Volkswagens Arbeitnehmer fordern, alle Werke zu erhalten und auf betriebsbedingte Kündigungen zu verzichten. Im Gegenzug wollen sie Abstriche beim Gehalt machen. Branchenkenner rechnen trotzdem mit einem deutlichen Jobabbau. Selbst Entlassungen sind dabei denkbar.
Volkswagen wird nach Einschätzung von Branchenexperten nicht um einen groß angelegten Stellenabbau herumkommen. „Es bricht jetzt nicht alles zusammen“, sagt Stefan Bratzel im Gespräch mit ntv.de. Doch der kriselnde Konzern sollte dringend mit einem echten, transparenten Zukunftsplan reinen Tisch machen, bis wann wie viele Arbeitsplätze entfallen. „Es geht um die nächsten zwei, drei Jahre, VW hat nicht mehr viel Zeit.“ Bereits unter Ex-Konzernchef Herbert Diess wurden 30.000 Stellen infrage gestellt. Erfolge nicht bald ein deutlicher Arbeitsplatzabbau, „werden in fünf Jahren noch mehr Stellen gestrichen“.
Das Management fordert in den laufenden Tarifverhandlungen einen Lohn-Verzicht von zehn Prozent statt der üblichen Gehaltserhöhungen. Die Arbeitnehmerseite verlangt nun, das Gehaltsplus von 5,1 Prozent aus der Metallindustrie zu übernehmen, das Geld aber nicht auszuzahlen, sondern damit eine Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohn zu finanzieren, um betriebsbedingte Kündigungen und Werksschließungen zu verhindern. Die Idee zeigt in Bratzels Augen, dass „das Gehaltsniveau bei VW ein Problem ist“.
Auch Frank Schwope stellt im Gespräch mit ntv.de klar: „Ganz ohne Stellenabbau wird es nicht gehen.“ Denn es sei schlicht nicht genug Arbeit da, die Werke sind nicht ausgelastet. Zum einen, weil strukturelle Anpassungen verschleppt worden seien, zum anderen, weil für die Produktion von Elektroautos wegen deren geringerer Teile-Zahl weniger Mitarbeiter nötig sind.
Ohne Kündigungen hat es bisher nicht funktioniert
In Schwopes Augen gibt es aus den 1990er Jahren eine Blaupause für einen Jobabbau, als VW die Vier-Tage-Woche einführte. Aktuell sei beispielsweise eine 4,5-Tage-Woche denkbar. Daneben ließen sich über Vorruhestandsregelungen und Abfindungsprogramme Stellen abbauen. „Es gibt viele Wege“, sagt Schwope, der an der Fachhochschule des Mittelstands Hannover Automobilwirtschaft lehrt. „Bei VW hat es noch nie betriebsbedingte Kündigungen gegeben.“
Bratzel ist pessimistischer, auch wenn er ebenfalls auf einen sozialverträglichen Abbau pocht. In den vergangenen Jahren habe das Management versucht, ohne Kündigungen Arbeitsplätze abzubauen – „am Ende hat es nicht wirklich funktioniert“. Eine entscheidende Rolle dürfte dabei spielen, dass die wenigsten Beschäftigten in ihrer Region einen anderen so gut bezahlten Arbeitsplatz finden würden. VW hat vor Kurzem die Beschäftigungssicherung gekündigt, wodurch ab dem kommenden Sommer betriebsbedingte Kündigungen möglich wären.
Auch der Vorstand soll auf Gehalt verzichten
Auch am Erhalt aller deutschen Werke, wie es die Arbeitnehmer in den laufenden Tarifverhandlungen fordern, zweifeln die Experten. Entscheidend sei die Wettbewerbsfähigkeit der einzelnen Werke in Europa, sagt Bratzel, der das Center of Automotive Management an der Fachhochschule der Wirtschaft in Bergisch Gladbach leitet. Er schätzt Volkswagens Überkapazitäten auf ein Drittel. Um erfolgreich zu sein, sei eine Auslastung von 80 Prozent nötig. Bratzel glaubt nicht, dass sich die Kosten in Deutschland so stark senken lassen, dass alle Werke wettbewerbsfähig sind. Die Fabriken in Tschechien, der Slowakei und Spanien stünden deutlich besser da.
Die Vorschläge der Arbeitnehmer wertet Bratzel als „Schritt in die richtige Richtung“. Richtig wäre dem Experten zufolge mehr Flexibilität in der Produktion, etwa durch Arbeitszeitkürzungen über Standorte hinweg. Bratzel selbst schlägt eine deutlich geringere Arbeitszeit vor, allerdings mit entsprechenden Lohnkürzungen. Auch der Vorstand sollte hier mit „gutem Beispiel vorangehen“. „Das würde zwar nicht so viel Geld bringen, wäre aber ein wichtiges Symbol.“
Genauso sollte Bratzel zufolge die Dividende niedriger ausfallen. „Die Aktionäre müssen ebenfalls einen Beitrag leisten.“ Auch wenn diese darüber nicht glücklich sein dürften, zumal der Aktienkurs in den vergangenen Jahren nicht gestiegen, sondern gesunken ist. Das Vermögen der Eignerfamilien Porsche/Piëch, denen der Konzern zum Großteil gehört, wurde zuletzt auf mehr als 36 Milliarden Euro geschätzt.
Ampel-Aus bremst auch die E-Mobilität
Das Land Niedersachsen ist ebenfalls ein wichtiger VW-Eigner und hält ein Fünftel der Stimmrechte. Die Landesregierung unterstützt den Vorschlag der Arbeitnehmerseite. Das hat lange Tradition, schließlich will das Land Arbeitsplätze erhalten. Bratzel mahnt jedoch, auch Niedersachsen müsse an die Profitabilität des gesamten VW-Konzerns denken – habe der Autobauer in den nächsten Jahren noch größere Probleme, würden noch mehr Arbeitsplätze verloren.
VW muss aber nicht nur seine Kosten senken, wie Bratzel klarstellt. Genauso wichtig seien attraktive Modelle. Die dafür nötige Technologie werde in den nächsten Jahren viel Geld kosten. „Es reicht nicht, immer wieder ein bisschen zu sanieren, ohne die Probleme wirklich zu lösen.“ Etwa zwei Drittel davon seien hausgemacht. Allerdings hat der Hochlauf der Elektromobilität laut dem Experten auch ein Jahr verloren, weil die staatlichen Kaufprämien quasi über Nacht gestoppt wurden.
Bratzel plädiert für neue, wenn auch nicht so hohe staatliche Kaufanreize. Ein weiteres wichtiges Signal wäre seiner Meinung nach ein günstigerer Ladestrompreis. Dass nach dem Bruch der Ampel-Koalition nun wieder ein halbes bis Dreivierteljahr nichts passieren werde, könne sich Deutschland eigentlich nicht leisten. „Das ist verantwortungslos gegenüber der Industrie.“