
Eine Praline ist an sich schon eine Sünde wert. Wird sie auch noch in einer edlen Verpackung überreicht, ist die Verführung perfekt. Schachteln in frühlingsfrischem Limettengrün und Zitronengelb in vielen Größen neben solchen mit bunten Blumen in Ei- oder Herzform stapeln sich in den Regalen im Besprechungsraum von Walter Verpackungen in Offenbach. Anlässe wie Ostern oder Muttertag sind für den Hersteller der feinen Schachteln für Leckereien wichtige Geschäftstreiber – ganz besonders natürlich Weihnachten.
Wenn sich aber in den Wochen vor der Hochsaison plötzlich ein Drittel der 32 Mitarbeiter krankmeldet, ist das für Geschäftsführer Roland Walter ein echtes Problem. Dann sei man unter Umständen kaum erreichbar für die Kunden oder komme mit der Produktion nicht schnell genug voran: „Wenn einer ausfällt, ist die Kette gestört“, sagt Walter. „Das ist in einem kleinen Unternehmen mit vielen Arbeitsschritten echt ein Thema.“
Auch deshalb hat der Vorsitzende des Ausschusses für Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik bei den hessischen Unternehmerverbänden (VhU) für diesen Mittwoch zu einem Forum unter dem Titel „Steigende Sozialabgaben und kein Ende in Sicht – braucht es eine Agenda 2030?“ geladen. Welche Perspektiven es für die Zukunft gibt, will er mit dem Wirtschaftswissenschaftler Bernd Raffelhüschen, dem Landesvorsitzenden des Sozialverbands VdK, Paul Weimann, und mit Vertretern der Jugendorganisationen mehrerer Parteien erörtern: Leopold Born (Junge Union), Franziska Brandmann (Junge Liberale), Helena Wolf (Jusos) und Titus Dharmababu (Grüne Jugend).
Nach Ansicht von Walter ist eine neue Agenda dringend nötig. Er beklagt vor allem steigende Sozialabgaben, die neben den Arbeitgebern auch die Arbeitnehmer belasteten, denen „zu wenig Netto vom Brutto“ bleibe. Schon jetzt liege der Gesamtsozialversicherungsbeitrag bei 42 Prozent und werde in den nächsten Jahren weiter steigen.
Mehr als sechs Milliarden für Lohnfortzahlung
Dass beispielsweise die Beträge zur Krankenversicherung so hoch sind, liegt nach Ansicht von Walter auch daran, dass es für Beschäftigte zu leicht ist, sich krankzumelden. „Etwa 14 Prozent der Patienten bekommen den Schein, ohne überhaupt einen Arzt gesehen zu haben“, kritisiert er, „das ist mir echt ein Dorn im Auge.“ Oft stelle die Krankmeldung nur die Sprechstundenhilfe aus und kein Mediziner.
Auch Ärzte bescheinigten nicht selten eine Arbeitsunfähigkeit, obwohl ein Angestellter mit einem verknacksten Knöchel beispielsweise durchaus noch gewisse Tätigkeiten wie Büroarbeit erledigen könnte. „Eigentlich müsste sich der Arzt das Arbeitsumfeld anschauen, bevor er entscheidet, ob jemand arbeitsunfähig ist“, sagt Walter.
Die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall kostet die Arbeitgeber nach Schätzung der VhU hessenweit mehr als sechs Milliarden Euro im Jahr. Ein hoher Krankenstand belaste aber nicht nur die Arbeitgeber, sondern auch die übrigen Beschäftigten, die gerade im Saisonbetrieb dann deutlich mehr arbeiten müssten. „Das finde ich extrem unfair“, sagt Walter.
Auch deshalb wäre er dafür, die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall für den ersten Tag nach der Krankmeldung zu streichen. Dafür hatte sich kürzlich auch Allianz-Chef Oliver Bäte ausgesprochen. Walter fordert überdies eine Begrenzung der Lohnfortzahlung auf maximal 30 Tage im Jahr.
