Gewalt in Tansania: Mit voller Härte gegen die Jugend

Selbst afrikanische Regierungen haben sich nach der Präsidentenwahl in Tansania mit Gratulationsbekundungen zurückgehalten. Sie blieben auffallend still, obwohl sie sich normalerweise loyal gegenüber afrikanischen Amtskollegen zeigen. Aber Samia Suluhu Hassan, die wiedergewählte Präsidentin von Tansania, erfährt seit der Wahl Ende Oktober wenig internationale Unterstützung. Der Menschenrechtsbeauftragte der Vereinten Nationen (UN), Volker Türk, sprach von „schweren Menschenrechtsverletzungen“ während der Niederschlagung von Protesten um den Wahltermin herum, forderte Aufklärung und die Freilassung aller Oppositioneller. Damit ist er nicht allein.

Eine von Malawi geführte Wahlbeobachtermission der Entwicklungsgemeinschaft des südlichen Afrika (SADC) kam zu dem Ergebnis, die Wahl habe nicht den SADC-Prinzipien für demokratische Wahlen entsprochen. An etlichen Wahllokalen seien kaum Wähler aufgetaucht, die Wahlurnen seien mit vorab ausgefüllten Stimmzetteln für die Regierungspartei Chama Cha Mapinduzi (CCM) gestopft worden. Das EU-Parlament forderte zudem die EU-Kommission vergangene Woche auf, Hilfsgelder von 156 Millionen Euro an Tansania einzubehalten.

Bei einer Rede vor den „Älteren“ in dieser Woche in Daressalam raunte Suluhu Hassan laut dem Onlinemedium „The Chanzo“, Tansania werde sich nicht von außen diktieren lassen, wie es seine internen Belange regle. „Sie glauben immer noch, sie seien unsere Herren, unsere Kolonialherren. Aus welchem Grund? Wegen der kleinen Geldbeträge, die sie uns geben?“ Sie bezeichnete die Proteste als Aufstand gegen die Regierung und wies die Kritik der Opposition, ziviler Organisationen und ausländischer Institutionen vehement zurück.

Ungewöhnlich harscher Ton gegenüber Bürgern

Eigentlich war Suluhu Hassan bei ihrer Amtsübernahme 2021 als Frau der sanften Töne bezeichnet worden. Doch seit der Präsidentschaftswahl schlägt „Mama Samia“, so wird Tansanias Präsidentin von ihren Anhängern genannt, einen ungewöhnlich harschen Ton gegenüber den eigenen Bürgern und ausländischen Regierungen an. In der auf Swahili gehaltenen Rede diese Woche sprach Suluhu Hassan auch die Angehörigen getöteter oder verschwundener Protestteilnehmer an. Wenn sie weinten, „weil ein Kind sich am Bein verletzt hat oder leider sogar gestorben ist, warum haben sie es nicht davon abgehalten, hinauszugehen?“

Die 65 Jahre alte frühere Vizepräsidentin, die nach dem Tod des vorigen Präsidenten John Magufuli die Staatsführung übernommen hatte, gewann die Präsidentschaftswahl nach offiziellen Angaben mit 97,7 Prozent, wobei die Opposition faktisch ausgeschlossen war. Der populäre Oppositionsführer Tundu Lissu ist wegen Hochverrats angeklagt und sitzt im Gefängnis. Auch der Kandidat der zweitgrößten Oppositionspartei, ACT-Wazalendo, durfte nicht teilnehmen. Angaben über die Zahl der Todesopfer in den Tagen um die Wahl variieren stark. Die Opposition sagte, mehr als 1000 Menschen seien ums Leben gekommen, einige zivile Organisationen sprachen von 3000. Nach konservativen Schätzungen der Vereinten Nationen und des EU-Parlaments wurden mehrere Hundert Menschen bei Protesten getötet.

Während und nach der Wahl ist das Internet in Tansania fünf Tage lang abgeschaltet gewesen. Mittlerweile häufen sich Berichte von Anwohnern, staatliche Sicherheitskräfte seien von Tür zu Tür gegangen, um Handys zu konfiszieren und die Menschen einzuschüchtern. Angeblich fanden eilig Massenbestattungen statt. Die Regierung hat bis heute keine Angaben über die Zahl der Opfer veröffentlicht.

