
Die 67. Grammy-Verleihung in Los Angeles stand
für einige Zeit auf der Kippe. Zu einschneidend für L. A. waren die Feuer, die
ganze Stadtteile zerstört haben. Könnte man unter solchen Voraussetzungen
wirklich feiern, und sei es auch den wichtigsten Musikpreis der Welt?
Die meisten Partys, zu denen normalerweise die großen Labels
und Player
der US-Musikbranche laden, sind im Vorfeld jedenfalls größtenteils abgesagt worden.
Aber: The show must go on, besonders in Los Angeles, auch wenn das so platt
natürlich niemand sagen würde. Man einigte sich also auf die einzig akzeptable Erzählung: Musik als Heilung. So begrüßte Trevor Noah das Publikum ungewohnt schwermütig und
rief gleich dazu auf, für die Opfer der Feuer zu spenden. Drei Tage zuvor hatte
das Großevent Fire Aid mit Auftritten von Joni Mitchell, Billie Eilish oder
Joan Jett bereits über 60 Millionen US-Dollar an Spenden eingesammelt.
Die Band Dawes, deren Mitglieder durch das Eaton-Feuer ihre Häuser und ihr Musikstudio verloren haben, eröffnete zusammen mit
St. Vincent, Sheryl Crow, John Legend, Brittany Howard und Brad Paisley die
Show mit einer Gemeinschaftsinterpretation des Randy-Newman-Klassikers I Love L. A.Von da an stand der
gesamte Abend im Zeichen der Katastrophe. Bilder der Feuer im Hintergrund, ein Kinderchor
einer Schule, die niedergebrannt ist, Werbeplätze zwischen der Fernsehübertragung, die an örtliche Geschäfte
vergeben wurden, und Feuerwehrleute als Laudatoren – es gelang den Grammys und
seinen Stars überraschend gut, die Egos einmal an der Garderobe zu lassen.
Nur Kanye West und Bianca Censori schafften das nicht, Censori trat in etwas sehr Transparentem quasi nackt auf den roten Teppich und wurde von Sicherheitsleuten noch vor der Show
hinaus eskortiert. Aber was ist von dem irrlichternden West und seiner Ehefrau
auch noch zu erwarten?
In der Crypto.com Arena hingegen war das Niveau
ausgesprochen hoch, im Angesicht der Katastrophe hatte man sich offenbar auf
das Handwerk konzentriert, auf broadwayreife Performances und stimmgewaltige
Momente. Und überraschend viele gute Neulinge durften auftreten. Sabrina Carpenter, für sechs
Awards nominiert, brillierte mit einem Medley aus Songs ihres Hitalbums Short n’ Sweet
in bester Mae-West-Manier, sie steppte, spielte, kokettierte wie ein Star der
alten Schule.
Die Newcomerin Chappell Roan, auch sechsmal nominiert, zeigte mit ihrer Performance von Pink Pony
Club, dass sie, die „Midwest Princess“, beste Voraussetzungen für eine lange Musikkarriere mitbringt. Die 26-Jährige
gewann dann auch in der Kategorie „Best New Artist“. So grandios ihr Auftritt war, so ernüchternd war dann ihre Dankesrede, bei der sie förmlich in sich zusammensackte,
jedes Wort aus einem Notizbuch ablas und kaum verständlich, wenn auch
inhaltlich wichtig, Krankenversicherung für Musikschaffende forderte.
Ebenfalls
bemerkenswert: Rapperin Doechii aus Tampa, Florida, die mit ihrem Mixtape Alligator Bites Never Heal nach Lauryn Hill und Cardi B als erst dritte Frau
überhaupt in der Kategorie Bestes-Rap-Album siegte.
Es gab viele weitere starke Momente. Lady Gaga und Bruno Mars sangen im
Duett den L. A.-Klassiker California Dreaming, Stevie Wonder und Herbie Hancock performten eine herzergreifende Hommage auf den kürzlich verstorbenen Quincy Jones, und Shakira gab ein
überraschend kraftvolles Comeback. Andererseits war da auch ein peinlich leerer Auftritt von
The Weeknd, Trevor Noah verlor im Laufe des Abends komplett seinen Biss, und Taylor Swift tauchte einmal
kurz, nur in einer Nebenrolle, als Preisverleihende auf. Und dennoch: Trotz vier Stunden Laufzeit war es ein wirklich unterhaltsamer
und respektvoller Abend.
