Gaspard Koenigs Roman „Humus“, eine Ökosatire auf unsere Zeit

Ein Roman, in dem Regenwürmer eine ebenso aktive Rolle spielen wie die Menschen, die bei ihrem Anblick „Igitt!“ sagen, wie die Vögel, die sie aus der Erde picken, und die Bakterien im Boden, von denen sie leben, wäre ein Spiegel unseres neuen Erdzeitalters und seiner allgegenwärtigen Ökoobsession. Alles Vorhandene bis hin zum Leblosen stünde zueinander in einem fortwährenden „Parlament der Dinge“ gemäß Bruno Latours Network Theory. Diverse Anläufe dazu sind in der Literatur schon gemacht worden. Zu den bemerkenswertesten gehörte wohl 2018 Richard Powers’ „The Overstory“, auf Deutsch „Die Wurzeln des Lebens“, wo Bäume durch ihre Beziehung zu Menschen ein eigenes Schicksal bekamen.

Im vorliegenden Buch ist der Erdboden der Romantitelheld. Homo und Humus sind einander etymologisch verwandt. Und die Regenwürmer, deren Biomasse an Gewicht jene aller Homo sapiens, Elefanten und Ameisen zusammengezählt angeblich übertrifft, bilden durch ihre Verdauungsarbeit laut Darwin die Grundlage der terrestrischen Evolution. Ein echter Zeitroman also fürs Anthropozän?

Es scheint eher so, als sperrte sich das Genre des Romans gegen so eine Sache. Romane verlangen nach Handlung, Brüchen, Glücks- und Katastrophenfällen, nicht nach Langzeitevolution. Jedenfalls verausgabt sich, wie andere Autoren vor ihm, der dreiundvierzigjährige französische Romancier, Publizist, Politiker und philosophische Phantast Gaspard Koenig in seinem fünften Roman „Humus“ mehr damit, sein Thema mit einzelnen Menschenschicksalen zu illustrieren, als diese mit der Sache verwachsen und verklumpen zu lassen.

Er will die Ackerschuld seiner Vorfahren sühnen

Zwei Ingenieurstudenten der AgroParisTech freunden sich in einer Vorlesung über Lumbrikologie, die Wissenschaft vom Regenwurm, an und setzen dann auf unterschiedliche Weise die Lektion des Professors in die Wirklichkeit um. Der Pariser Anwaltssohn Arthur müht sich auf ei­nem vom Großvater geerbten, durch jahrelange Pestizidbehandlung verdorbenen Landstück damit ab, wieder Regenwurmkolonien in den sterilen Boden zu bringen. Sein Freund Kevin hingegen baut mit einer Kommilitonin in Paris ein Start-up-Unternehmen für Wurmkompostierung und Humusproduktion auf.

Gaspard Koenig: „Humus“. Roman.
Gaspard Koenig: „Humus“. Roman.Verlag

An den gelungensten Stellen des Buchs ergibt das die köstliche Parodie eines zwischen Techno-Schwindel und Öko-Schwärmerei hin- und hergerissenen Zeitalters. „Ich sehe schon das Logo im App Store vor mir“, überschlägt sich Kevins Studienberater euphorisch beim Gedanken an den vernetzten Wurmkomposter „smart worm“, der mit Sensoren für Feuchtigkeit und Gewicht in Echtzeit die Zersetzung in den Abfallbehältern erfasst und durch eine mit Labordaten gefütterte KI unter großem Energieaufwand die Leistung optimiert. „Der smart worm wird das für Abfälle sein, was die Phantom-Lautsprecher von Devialet für die Musik sind“, jubelt der Mann. Dem gegenüber verbreitet Arthur aus dem abgelegenen Dorf in der Normandie auf seinem Blog „Ein Wurm gegen alle“ Ratschläge fürs richtige Leben, pflanzt Hecken und will die Schuld seiner auf Produktion getrimmten Vorfahren sühnen.

Die Figuren des Buchs bleiben aber weitgehend Schablonen eines paradoxen Gesellschaftsbilds. Darüber hilft auch die ausgiebige Schilderung ihres Geschlechtslebens nicht hinweg. Arthur wie Kevin haben mit vielen Schwierigkeiten zu kämpfen. Der eine kämpft mit den Bauern vom alten Schlag, mit seinen konfusen Kumpanen aus der Aussteigerrunde, mit seinem zähen Grundstück, in dessen Boden er so wenig Würmer hineinkriegt wie seine literarisch ambitionierte Freundin Wörter auf die leere Seite ihres Erstlingsromans. Kevin wiederum schlägt sich mit dem Gequassel der Developers, Start-upers, Technofreaks, Investoren und Spekulanten zwischen Paris und San Francisco herum, die ihn vom Tüfteln in seiner Werkstatt abhalten. Aus all dem ergeben sich jedoch keine rechten Profile.

Mit einer gewissen Spannung folgt man den Geschichten dieser Leute, die in der Begeisterung wie in der Entmutigung seltsam vernünftig bleiben. Vielleicht träumen und verlieren sie sich einfach zu wenig. Immer scheint die Schablone durch, wenn etwa Kevin bei Madame Responsibility von L’Oréal sich kurz aus der mondänen Event-Veranstaltung ausklinkt und durch den Schlosspark geht, dabei eine Hand in die schöne schwarze Erde steckt und allmählich lustvoll ein Krabbeln um seine Finger spürt von Würmern, die, von den Mineralsalzen auf seiner Haut angelockt, mit ihren zahnlosen Mündern sich daran gütlich tun.

Gaspard Koenig ist ein kundiger und scharfer Beobachter der Gesellschaft mit einem politischen Denken, das mehr als zum militanten Aktivismus zu originellen Initiativen neigt und diese auch talentvoll in Worte zu fassen versteht. Aus seiner fünf Monate dauernden Reise zu Pferd durch Europa auf den Spuren des Re­naissance-Autors Michel de Montaigne ist 2020 ein Buch hervorgegangen. Mit seinem Think Tank „GénérationLibre“ setzt er sich im Geist des klassischen Liberalismus für den Abbau überzogener Vorschriften und Normen ein, und mit seiner politischen Bewegung „Simple“ wollte er bei der letzten französischen Präsidentschaftswahl als Kandidat antreten, verfehlte aber die dafür notwendige Zahl von Patenschaften. „Wie hatte der Mensch mit seinem Gehirn, das so unendlich viel leistungsfähiger ist als die jämmerlichen hirnähnlichen Ganglien eines Regenwurms, nur dumm genug sein können, im Laufe der letzten Jahrzehnte Milliarden über Milliarden von Würmern zu vernichten?“, fragt sich Arthur im Roman, während er in einem Stück Wald­boden neben seiner dürren Wiese herumstochert.

Daraus kann man im O-Ton die Stimme des Autors mithören. Und wir Leser nicken dazu stumm. Gaspard Koenig hat aus dieser Einhelligkeit eine unterhalt­same Story gemacht, und Tobias Roth hat diese mit schwungvoller Präzision ins Deutsche übersetzt.

Gaspard Koenig: „Humus“. Roman. Aus dem Französischen von Tobias Roth. Matthes & Seitz, Berlin 2025. 278 S., geb., 26,– €.