
19. September 2025 · Nach einem Filmdreh musste die Schauspielerin Golshifteh Farahani ihre Heimat Iran verlassen. Den Schmerz des Exils spürt sie mehr als 15 Jahre danach noch immer.
Während des Filmfestivals von Cannes in einem Luxushotel echte Filmstars zu treffen ist nicht so einfach. Schon hinter der Eingangstür beginnt das Gedränge, Influencerinnen fotografieren sich auf Marmortreppen, reiche Mütter scheuchen ihre Töchter in Abendkleidern durch die Empfangshalle, Make-up-Spezialisten eilen mit großen Koffern zum nächsten Termin. Überall rauscht Tüll, klimpern Ohrgehänge, glitzern Cocktailgläser. Die echten Stars aber bewegen sich wie Geheimagenten durch dieses Gewusel.
Schleier aus Seidenmousseline von Chanel
Übergroßer Mantel und Anzug von Balenciaga, spitze Pumps von Nensi Dojaka
Als die Schauspielerin Golshifteh Farahani das Hotel betritt, versteckt sie ihr bekanntes Gesicht hinter den großen Gläsern einer Sonnenbrille, das schwarze Haar bedeckt eine dunkelblaue Kappe, dazu trägt sie ein weites Blusenkleid in der gleichen Farbe und Flipflops. Dem Portier schenkt sie ein kurzes Nicken und schwebt durch den Tumult in Richtung der Aufzüge. Niemand erkennt sie. Dabei ist die 42 Jahre alte gebürtige Iranerin auch in Frankreich ein Star, seit sie 2009 vor dem Regime fliehen musste und sich in Paris niederließ. Im März dementierte sie gegenüber dem Politik-Magazin „Le Point“ Gerüchte, die ihr eine Affäre mit Staatspräsident Emmanuel Macron nachsagten.
Weit geschnittene Jeans von Gucci, Schmuck und Armbanduhr von Cartier
Rollkragen von Hermès, Ohrringe von Cartier
Wir haben uns verabredet, weil sie für dieses Magazin eine Modestrecke aufgenommen hat. Die Schauspielerin ist viel unterwegs, unser Treffen war ein kurzfristiger Termin, angesetzt knapp vor der Cannes-Premiere ihres neuen Films „Alpha“. Keine 48 Stunden ist sie in der Stadt. Unsere erste Verabredung musste sie verschieben, ihr Flug hatte Verspätung. Zehn Minuten bevor wir uns im Hotel treffen wollen, schreibt sie, dass sie noch kurz ins Meer springt. Ein bisschen tropfen ihre Haare unter der Kappe noch, als wir gemeinsam den Aufzug zu ihrem Zimmer besteigen. „Ich komme seit fast 20 Jahren nach Cannes, aber ich war hier noch nie schwimmen. Die Reise war so anstrengend, jetzt bin ich wieder wach“, sagt sie. Dann brüht sie Tee auf, serviert Schokolade auf ihrem kleinen weißen Balkon und spricht über die Arbeit mit der französischen Regisseurin Julia Ducournau, die emotional sehr aufwühlend gewesen sei. In dem Drama spielt sie eine Mutter, die ihre Tochter an eine neuartige Krankheit zu verlieren droht.
Kaschmir-Rollkragenpullover von Loro Piana, Armbanduhr und Ohrringe von Cartier
Frau Faharani, wie hat Ihre Arbeit als Schauspielerin angefangen?
Durch Zufall, ich war 14 Jahre alt, meine Eltern arbeiteten beide im Filmgeschäft, und sie wollten diesen Weg für mich nicht. Ich sollte Musik studieren. Aber dann fragte mich Dariush Mehrjui, ein phantastischer Regisseur, der vor zwei Jahren ermordet wurde, ob ich in seinem Film „The Pear Tree“ mitspielen könnte. Gegen den Willen meiner Eltern habe ich die Rolle angenommen. Sie haben alle Anfragen für mich immer abgeblockt, aber diese kam über meine Schwester. Also ist sie wohl dafür verantwortlich, dass ich doch beim Film gelandet bin.