Spontanheilung nach sechs Wochen
Begründung: Nach Beobachtung des Unternehmers gibt es immer wieder Fälle von „Spontanheilungen“, kurz bevor nach sechs Wochen bei längerer Krankheit das geringere Krankengeld von der Kasse gezahlt werde. Noch mehr ärgert Walter, dass es Mitarbeiter gebe, die sich einige Wochen später mit einer anderen Diagnose wieder krankschreiben ließen und wieder sechs Wochen fehlten.
Für kleinere Unternehmen seien die Folgen solcher Verhaltensweisen besonders schwer zu bewältigen. Sie stellten 97 Prozent der drei Millionen Unternehmen in Deutschland und beschäftigten rund 18 Millionen Mitarbeiter. Um die Krankenversicherungsbeiträge zu senken, müssten aber auch die Strukturen im Gesundheitswesen reformiert und Versicherte durch eine höhere Selbstbeteiligung stärker in Verantwortung genommen werden, meint Walter.

Er kritisiert zudem, dass die Beiträge zu den Sozialkassen auch deshalb immer weiter stiegen, weil die Kosten für Arbeitslose und Bürgergeldempfänger mitgetragen werden müssten. Mehr Menschen in Arbeit zu bringen, würde die Kassen entlasten. Es werde es den Leistungsempfängern oft zu leicht gemacht: „Wir erleben immer wieder Alibi-Bewerbungen.“ Da komme jemand und frage gleich nach dem Stempel – „der will überhaupt nicht arbeiten“.
Solche Fälle kennt der langjährige CDU-Kommunalpolitiker auch aus der Stadt Offenbach, wo das Jugendamt oft für die Kinder junger Männer Unterhaltsvorschuss zahlen müsse, weil die behaupteten, keine Arbeit zu finden. „Da würde es die Sozialkassen entlasten, wenn man sich verstärkt darum kümmern würde, diese Männer in Arbeit zu bringen.“ Das sei auch wichtig als Vorbild für die Kinder.
Arbeitsplätze auch für angelernte Kräfte
Darin, dass viele Bürgergeldempfänger keine Ausbildung haben, sieht Walter kein Hindernis für eine Vermittlung. In seiner Manufaktur beschäftige er eine ganze Reihe von angelernten Kräften, mit viel Erfolg. An einem Tisch in einer der Werkstätten sind mehrere Frauen dabei, vorgefalzte Kartonagen zusammenzustecken und mit Schmuckpapier zu bekleben. Die meisten von ihnen sind deutlich jenseits der 50. Für Walter sind das echte „Best-Ager“, weil diese Frauen keine kleinen Kinder mehr hätten und schon deshalb weniger fehlten.
Dafür, dass viele Beschäftigte aus dem Berufsleben ausscheiden können, lange bevor sie das reguläre Rentenalter erreicht haben, hat Walter kein Verständnis – und auch nicht für Unternehmer, die ihren Mitarbeitern dafür eigens Möglichkeiten bieten. „Die Abschläge sind nicht hoch genug“, findet er und fordert insbesondere die Abschaffung der abschlagsfreien Frührente. Die treibe die Kosten für die Rentenversicherung weiter hoch.
Die Allgemeinheit und vor allem die jüngere Generation müsse das auffangen, was angesichts der immer größer werdenden Zahl von Rentnern nicht mehr finanzierbar sei. Zudem erschwerten die hohen Sozialabgaben die Rekrutierung ausländischer Fachkräfte. In anderen Ländern seien die Abzüge vom Lohn schließlich niedriger.
Im internationalen Wettbewerb behaupten müssen sich auch deutsche Produkte. Gegen Billigangebote aus dem Ausland zu bestehen, werde bei steigenden Sozialabgaben und damit Lohnkosten gleichfalls schwieriger, sagt Walter. Seinem Unternehmen gelinge das nur, weil es auf besonders hochwertige Produkte spezialisiert sei. Schon jetzt kann eine elegante Schachtel aus seinem Sortiment fünf Euro kosten – ohne eine einzige Praline.