Das Mobiltelefon hat ein wenig von seiner Strahlkraft als Watschenmann für alles Übel dieser Welt eingebüßt. Spekulationen, dass es Hirn- oder Ohrenkrebs auslösen kann, haben sich bisher nicht bestätigt, und seit Mama, Papa, Oma und Opa mindestens so oft darauf herumwischen und drücken wie der Nachwuchs, ist die erzieherische Mahnung zur Handy-Abstinenz kaum noch glaubwürdig. Lärmbelästigung? In Bussen und Bahnen sind es mittlerweile fast immer die Senioren, die den Klingelton nicht stummschalten und den Lautsprecher anlassen, sodass alle Fahrgäste den schreienden Sprecher und auch seinen Gesprächspartner ertragen müssen.
Für aktive Verkehrsteilnehmer ist die Handynutzung sowieso mit erheblichen Gefahren verbunden. Im Auto erhöht allein der Griff des Fahrers zum Mobiltelefon die Unfallgefahr um das Fünffache. Wer während der Fahrt Nachrichten schreibt oder liest, steigert das Risiko für einen Crash gar um das Zehnfache. Auch für Fußgänger lauern diverse Gefahren, wie Forscher aus Kanada nun zeigen. Die Wissenschaftler der University of British Columbia belegen im Fachmagazin Accident Analysis and Prevention, dass die Risiken für Unfälle und Beinahe-Unfälle um 45 Prozent steigen, wenn im Gehen Nachrichten geschrieben oder gelesen werden oder das Handy anderweitig in Gebrauch ist.
Ohne Handy in der Hand trifft man sicherere Entscheidungen
Die Forscher um Tarek Sayed werteten für ihre Analyse die Aufnahmen von Überwachungskameras aus, die an stark frequentierten Kreuzungen in Vancouver gemacht wurden. Dabei zeigte sich, dass durch das Handy abgelenkte Fußgänger seltener auf ihre Umgebung achteten, ihre Geschwindigkeit und ihren Weg zumeist nicht an die Erfordernisse anpassten und deshalb im Gewusel der Großstadt weniger sicher waren. Auf plötzliche Gefahren zu reagieren und im Zweifel auch vor einem Zebrastreifen stehen zu bleiben, gelang ihnen weniger gut.
„Jene Fußgänger, die nicht durch das Handy abgelenkt waren, trafen hingegen sicherere Entscheidungen im Straßenverkehr“, sagt Verkehrsexperte Sayed. „Sie hielten größeren Abstand zu den Fahrzeugen und passten sich und ihr Verhalten insgesamt besser an den Verkehr an.“ Immerhin beobachteten die Forscher, dass sich auch etliche Autofahrer umsichtiger verhielten, sobald sie durch das Handy abgelenkte Fußgänger sahen: Sie gingen häufiger vom Gas und erkannten offenbar, dass sie eher mit unberechenbaren Bewegungen zu rechnen hatten.
Die Ergebnisse der kanadischen Forscher könnten dazu genutzt werden, heikle Verkehrssituationen zu entschärfen. So sei es denkbar, die Grünphase für Fußgänger an Ampeln zu verlängern oder mit Audiosignalen auf besondere Risikoorte in der Stadt aufmerksam zu machen. Womöglich könnten sogar Warnmeldungen auf das Handy geschickt werden, um auf gefährliche Kreuzungen hinzuweisen. Denkbar seien auch eng umgrenzte Handy-Verbotszonen, wenn sich die Unfallgefahr dort nicht anders verringern lasse. Da sich Menschen aber ungern von Verboten reglementieren lassen, könnten Stadtplaner auch die Fußgängerüberwege leicht über das Straßenniveau erhöhen, so die Wissenschaftler. Dann seien etliche Passanten zwar immer noch abgelenkt, wenn sie ihr Handy nutzen – würden dabei aber im Überlebenskampf in der Großstadt immerhin besser gesehen werden.