Der Plan war ursprünglich, dass Farahani fürs Musikstudium nach Wien geht. Die Zusage der Universität lag schon auf dem Tisch, aber sie hatte ihren eigenen Kopf. Den hatte sie von Kindheit an. Weil sie in Teheran Fahrrad fahren wollte, schnitt sie sich die Haare ab und verkleidete sich als Junge. Von Verboten hielt sie nicht viel. Also sagte sie ihren Eltern, dass es mit der Musik und ihr nichts werden würde. „Sie hatten fast einen Herzanfall“, sagt sie. Ihre Karriere beim Film nahm schnell Fahrt auf. Innerhalb kurzer Zeit war sie in Iran berühmt, drehte dort mehr als 20 Filme. Dann klopfte das Schicksal in Form von Hollywood an ihre Tür. Ridley Scott bot ihr die Hauptrolle im Action-Thriller „Der Mann, der niemals lebte“ neben Leonardo DiCaprio und Russell Crowe an. Der Film handelt von den Verwicklungen des amerikanischen Geheimdienstes im Nahen Osten. Der iranischen Regierung gefiel das gar nicht.
Blazerjacke, asymmetrische Bundfaltenhose und Brogues von Bottega Veneta, Ringe von Cartier
Seidenkleid mit handbesticktem Plastron von Chanel aus der Métiers-d’Art-Hangzhou-Kollektion, Armbanduhr und Ringe von Cartier
Wie war das damals?
Die Regierung witterte ein CIA-Komplott dahinter. Mehrere Monate lang wurde ich deswegen verhört. Als ich nach den Dreharbeiten zurück nach Iran kam, nahm man mir den Pass ab. Ich stand vor Gericht. Der Richter, der eigentlich für seine grausamen Urteile bekannt war, stellte sich als Fan von mir heraus. Er half mir, nach sieben Monaten das Land zu verlassen, denn das Gericht hatte beschlossen, dass man erst den Film sehen müsse, bevor man mich verurteilen könne. Es war klar, dass ich gehen muss, bevor der Film in die Kinos kommt, sonst hätten sie mich verurteilt. Ich wollte Iran nie verlassen, niemals. Aber ich hatte keine andere Wahl.
Würden Sie denn zurückkehren wollen?
Natürlich! Ich kenne nicht einen Iraner, der nicht sofort zurückkehren würde. Ich kam mit 24 Jahren hierher, das ist mittlerweile 18 Jahre her. Bald werde ich mein halbes Leben hier verbracht haben. Aber natürlich würde ich sofort zurückkehren, wenn ich könnte.
Fühlen Sie sich mittlerweile hier zu Hause?
Heutzutage fühle ich mich überall zu Hause. Sie können mich nach Burkina Faso oder Madagaskar schicken oder an den Nordpol. Wenn es keine Heimat mehr gibt, ist man überall zu Hause. Und das Land, das man verlassen hat, wird nicht dasselbe sein, in das man zurückkehren kann.
Wo wohnen Sie heute?
Ich wohne in meinem Körper, und sonst bin ich überall und nirgends zu Hause. Ich habe einen Schrank in Spanien, einen in Portugal, einen kleinen in Paris. Wo deine Kleider und deine Gewürze sind, da bist auch du ein bisschen zu Hause.
Wrap-Dress von Maison Alaïa, Brogues von Bottega Veneta, Ring von Cartier
Langes Kleid mit Nieten aus Metall von Tom Ford
Klingt sehr nomadisch. Wie viel nehmen Sie mit, wenn Sie unterwegs sind?
Ich komme gerade aus der Türkei, bin jetzt für die Premiere hier, dann geht es weiter zu einem Filmfestival in Japan. All meine Sachen habe ich in einem Handgepäckkoffer bei mir. Einem kleinen Rimowa, aus Deutschland. So mache ich das seit Jahren. Ich brauche nicht viel.
Klingt, als hätten Sie gefunden, wovon alle Minimalisten heutzutage träumen. Wie sieht denn Ihr Kalender aus? Nur Arbeit, vom Filmdreh zum Festival . . .?
. . . und irgendwann stirbt man.
Golshifteh Farahani lacht. Es ist ein dunkles Lachen, voller Melancholie. Der Blick schweift über die anderen weißen Balkone. Wir scherzen über die Ähnlichkeit der Aussicht zu Alfred Hitchcocks „Das Fenster zum Hof“, weil man einen Einblick in all die kleinen Dramen der anderen Bewohner bekommt. Überall ist Trubel. Farahani atmet tief durch. „Demnächst gehe ich in ein Schweige-Retreat, für 20 Tage, in Deutschland.“ Irgendwo im Süden. „Das habe ich schon seit Längerem vor und immer wieder verschoben. Und dieses Mal habe ich beschlossen, selbst wenn der Himmel über mir einstürzt, gehe ich dahin.“
Haben Sie das schon einmal gemacht?
