„From the Pyre“ von The Last Dinner Party: Neben dieser Band wirken alle anderen lustlos

Die erste Zeile knallt schon mal gut rein: „Oh here comes the apocalypse, and I can’t get enough of it“, singt Abigail Morris – die Apokalypse ist da, und die Sängerin der Londoner Band The Last Dinner Party kann nicht genug davon kriegen. Alles steht auf deren zweitem Album From the Pyre in Flammen, von den David-Bowie-Gitarren bis zur obsessiven Liebe, die Morris im zitierten Song Agnus Dei besingt. Wer es vergessen hatte, weiß danach wieder, warum The Last Dinner Party schon im vergangenen Jahr als Sensation galten.

Aufstiege wie ihrer erscheinen im Musikgeschäft kaum noch möglich – zumindest für eine Rockband. Als The Last Dinner Party im Februar 2024 ihr Debütalbum Prelude to Ecstasyveröffentlichten, fühlte man sich eher an die mittleren Nullerjahre erinnert, als die Arctic Monkeys mit ein paar Clubkonzerten in Sheffield plötzlich zur angesagtesten Band in England wurden. Auch The Last Dinner Party wurden bei einer frühen Liveshow entdeckt. Gleich ihre erste Single Nothing Else Matters wurde im UK zum Hit, trotz ihres ungewöhnlich bombastischen Art-Rock-Sounds. Schon damals klangen The Last Dinner Party nicht wie Newcomer. Sie schienen bereits ausgereift.

Stil und Ästhetik waren sofort perfekt, die theatralischen Gesten und das Selbstbewusstsein der fünf Musikerinnen saßen – weshalb sich im Internet auch Misstrauen unter die Begeisterung mischte. Waren The Last Dinner Party sogenannte industry plants? Musikalische Marionetten, vom größten Unternehmen der Branche mit viel Geld aufgeblasen? Und hatten sie auch von den Connections ihrer Eltern profitiert? Die Skepsis erschien reflexhaft und hätte niemanden überraschen dürfen: Vorwürfe dieser Art treffen erfolgreiche Frauen häufiger und heftiger als Bands mit überwiegend männlicher Besetzung. Die Skepsis war aber auch falsch: Die Songs auf Prelude to Ecstasy klangen einfach zu clever und mitreißend, um sich ihnen zu entziehen.

In Großbritannien verkaufte sich das Album besser als jedes andere Debüt der letzten neun Jahre. Alles an Prelude To Ecstasy war opulent, extravagant und maximal aufgedreht – von den Gitarrensoli über die Streicher bis zu den Kostümen der Band mit Puffärmeln, Korsett und kniehohen Stiefeln. Das ganze Programm eben. Wie eine Barockversion von Kate Bush klang das, neu interpretiert für die Gen Z. The Last Dinner Party waren deshalb zugleich Londons hotteste und anachronistischste junge Band. Sie gewannen einen Brit Award, spielten die großen Festivals von Glastonbury bis Coachella und traten im Londoner Hyde Park als Vorgruppe der Rolling Stones auf.

Was macht man aus so einem Hype? Kann man den Erfolg wiederholen? Das sind Fragen, die nun über The Last Dinner Party und ihrem zweiten Album schweben, das – noch ganz im Rausch ihres Durchbruchs – nur 18 Monate nach dem Debüt erscheint. From the Pyre hält dem Erwartungsdruck erstaunlich gut stand. Es ist eine ausgezeichnete Popplatte, reich an Ideen, Hooks, Drama, glamourösen Anmaßungen und großen Emotionen.

Gewehre und Sensen, Seeleute und Cowboys

Die Texte beschwören unheilvolle Fantasiewelten herauf, mit Gewehren und Sensen, Seeleuten und Cowboys, Überschwemmungen und lodernden Infernos – herrlich überspannt und cineastisch. Das gilt auch für die neue Inszenierung von The Last Dinner Party: Auf dem Albumcover posieren verschiedene Versionen der Bandmitglieder auf einer Wiese als Postergirls für jeden Song. Sie halten Lämmer im Arm, spielen Schach, schwingen Schwerter und tanzen um den pyre, den Scheiterhaufen aus dem Plattentitel. The Last Dinner Party singen von Träumen und Albträumen, Sex und Gewalt, Neurosen, Messern und anderen scharfen Gegenständen. Unaufhörlich mythologisiert die Band das Chaos des modernen Lebens. Andere Musik wirkt neben ihren Songs geradezu lustlos.

The Scythe ist zugleich ein Song über eine schmerzhafte Trennung und den Tod von Morris‘ Vater. Trauer und Akzeptanz finden in einem Text voller abgetrennter Körperteile zueinander. This Is the Killer Speaking bewegt sich zwischen Mörderballade und Country-Pop, wieder geht es um das Ende einer Beziehung, hier inszeniert als gefährlicher Westerntanz. Im Song Rifle klebt dann Blut an den Stiefeln der bewaffneten Protagonisten. Schwere Gitarrenriffs erklingen in dieser modernen Antikriegsparabel, man denkt plötzlich an Queens of the Stone Age und Black Sabbath. Trotz solcher Ausreißer knüpft From the Pyre musikalisch an Prelude to Ecstasy an. Wie schon auf dem Debüt probiert die Band fast in jedem Song etwas Neues aus, klingt aber doch immer nach The Last Dinner Party. Die Instrumentierung ist theatralisch, der Gesang von Morris und ihr altmodischer Wortschatz klingen eben noch nach englischer Kneipenmusik, dann nach großer Showbühne in Las Vegas.

Das Album, das mit großer Lust auf die Apokalypse begonnen hatte, endet schließlich in einem Song namens Inferno. Fröhlich und selbstironisch klingt dieses Finale, getragen von Klavierakkorden und smarter Selbstreflexion. The Last Dinner Party sinnieren über die psychologischen Abgründe und Absurditäten ihres schnellen Aufstiegs, noch einmal entsteht daraus ein wilder Ritt, mit Zwischenstopps bei Jesus Christus, Jeanne d’Arc und im Reality-TV der Real Housewives. Das soll ihnen mal jemand nachmachen.

„From the Pyre“ von The Last Dinner Party ist bei Island/Universal erschienen.