Friedrich Merz hat inmitten einer komplizierten Lage – die größten Baustellen heißen Ukraine, Rentenstreit, Wirtschaftskrise – drei wichtige, aber völlig unterschiedliche Reden gehalten. Zusammengenommen vermitteln sie einen guten Eindruck von den rhetorischen Werkzeugen, mit denen der Kanzler in der Krise dieser Tage seine Autorität zu wahren versucht. Manche funktionieren noch leidlich, andere nicht mehr.
Mehrmals drehte der Kanzler die Stimmung im Raum, aber nur einmal zu seinen Gunsten.
Der Reigen der Reden begann mit seinem Auftritt vor dem rebellierenden Parteinachwuchs auf dem Deutschlandtag der Jungen Union – eine desaströse Vorstellung, mit der der Kanzler seine eigene Lage vor anderthalb Wochen erheblich verschlechterte. Die Rentenkritiker, denen er bis dahin Unterstützung signalisiert hatte, kanzelte er ab. Es war eine Machtdemonstration, oder genauer: Es sollte eine sein. „Das kann doch wohl nicht euer Ernst sein“, „So gewinnt man keine Wahlen“, das sind die Sätze, die von diesem Auftritt bleiben werden. Es war ein einziger Rempler. Schroff, unversöhnlich und vor allem kontraproduktiv. Merz verlor nach freundlichem Empfang den Raum. Eisige Stille auf den Gesichtern, die Jungen festigten, auch empört von Merz‘ Auftritt, ihren Widerstand gegen das Rentenpaket.
Was der Kanzler an diesem Tag wohl verstand: Für ein Macht-Basta ohne Argumente reicht seine Autorität derzeit nicht – auch nicht bei jenen konservativen jungen Unionlern, die so viel Hoffnung in ihn gesetzt haben. Der Rempler schüchterte niemanden ein.
Die Sache war nicht entschärft, gleichzeitig drohte die außenpolitische Situation nach dem 28-Punkte-Plan zur Zukunft der Ukraine zu eskalieren, als der Kanzler am Dienstag vor einem ähnlich irritierten Publikum auftrat: Auf dem Arbeitgebertag saß die deutsche Wirtschaftselite, die wie die JU große Hoffnungen in Merz gesetzt hatte und nun an seiner Kraft zu Reformen zweifelt. Und von deren Vertretern manche mit einer Öffnung zur AfD flirten. Vor Merz erntete der JU-Chef Johannes Winkel bei seinem Auftritt viel Applaus für seine Haltung im Rentenstreit.
Rente? Putin!
Der Unterschied zur verpatzten ersten Rede war immens, unter anderem lieferte Merz jetzt ein Sachargument. Das so viel diskutierte Rentenniveau könne nach 2031 nicht einfach so abfallen, als hätte es die Stabilisierung zuvor nicht gegeben. Doch sein zentraler Punkt war ein anderer: Angesichts der Bedrohung durch Putins Russland könne sich die Union eine Rentenrebellion gerade schlichtweg nicht erlauben. „Wenn wir aus dem Blick verlieren, was jetzt auf dem Spiel steht“, sagte er mit Blick auf die globale Lage, „dann werden uns unsere Kinder und unsere Enkelkinder bitterste Vorwürfe machen. Sie werden sich nicht mehr an eine 48-Prozent-Haltelinie erinnern.“
Angesichts der entgleisenden Weltpolitik müsse man also Zweitrangiges (Rentenniveau) von Erstrangigem (Frieden, Freiheit, Stärke gegen Putin) trennen. Merz gewann, nach kritischem Empfang, den Raum mit dem Stilmittel des Aufrüttelns. Die Welt, wie wir sie kennen, falle gerade an allen Ecken auseinander, aber er habe die Prioritäten klar, das war seine Botschaft. Wie einst unter Konrad Adenauer und Helmut Kohl sei er es jetzt, der bereit sei, die richtigen Entscheidungen zu treffen und sich dem Urteil der Geschichte zu stellen. Es war die geballte Faust eines kämpfenden Kanzlers, die von diesem Auftritt bleiben wird. Die Stimmung kippte zu Merz‘ Gunsten, Arbeitgeberpräsident Dulger, der den Kanzler zuvor kritisiert hatte, sprach anschließend von einem „vertrauensbildenden Auftritt“. Aber überzeugt der Verweis auf Putin auch die Rentenkritiker? Fraglich.
Es folgte dann, am Mittwoch um 9 Uhr, die Generaldebatte im Bundestag. Reden eines Bundeskanzlers bei diesem Schlagabtausch über die Regierungspolitik sind genau vorbereitet, und Merz wählte einen anderen Ansatz: Kein Rempler – selbst die Zurückweisung an die zwischenrufende AfD fiel mit einem Mal kühl und knapp aus –, aber auch kein Pathos, keine geballte Faust.
Warum klingt Merz plötzlich wie Scholz?
Merz dozierte stattdessen auf der Metaebene über die „Leitlinien“ Wettbewerbsfähigkeit, Sicherheit und Sozialstaatsreformen. Es klang, als betrachte er das Land aus 11.000 Metern Flughöhe. Kein Satz polarisierte, die Worte Haltelinie und Rentenniveau kamen ihm gar nicht über die Lippen. Reformen würden kommen, ja gar ein „neuer Konsens der Generationen“, man dürfe aber auch nichts übers Knie brechen. Es war, als hätte Olaf Scholz einen Job als Redenschreiber bei Merz angetreten. Kostprobe: „Unser Land ist ein hochkomplexes Land, und hochkomplexe Sachverhalte erfordern komplexe Antworten und nicht unterkomplexe Redensarten.“
Ist das noch politische Führung? Oder ist dieses trockene Reden am Ende gar ein Machtbeweis – ein „Seht mal, ich kann es mir leisten“? Mit einem Kompromiss hat der Kanzler jedenfalls seinen Kanzleramtschef und den Fraktionsvorsitzenden beauftragt; der Druck auf die Abweichler ist gestiegen. Merz sagte im Plenum, Führung bedeute in seiner Lage, alle Interessen zu verbinden. Mehr noch: In einer Lage wie dieser müssten sich alle bewähren, nicht nur die Regierung, sondern auch die demokratische Gesellschaft im Ganzen. Es war ein Appell, mitzuziehen. Die anwesenden Abgeordneten nahmen den Vortrag jedenfalls verhältnismäßig ungerührt auf: normaler Applaus von der Union, spärlicher als zuletzt bei der SPD, erwartbare Zwischenrufe der AfD.
Der Rentenstreit? Ungelöst. Die Gespräche laufen, aber viel Fortschritt ist nicht zu sehen. Eine Lösung könnte nun endlich der Koalitionsausschuss am Donnerstag finden, doch ziehen die Abweichler in der Union dann auch mit? Der Bundeskanzler hat den Rentenstreit bisher jedenfalls nicht beendet, nicht mit einem Basta, nicht mit dem leidenschaftlichen Verweis auf den Ernst der Lage, nicht mit ungerührtem Dozieren. Von seinen Auftritten geht vor allem eine Botschaft aus: Ihr müsst da jetzt mitziehen.
