
Da also soll es sein: das neue Gedenkstättenkonzept von
Kulturstaatsminister Wolfram Weimer. Konzeption des Bundes für die
Gedenkstätten zur Aufarbeitung der NS-Terrorherrschaft und der SED-Diktatur heißt der 46-seitige Referentenentwurf, der der ZEIT vorliegt und nun in die Abstimmung geht.
Damit will Weimer also hinbekommen, was seiner Amtsvorgängerin Claudia Roth (Grüne) nicht gelungen ist: die überfällige Aktualisierung der Gedenkstättenkonzeption
des Bundes aus dem Jahr 2008. Zur Erinnerung: Vor zwei Jahren
hatte es aus den Reihen der Gedenkstätten massive Proteste gegeben, weil ein Entwurf Roths
neben den klassischen Säulen der NS-Verbrechen und des DDR-Unrechts unter anderem auch das
Gedenken an den Kolonialismus enthielt. In einem Brandbrief der Gedenkstättenleitungen hieß es,
Roth wolle die deutsche Erinnerungskultur umbauen, sie leiste einer
Relativierung des Holocausts Vorschub. Das Papier ging zurück in die Werkstatt.
Auch Weimer begründet die Neuauflage nun mit den
veränderten Rahmenbedingungen. Die Zahl der Zeitzeugen von NS und DDR nehme
stetig ab, heißt es da, an ihre Stelle träten digitale Formen der Vermittlung,
die sich in einem „völlig veränderten kommunikativen Umfeld“ behaupten
müssten. Insbesondere über die sozialen Medien würden Geschichtsmythen
verbreitet sowie antisemitische und menschenverachtende Äußerungen getätigt.
„Zum Teil werden historische Fakten offen geleugnet oder in missbräuchlichen
Bezug zu aktuellen Ereignissen gesetzt, wie zum Beispiel nach dem
Terroranschlag der Hamas vom 7. Oktober 2023“, heißt es in dem Papier.
Kein Wort zum Kolonialismus
Gerade deshalb müssten die Gedenkstätten ihr Angebot
auf vielfältigere Zielgruppen aus dem In- und Ausland einstellen, auf Menschen
mit oder ohne eigene Täter- oder Verfolgtengeschichte in der Familie: „Die
Individualisierung und Polarisierung der Gesellschaft und die Veränderung der
internationalen Ordnung machen vor dem Kampf um Geschichtsbilder nicht halt“, heißt es im Konzept.
Doch entscheidend ist diesmal, was nicht drinsteht. Denn
anders als bei Roth findet das Gedenken an den deutschen Kolonialismus in Weimers
Konzept erst gar keine Erwähnung. Und zwar mit keinem einzigen Wort.
Damit vollzieht Weimer eine erinnerungspolitische
Kehrtwende, zurück auf Anfang. Viele dürfte das kaum überraschen. Weimer hatte
die Bekämpfung des Antisemitismus von Beginn an zur obersten Priorität erklärt, und gerade das postkoloniale Gedenken steht seit dem 7. Oktober 2023 im
Verdacht, auch Judenfeinden und Israelhassern immer wieder eine Bühne zu
bieten. Zwar hatte Claudia Roth noch einen weiteren Entwurf für ein Gedenkstättenkonzept erarbeiten lassen, mit dem auch die Gedenkstättenleiter leben konnten, aber kaum jemand
rechnete wirklich damit, dass es noch einmal aus der Schublade hervorgezogen
werden würde. Dass die Regierung es nicht mehr rechtzeitig verabschiedete, lag
nicht allein am vorzeitigen Ampel-Aus. Es lag auch daran, dass Roth ihr Konzept
nicht entschieden genug vorangetrieben hatte. Und das rächt sich jetzt.
Nun kann man sagen, dass auch Roths Papier von einer
geschichtspolitischen Emphase geprägt war. Genauso wie es jetzt Weimers
erinnerungspolitische Rolle rückwärts ist. Ebenso darf man feststellen, dass die
Gedenkstättenleiter vom einstigen KZ Bergen-Belsen bis zum ehemaligen Zuchthaus
Brandenburg-Görden genau das bekommen, was sie sich, wohl auch aus Sorge um die
nötigen Zuwendungen, damals von ihrem Protest erhofft haben. Finanzielle
Verteilungskämpfe mit Gedenkstätten an das koloniale Unrecht haben sie in
Zukunft jedenfalls nicht zu befürchten.
Dennoch kann man mit dem Entwurf nicht glücklich sein.
Man muss Weimers Papier nicht gleich für reaktionär halten, nur weil es nicht
progressiv ist. Aber an einer offiziellen Gedenklandschaft, in der die
Verbrechen des deutschen Kolonialismus keine Rolle spielen, kann auch denen
nicht gelegen sein, die sich um die immer schwieriger werdende Vermittlung auch
an jene bemühen, deren Familien eben nicht zu den direkten Nachfahren der
deutschen Täter gehören. Das sollte, siehe oben, eigentlich auch ins Konzept von
Wolfram Weimer passen.