Ob es tatsächlich noch so etwas wie Geheimtipps gibt in Italien? Nun, auch der Lago di Mergozzo wird seine Kenner und Liebhaber haben – insofern also eher nicht. Dennoch ist dieser oberitalienische See vergleichsweise unbekannt und nicht besonders stark besucht. Obwohl er in unmittelbarer Nachbarschaft des Lago Maggiore liegt, von dem er sogar einmal ein Teil war, das Ende der Bucht hinter den Borromäischen Inseln nämlich. Der Toce, bedeutendster Zufluss des Lago Maggiore auf italienischem Gebiet, hat jedoch im Lauf der Jahrtausende so viel Geschiebe und Sediment angeschwemmt, dass der Lago di Mergozzo vor etwa fünf-, sechshundert Jahren abgetrennt wurde vom Hauptsee.

Sein Wasser ist besonders sauber, unter anderem weil er nicht mit Motorbooten befahren werden darf. Nicht zuletzt bei Anglern ist der See beliebt, unter anderem lassen sich hier Forellen, Hechte und Plötzen fischen. Und so beginnen die Autorin Catherine Roig und die Fotografin Emanuela Cino in dem Buch „Lago“ ihre kulinarische Reise hier, am Lago di Mergozzo. Sie wollen, so der Untertitel, „Die Küche der norditalienischen Seen“ vorstellen. Dafür ist der Lago di Mergozzo ein guter Ausgangspunkt. Bevor die beiden ein erstes Fischgericht präsentieren – Regenbogenforelle mit Parmesankräckern, Petersilienpüree und Zitronensud –, besuchen sie jedoch erst einmal eine Konditorei, Al Vecchio Fornaio Pasticcere im Ort Mergozzo, wo unter anderem die für die Region typischen Fugascina gebacken werden, Blechkuchen. Am Festtag der Heiligen Elisabeth Anfang Juli bringen sogar die Bewohner des Ortes ihren Fugascinateig, zubereitet nach dem jeweiligen Familienrezept, zu Konditormeister Simone Cimarosa, der die Kuchen backt, die dann nach der Messe versteigert werden.

Weiter führt die Reise an den Lago d’Orta, ebenfalls einer der kleineren, weniger bekannten Seen. Roig und Cino besuchen auch hier Gastronomen, Ladenbesitzer und Produzenten. Es geht um Käse und Wurstwaren, Liköre und Brot. Um die Qualität lokaler Produkte, um ihre Eigenheiten. Diesen Geschichten sind immer Rezepte beigestellt, mitunter für ausgefallenere Gerichte wie frittierten Fisch mit Polentakruste. Aber auch hier, an den norditalienischen Seen, hat man es mit einer sehr einfachen Küche zu tun: wenige Zutaten von allerdings hoher Qualität, die bei sorgfältiger Zubereitung schmackhafte Gerichte ergeben.

Es finden sich Rezepte für Tagliatelle mit Radicchio und Gorgonzola, einen Kaninchen-Eintopf, Fisch- und Zitronenrisotto oder ein Wildschwein-Ragout. Hier, am Südrand der Alpen, ist die Küche nicht ausschließlich geprägt vom Olivenöl, es wird auch häufig Butter verwendet. Es ist auch keine reine Pasta-Region. Sowohl Polenta als auch Reis spielen eine zentrale Rolle. Pizza hingegen überhaupt keine. Dafür der Wein. Italien, heißt es in dem Buch, sei das einzige Land der Welt, in dem in jeder Region Wein angebaut wird. So auch hier – und auch in teilweise herausragender Qualität. Man denke nur an den Schaumwein aus der Franciacorta südlich des Lago d’Iseo.
„Lago“ ist nicht nur ein Kochbuch, sondern auch die Einladung zum Einkehren. Viele Gerichte kann man selbst kaum zubereiten, weil man die Zutaten bei sich zu Hause nicht oder jedenfalls nicht frisch bekommt.

Am Comer See etwa haben Luciano und Marilena Motti vor dreißig Jahren eine Metzgerei und einen Lebensmittelladen eröffnet, inzwischen gehört auch eine Bodega dazu. Den Tatar nach Art des Hauses kann man zwar auch selbst zubereiten. Ihn sich auf der Terrasse der Bottega servieren zu lassen und den Blick auf den See zu genießen, erhöht die Lebensqualität jedoch deutlich.
Schließlich führt der Weg, den Catherine Roig und Emanuela Cino nehmen, auch an die prominenteren Seen, eben den Lago Maggiore, den Comer See und den Gardasee (und zwischendurch noch an den Iseosee). Auch da finden sich, neben den touristischen Standard-Restaurants, etliche Adressen, an denen man etwas Besonderes serviert bekommt. Verbunden immer mit einer tollen Aussicht auf Wasser und die Berge, die nicht fern sind. Und mit Gastgebern, die einem etwas vermitteln von ihrer Leidenschaft fürs Essen, fürs Genießen.
Catherine Roig, Emanuela Cino: Lago. Die Küche der norditalienischen Seen. Prestel Verlag, München 2025. 400 Seiten, 38 Euro.
