Der innenpolitische Konflikt in der Südkaukasusrepublik Georgien verschärft sich weiter. Die mit den antirussischen und proeuropäischen Demonstranten verbündete Präsidentin Salome Surabischwili kündigte am Abend in Tiflis (Tbilissi) in einer Videobotschaft an, sie werde ihre Amtsgeschäfte erst dann übergeben, wenn es im Land eine legitim gewählte Regierung gebe. „Ich bleibe Ihre Präsidentin“, betonte sie. „Ein unrechtmäßiges Parlament kann keinen neuen Staatspräsidenten wählen, daher gibt es auch keine Amtseinführung, und mein Mandat verlängert sich bis zur rechtmäßigen Wahl eines Parlaments“, wurde sie von der Agentur Interpressnews weiter zitiert.
In Georgien war zuletzt eine Debatte über die Rechtmäßigkeit der Parlamentssitzungen seit der Neuwahl entbrannt. Nach der von Fälschungsvorwürfen überschatteten Parlamentswahl Ende Oktober waren bislang nur Vertreter der bisherigen prorussischen Regierungspartei Georgischer Traum im Parlament zusammengekommen, die Opposition betrat das Gebäude nicht. Nach Ansicht einer Reihe von Juristen in Georgien darf die Volksvertretung nicht tagen, solange das Verfassungsgericht nicht über eine Wahlbeschwerde von Surabischwili entschieden hat.
Surabischwili hatte die erste Sitzung vom Montag ebenfalls verfassungswidrig genannt. Als Präsidentin müsse sie die erste Parlamentssitzung einberufen, das könne niemand stellvertretend übernehmen. Surabischwilis Amtszeit endet laut Parlamentspräsident Schalwa Papuaschwili am 16. Dezember.
Noch im Dezember Präsidentenwahl?
Laut einem Entschließungsentwurf, den das Parlament diese Woche verabschiedet hatte, soll die Präsidentenwahl am 14. Dezember und die Amtseinführung am 29. Dezember stattfinden. Erstmals wird der Präsident oder die Präsidentin nicht direkt vom Volk, sondern indirekt durch Abgeordnete des Parlaments und regionale Vertreter gewählt.
Surabischwili und die prowestliche Opposition erkennen das offizielle Ergebnis der Parlamentswahl am 26. Oktober nicht an. Die Wahlkommission hatte die Regierungspartei Georgischer Traum mit rund 54 Prozent der Stimmen zur Siegerin erklärt. Die Opposition kündigte nach der Wahl an, ihre Mandate nicht annehmen zu wollen. Seit der Wahl protestieren nahezu täglich Menschen vor allem in Tiflis gegen das Ergebnis.
USA setzen strategische Partnerschaft mit Georgien aus
Als Reaktion auf die politischen Entwicklungen in Georgien setzen die USA ihre strategische Partnerschaft mit der Südkaukasusrepublik vorübergehend aus. Die Entscheidung der prorussischen Regierungspartei Georgischer Traum, den EU-Beitrittsprozess auszusetzen, sei ein „Verrat an der georgischen Verfassung“, teilte der Sprecher des US-Außenministeriums, Matthew Miller, auf der Online-Plattform X zur Begründung mit. Man verurteile auch „den übermäßigen Einsatz von Gewalt gegen Georgier, die ihr Recht auf Protest wahrnehmen“, hieß es weiter.
Die georgische Bevölkerung unterstütze mit „überwältigender Mehrheit die europäische Integration“, teilte das Außenministerium in Washington auf seiner Webseite mit. In der georgischen Verfassung sei das Versprechen verankert, „eine vollständige Integration in die Europäische Union und die Nato anzustreben“. Die prorussische Partei Georgischer Traum verhalte sich „antidemokratisch“ und verstoße gegen grundlegende Werte einer Zusammenarbeit wie Verpflichtungen in Bezug auf Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und die Achtung der Menschenrechte.
In einem kurzen Interview mit den britischen Sender Sky News am Sonntag betonte Surabischwili, dass die Menschen gegen „gestohlene Wahlen, nach sowjetischem Stil“ protestierten. „Das Land ist im Aufruhr“, sagte sie. Die landesweiten Demonstrationen Zehntausender Menschen seien „sicherlich keine Revolution“, sondern friedliche Proteste.
Barrikaden, Tränengas und Wasserwerfer bei Pro-EU-Protesten
Bei den jüngsten Demonstrationen, die auch die meisten Städte des Landes erfassten, wurden bei Zusammenstößen mit der Polizei über 100 Menschen festgenommen. Im Verlauf von Kundgebungen in Tiflis durften sich erstmals Journalisten aus den Reihen der Demonstranten am Samstag in einer Livesendung des Rundfunks zu den Ereignissen im Land äußern, wie in einem Blog der Opposition berichtet wurde.
In der Hauptstadt errichteten am Abend tausende Menschen am Samstagabend Barrikaden, schlugen Fensterscheiben ein und zündeten Feuerwerkskörper vor dem Parlament. Die Polizei setzte Wasserwerfer und Tränengas ein. Beobachter schätzten die Zahl der Demonstranten in Tiflis auf einige tausend. Georgischen Medien zufolge gab es Proteste auch in weiteren Städten im ganzen Land.
Das Innenministerium warnte die Demonstranten vor angeblichen weiteren Gewalttaten und forderte sie auf, sich an die Gesetze zu halten. „Auf jeden Verstoß wird es vonseiten der Polizei eine entsprechende legale Reaktion geben.“