Tansanier kennen den autokratischen Regierungsstil bereits

Knapp eine Woche nach der Wahl sagte der Ministerpräsident Mwigulu Nchemba, eine Veröffentlichung würde die Spannungen anheizen in einer Zeit, in der die Nation wieder zusammenfinden müsse. Akribisch listete er indes die Schäden an Regierungsgebäuden, Bushaltestellen, Polizeiwachen, Fahrzeugen und Häusern auf, die nach seiner Darstellung den Unruhen geschuldet waren. Wie von Anwohnern in Daressalam zu hören ist, vermissen bis heute viele Tansanier Familienangehörige oder warten auf die Übergabe der Leichen, um diese ordentlich bestatten zu können.

Einen autokratischen Regierungsstil erlebten die Tansanier bereits in den späteren Jahren der Magufuli-Amtszeit, als der damalige Präsident Kundgebungen der Opposition verbot und die Pressefreiheit einschränkte. Als Magufuli, ein vehementer Leugner der Corona-Pandemie, deswegen zunehmend international unter Druck geriet, machten ebenfalls Berichte über nächtliche Massenbeerdigungen die Runde. Menschenrechtsorganisationen zufolge ist seine Nachfolgerin auf einen noch härteren Kurs eingeschwenkt. Selbst langjährige Beobachter Tansanias hatten ein solches Ausmaß der Gewalt nicht erwartet.

Auf lange Sicht könnte die Wahl auch ein juristisches Nachspiel haben. Internationale Anwälte reichten jüngst ein an die Medien weitergeleitetes, 82 Seiten langes Dokument an den Internationalen Strafgerichtshof (IStGH) ein, in dem sie Ermittlungen der Gewalttaten fordern. Das Besondere daran ist, dass die Verfasser explizit Straftaten mithilfe von „Cyber-Operationen“ anprangern. Erst dieser Tage legte die Anklagebehörde des IStGH auf der jährlichen Versammlung der Vertragsstaaten des Gerichtshofs ein Papier vor, in dem sie darlegt, dass Verbrechen gegen die Menschlichkeit auch durch Cyber-Operationen begangen werden können.

Aufrufe zu Demonstrationen an Tansanias Unabhängigkeitstag

Auch die Abschaltung des Internets, um Angriffe auf die Zivilbevölkerung etwa durch Verschleppungen von Menschen zu verdecken, werde in dem Papier erwähnt, sagte der Völkerrechtsexperte Claus Kreß der F.A.Z. Daher werden die Anwälte, die Ermittlungen zu der Wahl in Tansania fordern, vermutlich auf Interesse in Den Haag stoßen.

Ob die Anklagebehörde des IStGH tatsächlich Ermittlungen gegen Tansanias Regierung einleitet, ist offen. Ein Verfahren kann nur vom UN-Sicherheitsrat, einem Vertragsstaat des IStGH oder vom Ankläger selbst eingeleitet werden. Zunächst muss eine Vorprüfung erfolgen, ob der Anfangsverdacht schwerer Völkerrechtsverletzungen besteht, und ob bereits ernsthafte Ermittlungen im Land selbst begonnen haben. Würde der Ankläger aus eigener Initiative tätig werden, so müssten auch noch die Richter einer Vorverfahrenskammer ihre Zustimmung geben, sagt Kreß. Bis dahin könnten mehrere Monate vergehen.

Influencer in den sozialen Medien, insbesondere Tansanier im Ausland, haben derweil zu Demonstrationen am 9. Dezember, an Tansanias Unabhängigkeitstag, aufgerufen. Der inhaftierte Oppositionsführer Lissu und seine Partei Chadema zeigten sich solidarisch, schlossen sich aber dem Aufruf nicht an. Alle größeren offiziellen Feierlichkeiten wurden aus Sorge vor Protesten gegen die Regierung abgesagt. Tansanias Präsidentin Suluhu Hassan beschuldigt seit der Wahl immer wieder ausländische Akteure und die Gen-Z-Bewegung in Ländern wie Kenia oder Madagaskar, Unruhe in Tansania anzustiften. Die Jugendlichen im eigenen Land verstünden „das Lied nicht, das sie singen“, sagte sie in ihrer Rede diese Woche über die Demonstranten. Sie seien Papageien.