Fußball-EM der Frauen: Mit neuen Impulsen auf die Mission Titelgewinn

Zwölf Jahre ist es her, dass die deutschen Fußballspielerinnen zuletzt den EM-Titel feierten. Jetzt soll es endlich wieder klappen. Die Mannschaft hat sich für das Turnier in der Schweiz viel vorgenommen. Und der DFB bietet ihnen für den Erfolgsfall einen besonderen Lohn.

Wenn kommenden Freitag das erste Vorrundenspiel gegen Polen angepfiffen wird, tritt Deutschland als Rekordsieger an. Keine andere Nation hat eine Fußball-EM so oft gewonnen wie die Frauenauswahl des Deutschen Fußball-Bundes: achtmal bei 13 Auflagen. Und doch ist die Titelsättigung der späten 1980er- bis frühen 2010er-Jahre einem Erfolgshunger gewichen. Denn zum bislang letzten Mal stemmten deutsche Spielerinnen 2013 den EM-Pokal in die Luft. Der bislang letzte Titelgewinn insgesamt liegt nun auch schon neun Jahre zurück, der Olympiasieg 2016.

„Für Titelhunger braucht es keine zwölf Jahre, es reichen zwei. Die Sehnsucht ist groß. Dafür treten wir bei Turnieren an“, sagt Nia Künzer, 45, die das DFB-Team 2003 zum WM-Gewinn köpfte und die besten Jahre des deutschen Frauenfußballs auf dem Platz miterlebt hat. Heute ist sie als Verbandsdirektorin für Frauenfußball dafür zuständig, dass die kommenden Jahre wieder erfolgreicher werden. „Wir konnten immer wieder positive Ausrufezeichen setzen. Wir haben uns zweimal in Folge für das Final Four der Nations League qualifiziert, bei Olympia 2024 Bronze geholt. Aber natürlich ist es noch einmal etwas ganz Anderes, mit dem Titel nach Hause zu kommen“, sagt Künzer.

Dafür, dass es diesmal klappt, hatte sie im vergangenen Sommer die Idee, Christian Wück, 52, als Bundestrainer zu verpflichten, der zuvor mit männlichen Nachwuchsteams sehr erfolgreich gewesen war. Maren Meinert, 51, und Saskia Bartusiak, 42, die beide Weltmeisterinnen auf dem Platz waren, assistieren dem Franken.

Neu ist auch der Führungsstil innerhalb der Mannschaft. Die Art von Kapitänin Giulia Gwinn, 25, mit Teamkolleginnen umzugehen, ist einfühlsamer als die bisweilen sehr direkte Ansprache von Vorgängerin Alexandra Popp. „Wir haben jetzt andere Persönlichkeiten in der Mannschaft“, sagt Künzer. „Die Spielerinnen haben ein Bewusstsein dafür, wie wichtig eine harmonische Stimmung ist.“

Spannend wird, wie sich die Toptalente schlagen

Neben Bayern-Verteidigerin Gwinn bilden Torhüterin Ann-Katrin Berger (34, New York), Abwehrchefin Janina Minge (25, Wolfsburg), Mittelfeldantreiberin Sjoeke Nüsken (24, FC Chelsea) sowie die Münchener Stürmerinnen Lea Schüller, 27, und Klara Bühl, 24, das Gerüst der Mannschaft. Dazu kommen Laura Freigang (27, Frankfurt) und Linda Dallmann (30, München), die sich die Position der Spielgestalterin teilen sollen. Spannend wird, wie sich zudem die Toptalente schlagen. Allen voran Jule Brand – für viele die potenziell beste deutsche Spielerin dieser Generation. Die 22-Jährige wird nach der EM vom VfL Wolfsburg zum Spitzenklub Lyon wechseln und dort mit einem geschätzten Jahresgehalt von 700.000 Euro zur bestbezahlten deutschen Spielerin aufsteigen.

Wie auch Julian Nagelsmann bei der Männer-Nationalmannschaft legte Wück bei den Frauen Rollen fest – von Stamm- bis Ergänzungsspielerin, von Verantwortungsträgerin bis Stimmungsgeberin. „Das Entscheidende ist, dass jeder seine eigenen Ziele zurückstellt und alles für die Mannschaft gibt“, sagt Künzer.

