Gegen Schweden in die Falle getappt

Die Szenen ähnelten sich, zeichneten jedoch ein anderes Bild – eines, das den Deutschen vor Augen führte, dass bei diesem Turnier vieles nicht nach Plan verläuft. Diesmal war Giulia Gwinn, die acht Tage zuvor in St. Gallen noch den Zuspruch ihrer Mitspielerinnen erfahren hatte, in einer trostspendenden Rolle gefragt: Die Kapitänin, die sich zum Auftakt der Fußball-Europameisterschaft am Knie verletzte und seitdem in München behandelt wird, war zurückgekehrt und als personifizierte Glücksbringerin willkommen geheißen worden. Am Samstagabend marschierte die 26-Jährige trotz Manschette am Bein zügigen Schrittes auf den Platz, um ihre enttäuschten Teamgefährtinnen in den Arm zu nehmen und Botschaften loszuwerden, von denen die Mitspielerinnen später meinten, sie seien eine schöne Geste gewesen. Doch aufmunternde Wirkung konnten sie nicht entfalten.

Auch am Morgen nach dem 1:4 gegen Schweden war die Stimmung mau, wie ein Blick in die frustrierten Gesichter verriet. Sjoeke Nüsken schilderte nach dem Training, zu dem der Deutsche Fußball-Bund 350 Fans, Familienangehörige und Freunde eingeladen hatte, dass die Nacht kurz war. Nach dem Frühstück hätten sie sich zu einer Lage-Analyse zusammengesetzt. Tenor: So kann es nicht weitergehen! „Die Gegentore sind zu einfach gefallen“, sagte sie über die Lektion im Letzigrund, durch die sich die Erfolgsaussichten nicht verflüchtigt, aber verdüstert haben.

Im Viertelfinale treffen sie nun mit dem Sieger der Gruppe C auf einen „harten Brocken“, wie es Janina Minge in Anbetracht der möglichen Gegner Frankreich, England oder die Niederlande formulierte; außerdem rutschten sie im Turnierbaum in die Hälfte ab, in der im Halbfinale ein Aufeinandertreffen mit Spanien droht – eine Konstellation, die sie tunlichst vermeiden wollten.

„Jeder weiß mittlerweile, dass wir hinten sehr riskant spielen“

Fehler und Unachtsamkeiten machten den Schwung der Anfangsphase zunichte, in der Jule Brand (7. Minute) für den Führungstreffer gesorgt hatte. Minge und ihre Nebenleute tappten immer wieder in die Falle, die ihnen die Schwedinnen stellten. Die Idee, auf dem rechten Flügel für Überzahlsituationen zu sorgen, den Raum zwischen Anstoßkreis und Strafraum konsequent mit handlungsschnellen Angreiferinnen zu besetzen und so die Verteidigerinnen aus ihrer Grundordnung hervorzulocken, erwies sich als gut durchdacht. Mit ihrer Ballsicherheit und Passgenauigkeit fragmentierten sie die deutsche Abwehrkette, in der Sarai Linder und Rebecca Knaak bei dem Tempo der Schwedinnen nicht Schritt halten konnten.

Minge ließ bei aller Selbstkritik auch leise Zweifel an der offensiven Strategie durchklingen, die der Bundestrainer für die EM vorgegeben hatte. „Die Gegentore haben uns gekillt. Die Schwedinnen haben es clever gemacht, haben die Seite überladen – und wir wussten nicht so recht, wie wir es machen sollten. Jeder weiß mittlerweile, dass wir hinten sehr riskant spielen“, sagte die 26-Jährige. Torhüterin Ann-Katrin Berger, die zu erkennen gab, dass sie durch die von Christian Wück angestoßene Debatte um ihren Spielstil verunsicherter war, als es der Bundestrainer später wahrhaben wollte, schlug in die gleiche Kerbe: „Schweden macht natürlich auch seine Hausaufgaben. Wir haben uns manchmal zu sehr rausziehen lassen. Wir müssen einfach geduldiger sein – und wenn wir ausrücken, kompakt zustellen.“

Zu allem Übel sah Carlotta Wamser, die Vertreterin von Rechtsverteidigerin Gwinn, wegen eines Handspiels die Rote Karte. Wück sprach von einer „Aneinanderreihung von Verhaltensweisen, die nicht gut waren“. Er halte nichts davon, „Einzelne an den Pranger zu stellen“, stattdessen sei wichtig, als Kollektiv an den Schwächen zu arbeiten. „Wir liegen jetzt am Boden“, fügte er an und bemühte sich, bei aller Enttäuschung trotzdem nicht den Eindruck zu vermitteln, dass sämtliche Hoffnung verloren gegangen sei: „Wir werden wieder aufstehen.“

DSGVO Platzhalter

Ganz gleich, gegen wen es in der Runde der letzten Acht an diesem Samstag in Basel (21.00 Uhr im F.A.Z.-Liveticker zur Frauenfußball-EM) weitergeht, komme es darauf an, „unsere Stärken auf den Platz zu bringen“. Das bedeutet für den Coach: Auch mehr Mut, beharrlicher selbstbestimmt gestalten zu wollen: „Es ist falsch, wenn wir sagen, wir wollen jetzt nur reagieren und nur zerstören“, sagte der 52-Jährige, der nicht von seiner angriffslustigen Grundausrichtung abrücken will: Es passe nicht zum Charakter dieses Teams, „dass wir uns hinten reinstellen“.

Ein mögliches Szenario, das für mehr Balance und weniger Störanfälligkeit sorgen könnte, ließ sich in der zweiten Halbzeit erkennen. Die Schwedinnen behielten auch weiterhin alles im Griff, taten sich aber schwerer, mit Speed auf die letzte Reihe der Deutschen vorzustoßen. Was auch darin begründet lag, dass die zur Pause hereingenommene Sydney Lohmann emsiger am Geschehen teilnahm als zuvor Laura Freigang. Die von München zu Manchester City wechselnde Mittelfeldspielerin könnte mit ihrer unaufgeregten Zweikampfführung – in Verbindung mit Elisa Senß und Nüsken – dem Maschinenraum der Deutschen eine stabilisierende Komponente geben.

Wück jedenfalls kündigte an, sich viele Gedanken zu Taktik sowie System zu machen und nach einem Tag des Durchatmens ausgiebig mögliche Optionen auf dem Übungsplatz zu testen. Giovanna Hoffmann zeigte sich zuversichtlich, dass der Rückschlag zwar ärgerlich, aber verkraftbar ist: „Selbstvertrauen ist nicht nur ein Gefühl, sondern eine Überzeugung, die man in sich trägt. Und die hat keinen Abbruch erlitten“, betonte die Stürmerin. Doch auch sie wird wissen, dass nun endgültig bei dieser EM eines zählt: Die Leistung, die dem Glauben folgen muss.