Ja, gleich nachdem ich Iran verlassen habe. Da war ich komplett am Boden. In den vergangenen 18 Jahren gab es so viele Dinge, die mich als Menschen zusammengehalten haben, mir geholfen haben, mit dem Schmerz des Exils umzugehen – der ist manchmal so groß, dass er zur Behinderung wird. Gerade zu Beginn des Exils war er überwältigend. Das Retreat hat mir geholfen, nicht durchzudrehen. Dadurch konnte ich weitermachen.
Wie läuft so etwas ab?
Man meditiert fast 14 Stunden am Tag. Man lernt, mit sich selbst und seinen Gedanken allein zu sitzen und das alles auszuhalten, was im Kopf vorgeht. Meine Freunde wissen, dass das auch sehr anstrengend ist und schlagen mir schon vor, ich solle mich lieber ausruhen. Aber ich freue mich sehr darauf. Der Geist ist wie ein Garten. Wenn man ihn nicht ab und zu stutzt, wird er wirr. Und ich muss diesen Dschungel in mir wieder einmal trimmen. Mein letzter Aufenthalt im Retreat ist schon sechs Jahre her. Ich habe dieses Mal gute Vorarbeit geleistet, als ich im Amazonasgebiet war . . .
Was ist da passiert?
Für drei Monate bin ich ins Amazonasgebiet gereist. Ich hatte mit meinem Leben abgeschlossen. Ich habe mein Testament geschrieben, und es wäre in Ordnung für mich gewesen, dort zu sterben. Ich bin aber nicht gestorben, also bin ich zurückgekommen.
Im Ernst?
Ich bin da wirklich hingegangen, um nicht zurückzukehren. Ich wollte der Natur die Chance geben, mich zurückzuholen, so sie will. Welchen besseren Ort als den Amazonas gibt es dafür? Man ist zwölf Stunden mit dem Boot unterwegs, im Dschungel, man nimmt Pflanzen zu sich, einige sind psychoaktiv. Ich hatte keine Angst davor, was es mit mir machen würde. Ich war bereit zu sterben, ich war so erschöpft. Ich dachte mir, ich drehe Filme und Serien und wieder Filme, weiter und weiter, wozu? Was zum Teufel mache ich da? Dann habe ich verstanden, was ich hier tue.
Und was ist das?
Der Film „Alpha“ von Julia Ducournau half mir zu verstehen, wie wertvoll es ist, eine Schauspielerin zu sein. Ich habe erkannt, warum nicht viele Leute das tun können. Zuvor habe ich nie groß darauf geachtet. Ein Konzertpianist oder eine Ballerina müssen mehrere Stunden am Tag trainieren. Bei Schauspielern ist das anders. Da geht es nicht um die Quantität der Übung, da geht es um eine seelische Qualität. Man muss Emotionen kontrollieren, mit ihnen spielen können, als wären sie Puppen. Und nach „Alpha“ verstand ich, was das genau ist, was wir da tun. Es können nicht viele – und man muss dafür ein bisschen verrückt sein.
Ein Privileg der Kunst.
Heutzutage ist Kunst das Gegenteil von Politik. Die ist so dunkel und furchtbar, dass Kunst für die Menschheit immer wichtiger wird, denn sie kann Nationen zusammenführen. Politiker treiben derzeit Trennungen voran. Sie saugen die Seelen der Leute in ihren Wahnsinn, und wir brauchen eine Gegenkraft, die die Menschen wieder zusammenbringt, ihnen einen neutralen Boden bietet, auf dem sich alle Nationalitäten, Religionen, Geschlechter treffen können. Was ein Künstler macht, erhellt die Welt, auch wenn er längst tot ist.
Fotografie: Driu & Tiago
Styling: Natalie Manchot
Make-up Artist: Alexandra Schiavi
Hair Stylist: Sébastien Le Coroller
Mode-Assistenz: Cristina Medina Lage
Foto-Assistenz: Kader Bennacer
Produktion: H & K
Fotografiert am 6. Februar in Paris.