Im Untersuchungsausschuss des Bundestags hat der frühere Wirtschaftsstaatssekretär Patrick Graichen Vorwürfe zu Entscheidungen zum Atomausstieg zurückgewiesen. Graichen sagte auf die Frage des Vorsitzenden Stefan Heck (CDU), ob das Ministerium im Jahr 2022 bei der Frage einer möglichen Laufzeitverlängerung der Atomkraftwerke ergebnisoffen und ohne „Denktabus“ vorgegangen sei: „Ja, das sind wir.“
Vor allem Unionspolitiker werfen Wirtschaftsminister Robert Habeck sowie Umweltministerin Steffi Lemke (beide Grüne) vor, nach dem Beginn des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine den Weiterbetrieb von Kernkraftwerken in Deutschland nicht wie von Ministerien dargestellt „ergebnisoffen“ und „unvoreingenommen“ geprüft, sondern aus ideologischen Gründen entschieden zu haben.
Atomausstieg verzögerte sich um wenige Monate
Graichen war bis Mai 2023 Energie-Staatssekretär im Wirtschaftsministerium und einer der engsten Mitarbeiter Habecks. Er musste nach Vorwürfen der Vetternwirtschaft das Amt räumen. Graichen gab im Untersuchungsausschuss an, er sei heute Berater in energie- und klimapolitischen Fragen. Der 52-Jährige ist Aufsichtsrat des ukrainischen Energiekonzerns Ukrenergo.
Um die Energiekrise abzufedern, die nach dem Beginn des Ukraine-Kriegs und dem russischen Lieferstopp von Gas eingetreten war, hatte die Bundesregierung entschieden, die letzten drei Atomkraftwerke noch ein einige Monate länger laufen zu lassen als ursprünglich geplant. So verschob sich der deutsche Atomausstieg vom 31. Dezember 2022 auf den 15. April 2023. Die Dauer des Weiterbetriebs der Kraftwerke sowie die Entscheidung zum endgültigen Atomausstieg hatten für heftige Diskussionen gesorgt.
Frage nach Einfluss von Atomstrom auf Versorgungssicherheit
Graichen sagte zum Weiterbetrieb der Atomkraftwerke, dass die wichtigste Frage bei der Entscheidungsfindung gewesen sei, ob es einen Nutzen zur Versorgungssicherheit gebe, der es rechtfertigte, Risiken und Probleme zu „adressieren“. Der Kenntnisstand sei gewesen, dass der Beitrag minimal gewesen wäre. Auch Stefan Tidow, Staatssekretär im Umweltministerium, sprach von einem sehr geringen Ertrag sowohl durch einen sogenannten Streckbetrieb der Atomkraftwerke als auch durch eine Betriebsverlängerung, um die Lage zu bewältigen.
Der Obmann der FDP im Ausschuss, Frank Schäffler, bezeichnete Erinnerungslücken von Graichen als nicht glaubwürdig. „Er war der Architekt des Atomausstiegs, dabei gab es schon im Frühjahr 2022 die Notwendigkeit, neue Brennstäbe zu ordern“, sagte Schäffler.
Der Untersuchungsausschuss will im Januar unter anderem noch Habeck sowie Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) befragen.