Erdkröte, Petersilie, Giftefeu, Blei, Phosphor- oder Flusssäure: Basierend auf mehr als außergewöhnlichen Mitteln, sollte eine Studie in Bayern ermitteln, ob sich der Einsatz von Antibiotika durch die Gabe homöopathischer Präparate reduzieren ließe. Bei diesen werden die Ausgangsstoffe – hierzu zählen auch Kupferarsenit, Tollkirsche oder Kreuzspinnen – stark verdünnt, wodurch sie ihre teils todbringende Wirkung verlieren. Der Stand der Wissenschaft ist dabei eindeutig: Homöopathische Mittel wirken nicht besser als ein Placebo, also ein Scheinmedikament.
So gab es 2019 viel Kritik, als der Bayerische Landtag mit Stimmen der CSU, Freien Wähler und Grünen zunächst 400.000 Euro für eine Studie zur Verfügung stellte, später wurde die Summe auf 800.000 Euro verdoppelt. „Ich finde das unverantwortlich“, erklärte Ruth Waldmann, gesundheitspolitische Sprecherin der SPD-Landtagsfraktion, gegenüber dem Bayerischen Rundfunk. „Gerade bei homöopathischen Präparaten wissen wir, dass sie keine über den Placeboeffekt hinausgehende Wirkung haben.“
Der damalige Bürgerbeauftragte von Bayerns Staatsregierung und spätere Gesundheitsminister Klaus Holetschek sagte hingegen im Landtag: „Wir müssen diese Dinge ernst nehmen, wir müssen uns darüber unterhalten, und wir müssen sie prüfen.“ Man müsse auf Hausmittel und Volkskunde setzen – „das sind Dinge, die helfen können“. Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach äußerte sich später kritisch. „Eine Studie, in der ernsthaft ‚Globuli‘ gegen Antibiotika getestet werden, ist grotesk“, schrieb er auf Twitter (nun X). „Welche Ethikkommission geht da mit?“
Studie musste abgebrochen werden
Dabei unterlag Lauterbach einem Fehler, den auf Anfrage das ihm nachgeordnete Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) korrigiert: Die an der TU München durchgeführte, verblindete Studie untersuchte Frauen mit regelmäßigen Harnwegsinfektionen – alle sollten Antibiotika oder auch Ibuprofen bekommen, sofern nötig. Rund jeweils 120 der Frauen sollten praktisch vorbeugend entweder Placebo oder individuell ausgesuchte Globuli erhalten. Unterschiede sollten daran gemessen werden, ob in der Globuligruppe seltener Infekte vorkommen und Antibiotikagaben nötig sind. Für die behandelnde Ärzte wie auch die Frauen war unbekannt, in welcher Gruppe diese waren.
Die Ergebnisse hätten schon lange vorliegen sollen. Doch wie der Studienleiter und Nephrologe Lutz Renders nun gegenüber der F.A.Z. mitteilt, wird aus der Untersuchung offenbar nichts. „Die Studie hat die Rekrutierung abgebrochen, da die erforderliche Zahl an Probandinnen in einem sinnvollen Zeitraum nicht erreichbar gewesen wäre“, erklärt er. Bis Anfang 2025 würden nun nur noch die bereits eingeschlossenen Frauen nachbeobachtet. Wie viele dies sind, teilte er bis Redaktionsschluss nicht mit, auch andere Fragen blieben offen.
Angebliche Nachweise
Georg Schmidt, Leiter der Ethikkommission der TU München, sagt, das Gremium habe sich „extrem schwergetan“, die Studie überhaupt zu genehmigen. „Wir haben heftig diskutiert nach dem Motto, dass man nicht nichts mit nichts vergleichen kann. Wir sind uns alle einig, dass Homöopathie unwirksam ist.“ Die Kommission habe sich entschieden, dafür zu sorgen, dass die Gefahr eines falsch-positiven Ergebnisses so gering wie möglich ist – hierfür sei die Statistik nachgeschärft worden. Schmidt betont, dass auch die zuständige Bundesoberbehörde die Studie genehmigt hat: „Das BfArM hatte keine Einwände“, sagt Schmidt.
Während dieses auf mehrere Nachfragen das Studienprotokoll nicht zur Verfügung stellen wollte, da es vom einreichenden Arzt als vertraulich gekennzeichnet worden sei, übermittelte Studienleiter Renders das 57 Seiten umfassende Dokument nun. Aus diesem geht hervor, dass die eingangs genannten Globuli zur Verfügung standen, insgesamt 140 „verschiedene“ Mittel. „Homöopathie hat nachweisbar bei anderen Infektionskrankheiten zu einer Reduktion akuter Infektionen geführt“, heißt es unter Verweis auf einzelne Studien, die teils von der Pharmafirma Deutsche Homöopathie-Union finanziert worden waren. Dies steht im Widerspruch zu großen Metastudien, die keine Effekte gefunden haben. Diese Aussage im Studienprotokoll sei „in der Tat kritisch“, sagt Schmidt.
In diesem ist außerdem von „Erstverschlimmerungen“ die Rede, die bei Mitteln der Homöopathie angeblich auftreten könnten, und dass laut deren Theorie die Präparate die „psycho-neuro-immunologischen Funktionen im menschlichen Körper“ regulieren könnten. Immerhin: Überdosierungen homöopathischer Mittel seien „unwahrscheinlich“.
Auf Nachfrage verteidigte das BfArM, die Studie zugelassen zu haben – obwohl es ein Ausschlussgrund für die Genehmigung von Studien ist, wenn die Unterlagen dem Stand der Wissenschaft nicht entsprechen. Laut Arzneimittelgesetz mussten zur Beantragung der Genehmigung außerdem Ergebnisse analytischer und pharmakologisch-toxikologischer Prüfungen vorgelegt werden. Darauf hat die Behörde auch aufgrund der Verdünnung verzichtet.
Die bayerische Landesregierung setzt womöglich nun weniger auf Homöopathie: In der am Sonntag verschickten Pressemitteilung zum verantwortungsvollen Umgang mit Antibiotika verweist sie nicht auf die Studie.
„Für mich ist fast schon beruhigend, dass nicht so viele mitmachen bei dem Schmarrn“, sagt die SPD-Gesundheitspolitikerin Waldmann auf Nachfrage zum Studienabbruch. Dessen Grund, die mangelnde Teilnahmebereitschaft trotz Werbung etwa im Münchener Nahverkehr, sei für die bayerische Staatsregierung, die Grünen und die AfD, die auch für die Studie gestimmt habe, „sensationell peinlich“. Unsinnige Studien wie diese kosteten nicht nur Geld, sie hielten auch „die Leute von der eigentlichen Arbeit ab“, sagt Waldmann. „Es gibt keinen Mangel bei Forschungsergebnissen zur Homöopathie – es gibt nur einen Mangel bei der Bereitschaft, sie zur Kenntnis zu nehmen.“