

Die neue AfD-Jugend ist mächtig. Wie sehr, zeigt nicht nur das Selbstbewusstsein, mit dem sie spricht, sondern mehr noch der Schmeichelton, in dem mit ihr gesprochen wird. Etwa vom Ko-Vorsitzenden der Partei, Tino Chrupalla. Auf dem Gründungskongress der „Generation Deutschland“ am Wochenende in Gießen hielt er eine Rede, die von Jubel begleitet wurde. Was bejubelten die Zuhörer?
Unter dem Vorwand, ihnen väterlich ins Gewissen zu reden, betonte Chrupalla die Gemeinsamkeiten zwischen Alten und Jungen in der Partei, auch zwischen ihm persönlich und seinem Publikum. Die Parteijugend solle politisch mitarbeiten anstatt ihr Glück nur in Aktivismus und Geselligkeit zu suchen, im Fechten, Wandern oder Singen. Derlei gehöre natürlich auch dazu, beeilte er sich hinterherzuschicken. Er selbst habe als junger Mensch, damals noch in der Jungen Union, viele Liederabende mitgemacht. Und nun kam Chrupallas Pointe: „Wir haben viele Lieder gesungen. Welche, sage ich jetzt nicht.“ Er feixte, blickte in den Saal, wartete – nicht vergeblich. Lachen im Publikum, donnernder Applaus.
Wechselnde Mehrheiten mit der AfD?
Dass der Ko-Vorsitzende der AfD öffentlich damit kokettiert, er könnte verbotene Lieder gesungen haben, ist das Eine. Dass seine Parteifreunde ihn dafür feiern, das andere. Das Dritte aber ist, welche Botschaft an die Union sich damit verbindet. Sie streitet gerade darüber, was sie von der AfD zu erwarten hat. Manche träumen von einer Union, die eine Minderheitsregierung stellt und mit wechselnden Mehrheiten, auch solchen, zu denen ihr die AfD verhülfe, eine Politik der Mitte machte. Und hatte nicht kürzlich erst der Erste Parlamentarische Geschäftsführer der AfD-Fraktion, Bernd Baumann, genau das in Aussicht gestellt?
Chrupalla machte nun deutlich, dass das nicht die Linie der Parteispitze sei. „Wir sind keine Mehrheitsbeschaffer für die Union“, versicherte er der Parteijugend. Das Motto der AfD müsse lauten: Regieren statt tolerieren. Und Regieren bedeute: als Seniorpartner oder allein. Denn, so Chrupalla, warum sollten Bürger der AfD ihre Stimme geben, wenn die Partei ihnen das Gefühl vermittle, sie wollte gar nicht unbedingt das Ruder übernehmen?
Da ist etwas dran. Die AfD wird gerade für ihren Unwillen zum Kompromiss gewählt. Den stellt sie bei jeder Gelegenheit als Unbeugsamkeit heraus. Wenn sie über Deutschland spricht, beschreibt sie nicht ein Land, das vor großen Herausforderungen steht, die es mit vereinten Kräften zu meistern gelte, sondern ein Land, das über Jahrzehnte maßgeblich von CDU und CSU herabgewirtschaftet worden sei, wie Baumann erst am Dienstag wieder betonte, als er der Möglichkeit, dass die Junge Gruppe der Union dieses „Elend“ beenden könne, „historisches Format“ attestierte. Chrupalla sprach am Wochenende davon, dass die AfD einen „gewaltigen Scherbenhaufen“ übernehmen werde, wenn sie an die Regierung käme. Man werde „Deutschland neu aufbauen müssen“. Wohl kaum angeführt vom vermeintlichen Zertrümmerer.
Die Landtagswahl in Sachsen-Anhalt im Blick
So denken nicht alle in der Partei. Aber die, die es tun, sind stark. Und sie werden stärker, je näher die Landtagswahl in Sachsen-Anhalt rückt. Die Aussicht auf eine Alleinregierung dämpft die Bereitschaft, sich zu mäßigen. Gerade AfD-Politiker aus dem Osten sowie die Jugend unter der Führung des Brandenburger Rechtsextremisten Jean-Pascal Hohm glauben, dass Radikalität sich auszahlt. Das bekräftigte auch der frühere Vorsitzende der früheren, inzwischen aufgelösten AfD-Jugendorganisation, der Rechtsextremist Hannes Gnauck. „Es gibt Fälle, wo das höchste Wagen die höchste Weisheit ist“, so zitierte er, verbunden mit dem Aufruf, ebendas zu tun, Clausewitz („Vom Kriege“).
Was wäre das höchste Wagen? „Millionenfache Remigration“ verlangten jedenfalls mehrere derjenigen, die in den Vorstand der neuen Parteijugend gewählt wurden. „Abschieben, abschieben, abschieben, bis Deutschland wieder Heimat wird“, ergänzte einer, ein anderer forderte, das Fenster dessen konsequent zu erweitern, was in Deutschland als diskussionswürdig gelte. Naheliegende Frage: Wie weit denn genau? Der Kandidat rief das Motto der Hitlerjugend „Jugend muss durch Jugend geführt werden“ zum „Leitstern“ der AfD-Jugend aus.
Manche AfD-Bundestagsabgeordnete wiegen nachdenklich die Köpfe, wenn sie solche Töne hören. So rede nun einmal die ungezügelte Jugend, sagen sie entschuldigend. Aber es ist nicht nur die Jugend, sondern auch Chrupalla selbst, der dazu aufrief, gemeinsam bissig zu bleiben, während seine Ko-Vorsitzende Alice Weidel daneben saß und klatschte. Die AfD-Jugend erfahre breite Unterstützung im Parteivorstand und in der Bundestagsfraktion, beobachtete Gnauck. Das geschieht nicht, obwohl, sondern weil sie so ist, wie sie ist.
