Gastbeitrag von Eva Illouz: Der moderne Judenhass ist nicht religiös, sondern politisch – Kultur

Wilhelm Marr (1819–1904) war ein deutscher Journalist und außerdem das, was wir heute einen Aktivisten nennen würden. Er gab den Anstoß zum modernen Antisemitismus und nutzte diesen Begriff, um eine eher rassistische als religiöse Ablehnung der Juden zu beschreiben und sie vom traditionellen christlichen „Judenhass“ abzugrenzen. Marr gründete die Antisemitenliga, die erste politische Organisation, die sich ausdrücklich dem antijüdischen Aktivismus verschrieb, und publizierte 1879 die Propagandaschrift „Der Sieg des Judenthums über das Germanenthum“. Darin behauptete er, es sei den Juden gelungen, Deutschland zu erobern, weil sie von ihrer eigenen rassischen Überlegenheit überzeugt seien, und forderte ihre Ausweisung. In Kenntnis der vielen Massaker an Juden, die in der Zeit nach Wilhelm Marr begangen wurden, ist die Lektüre dieses Pamphlets schwer zu ertragen. Dennoch ist Marrs Broschüre hilfreich, um Aspekte des heutigen Antisemitismus zu verstehen.