Eigentlich baute dessen Spannung jedoch auf einer Frage auf, die nun nichts mit der Bewältigung der Feuerkatastrophe in Los Angeles zu tun hat: Würde Beyoncé endlich den Grammy für das Album des
Jahres gewinnen? Mit 32 Preisen und 99 Nominierungen war sie bereits vor dieser
Verleihung die meist ausgezeichnete und am häufigsten nominierte Künstlerin in der
Geschichte der Awards. In der Königskategorie war sie bislang allerdings immer leer
ausgegangen.
Im vergangenen Jahr hat sich ihr Ehemann Jay-Z mit einem leicht
übergriffigen Auftritt bei der die Grammys vergebenden Recording Academy beschwert: „Ich will diese junge Dame
nicht in Verlegenheit bringen, aber sie hat mehr Grammys als alle anderen und noch
nie das Album des Jahres gewonnen. Selbst nach euren eigenen Maßstäben
funktioniert das nicht. Denkt mal darüber nach.“
Nun, seine Standpauke
hätte auch nach hinten losgehen können, wer lässt sich schon gerne öffentlich belehren?
Auch die Frage, ob es ausgerechnet ein Album wie Cowboy Carter braucht, um die
Academy – zu deren Mitgliedern viele Musikschaffende aus der Country-Hochburg
Nashville zählen – zu überzeugen, war
berechtigt. Wobei: Ist nicht eine wahre Künstlerin jemand, die Grenzen sprengen
und Genres überwinden kann?
Der erste Schock folgte zumindest für Beyoncé selbst, der das
Gesicht leicht entgleiste, als sie in der Kategorie Country-Album des Jahres gewann.
Schneller als man „Internet“ buchstabieren kann, wurde die Queen mit ihrer Reaktion dann auch zum Meme. So
authentisch unkontrolliert und rührend überrascht hat man die 43-Jährige
sehr lange nicht gesehen. Es muss der Moment gewesen sein, in dem sie ahnte,
dass sie an diesem Abend auch den noch viel wichtigeren Award gewinnen würde. „Ich
habe das wirklich nicht erwartet“, stotterte sie mit Tränen in den
Augen, nur um dann gleich zweimal Gott und ihrem Ehemann zu danken und zu
bedenken zu geben, dass Genre nur ein „kaltes Wort“ sei, um Musikerinnen kleinzuhalten.
Es gab auch einige politische Momente an diesem
Abend: Alicia Keys betonte, dass Diversität keine Bedrohung sei (wie es die neue Trump-Administration etwa betrachtet), sondern ein
Geschenk. Lady Gaga erinnerte an die Rechte von trans Personen, Kendrick
Lamar widmete seine Preise dem Problembezirk Compton und Shakira den ihren – für das beste Latin-Pop-Album – den „eingewanderten
Brüdern und Schwestern“.
Der dramatischste Moment des Abends war aber
wohl, als Beyoncé dann endlich von Mitgliedern der Feuerwehr von Los Angeles der Award für das
Album des Jahres verliehen wurde. Den Preis hatten erst drei Schwarze Frauen
vor ihr gewonnen: Natalie Cole, Lauryn Hill und Whitney Houston. Beyoncés Alben Lemonade (2016) und Renaissance (2022) waren künstlerisch komplexere und
bessere Alben, und so ist dieser Preis für Cowboy Carter (2024) eigentlich eher als ein Sammelpreis
für Beyoncés bisheriges Schaffen zu verstehen.
Ernüchternd, dass eine Schwarze Frau ein doch
eher simples Countryalbum machen muss, um die verdiente Anerkennung für ihre
Ausnahmekarriere zu bekommen. Vielleicht hätte Kamala Harris besser Texas Hold ‚Em statt Freedom zur Hymne ihres Wahlkampfes gemacht.