Im Trainingslager in Herzogenaurach schwärmten alle Spielerinnen von einer Atmosphäre, die sie so noch nie erlebt hätten. Alle sind auf der gleichen Wellenlänge. Es gelingt dem Team gerade gut, gemeinsam Probleme anzusprechen und zu lösen. So sollen und wollen die deutschen Frauen auch bei der EM auftreten. Ob das gelingt, wird sich aber in schwierigeren Situationen zeigen.

Und diese gab es seit Wücks Amtsübernahme durchaus schon. Kaum ein Länderspiel war über 90 Minuten konstant gut. „Wir haben mit dem neuen Trainerteam eine neue Philosophie umgesetzt – in der Spielweise oder der Positionierung. Im Oktober war das für viele Spielerinnen neu“, sagt Künzer. Es holperte, aber am Ende standen überwiegend Siege. „Die Ergebnisse haben geholfen, eine große Offenheit und eine Lust auf die Art, Fußball zu spielen, geschaffen“, sagt Künzer. Die großen Schritte machte das Team vor allem in den vergangenen Wochen. Die beiden jüngsten Auftritte, beim 4:0 gegen die Niederlande und beim 6:0 in Österreich waren mehr als souverän.

Beim Titelgewinn bekäme jede Spielerin 120.000 Euro pro Person

Zu den Titelanwärtern bei dem Turnier in der Schweiz zählen Weltmeister Spanien, Titelverteidiger England, das 2025 noch unbesiegte Frankreich und Schweden, Deutschlands dritter Gruppengegner. Für die DFB-Elf geht es nach dem blamablen und bislang einzigartigen Vorrundenaus bei der WM 2023 in Australien zuerst darum, die Gruppenphase zu überstehen, in der sie am 2. Spieltag noch auf das schwer einzuschätzende Dänemark trifft.

Künzer ist überzeugt davon, dass die EM sehenswert wird. „Es wird ein tolles Turnier, mit großer Resonanz in den Stadien und zu Hause“, sagt sie. „Die EM 2022 in England war für viele ein Augenöffner, was die Qualität des Frauenfußballs angeht. Wir bieten tollen, attraktiven Sport auf einem hohen Level.“

Und der DFB bietet den Frauen einen lukrativen Anreiz, nach fast einer Dekade Titellosigkeit das höchste Niveau zu erreichen. Im Vergleich zur Europameisterschaft vor drei Jahren, als Deutschland erst in der Verlängerung des Endspiels gegen Gastgeber England verlor (1:2), wurden die Erfolgsprämien für die Spielerinnen verdoppelt. Beim Titelgewinn in der Schweiz würden Gwinn und Co. 120.000 Euro pro Kopf bekommen. „Also ich wäre froh, wenn die Prämie ausgezahlt werden muss“, sagt Künzer lächelnd. „Ich finde, wir haben eine gute Vereinbarung gefunden.“

Auch die Organisation verspricht mehr als bei der verpatzten WM zuletzt. Da hatte es viel Ärger um das Quartier in Wyong gegen – irgendwo im Nirgendwo, mit kaum Ablenkungsmöglichkeiten für die Spielerinnen, dafür aber mit viel Frustpotenzial. Diesmal beziehen die Deutschen ein Luxushotel in der Nähe des Zürichsees. Von dieser Basis aus sind die Spielorte St. Gallen, Basel und Zürich in kaum mehr als einer Stunde zu erreichen, was das Quartier noch attraktiver macht.

„Es ist wichtig, dass die Rahmenbedingungen gut sind“, sagt Künzer. „Wir fahren nach jeder Partie wieder ins Mannschaftshotel. Die meisten Spielerinnen können nach einer Partie ohnehin nicht sofort schlafen. Und es ist für sie komfortabler, am Tag nach dem Spiel nicht noch einmal zu reisen.“

Die Hoffnung der deutschen Spielerinnen ist nun, dass die Reise bis zum 27. Juli dauert, wenn in Basel das Finale ausgetragen wird.