000 Bürgergeldempfänger sind sogenannte Aufstocker – sie arbeiten, verdienen aber so wenig, dass sie
staatliche Unterstützung für das Wohnen oder andere Leistungen benötigen.
1,7 Millionen prinzipiell arbeitsfähige Menschen sind dennoch eine
große Zahl. Das Ziel, möglichst viele schnell und gut in Arbeit zu bringen, ist
richtig. Die meisten Kritiker vermeiden klugerweise das Wort faul, aber suggerieren es mit ihrer Behauptung, Bürgergeldbeziehende machen
es sich bequem, und es lohne sich schlichtweg finanziell nicht für sie zu
arbeiten. Der Populismus liegt darin, dass fehlende finanzielle Anreize für
die große Mehrheit nicht ausschlaggebend sind. 2023 gab es 16.000 sogenannte Totalverweigerer,
die also Jobangebote mehrmals abgelehnt haben und deswegen sanktioniert wurden.
Dies sind 16.000 zu viele, aber immer noch eine sehr kleine Minderheit der 5,6
Millionen.
Mehr Ehrlichkeit täte der Debatte gut
Eine ehrliche Analyse der Zahlen zeigt: Die große Mehrheit
dieser 1,7 Millionen Menschen hat weder Schul- noch Berufsabschluss und ist
für den Arbeitsmarkt unzureichend qualifiziert. Zudem haben viele
gesundheitliche Probleme. Dies gilt auch für viele Geflüchtete, die Bürgergeld
erhalten. Nicht Faulheit, sondern fehlende Chancen und eine mangelnde
Infrastruktur sind bei Weitem die Hauptgründe, weshalb Menschen in Deutschland
Bürgergeld beziehen.
Das Bundesverfassungsgericht hat enge Grenzen für Kürzungen
sozialer Leistungen, einschließlich des Bürgergelds, gezogen. Selbst wenn die
finanziellen Leistungen gekürzt werden könnten, dürften die Konsequenzen für
die Betroffenen und auch für die Gesellschaft und Wirtschaft langfristig
negativ sein. Denn geringere finanzielle Leistungen reduzieren die soziale
Teilhabe, verschlechtern die Bildungschancen für Kinder und Jugendliche, führen
zu Stigmatisierung und Ausgrenzung und machen die dauerhafte Integration in den
Arbeitsmarkt nicht leichter, sondern schwerer. Kurzfristig könnte die neue
Bundesregierung durch Kürzungen wohl einen kleinen einstelligen
Milliardenbetrag einsparen. Langfristig dürfte es die Anzahl der Arbeitslosen
und die Länge der Arbeitslosigkeit erhöhen und vor allem junge Menschen hart
treffen — und den Staat das Vielfache von dem kosten, was er kurzfristig
einsparen könnte.
Anstelle Gelder und Leistungen zu kürzen, sollte die
künftige Bundesregierung das Bürgergeld reformieren und kurzfristig sogar mehr
Geld dafür ausgeben. Denn eine gute Integration der 1,7 Millionen Bürgergeldempfänger,
die grundsätzlich dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen, erfordert
Investitionen in Qualifizierung und Betreuung. Wichtig ist die
Weiterentwicklung der Jobcenter, die mehr Ressourcen benötigen. Es erfordert
eine Stärkung der Jobcenter in Bezug auf Mitwirkungspflichten der Bezieher. Das
Bürgergeld macht vieles besser als Hartz IV — wie der Fokus auf eine dauerhafte
Integration in den Arbeitsmarkt —, aber hat eben auch einige Schwachpunkte, die
es nun zu korrigieren gilt, wie eine Studie des DIW Berlin gezeigt hat.
Das noch größere Potenzial bei den Bürgergeldbeziehenden
sind die zwei Millionen der stillen Reserve, also diejenigen, die dem
Arbeitsmarkt nicht zur Verfügung stehen. Investitionen in die Verfügbarkeit von
Kita- und Schulplätzen und bei der Pflege sind essenziell, damit vor allem
Frauen wieder mehr Chancen im Arbeitsmarkt haben. Denn viele der Betroffenen
wollen arbeiten, schaffen es aber zeitlich nicht, weil die öffentliche
Daseinsfürsorge schlichtweg unzureichend ist. Auch Reformen von Ehegattensplitting
und Minijobs sind wichtig, damit sich Arbeit wieder mehr lohnt, nicht nur für
Bürgergeldbezieherinnen, sondern für viele mit geringen und mittleren
Einkommen. Dies würde keine zusätzlichen Ausgaben vom Staat verlangen, sehr
wohl aber ein Umdenken und progressivere Werte bei vielen konservativen
Politikern.
Der Sozialstaat-Populismus zeigt sich überdeutlich im
Bundestagswahlkampf. Besonders in der Debatte um das Bürgergeld werden verletzliche Gruppen mit sachlich falschen Behauptungen attackiert – ein unwürdiges
Verhalten in einer Demokratie. Wir brauchen keinen Abbau der sozialen
Marktwirtschaft, sondern kluge Reformen der Sozialsysteme, damit diese
zielgenauer und effektiver werden. Dadurch schaffen sie mehr Teilhabe,
reduzieren die Abhängigkeit vom Sozialstaat und verbessern den sozialen
Frieden. Das spart dem Staat langfristig viel Geld, schafft Beschäftigung und
ist auch der beste Beitrag zu mehr Fairness in unserer Gesellschaft.