
Als Bundeskanzler Friedrich Merz am Dienstagmorgen wieder in München landete, um seinen Urlaub am Tegernsee fortzusetzen, wirkte er auf die Mitgereisten heiter und gelöst. 27 aufreibende Stunden, in denen er zweimal den Atlantik überquert und rund fünf Stunden mit europäischen Spitzenpolitikern, vor allem aber mit dem amerikanischen Präsidenten Donald Trump und dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj verbracht hatte, schienen ihm kaum etwas anzuhaben.
Gleich nach der Ankunft im Ferienhaus in Gmund setzte sich Merz wieder ans Telefon. Er informierte diejenigen europäischen Regierungschefs, die nicht mit dabei gewesen waren bei dem Blitzbesuch, unter anderem den polnischen Ministerpräsidenten Donald Tusk, aber auch seine Kollegen im Baltikum. Gegen halb vier Uhr nachmittags setzte der CDU-Politiker dann noch Fraktionsvorsitzende im Bundestag, Jens Spahn (CDU) und Matthias Miersch (SPD), aber auch die grünen Fraktionsvorsitzenden Britta Haßelmann und Katharina Dröge ins Bild.
Merz schien, anders als viele Beobachter, selbst die Stunden im Weißen Haus nicht als grässliche Trump-Show empfunden zu haben. Sein Verhältnis zum amerikanischen Präsidenten sei offener als bei manchen anderen, auch in der Union, heißt es über ihn. Überhaupt hat Merz mehr Amerika-Erfahrung, aber auch Affinität zu Land und Leuten als die allermeisten, wenn nicht alle seiner Vorgänger im Kanzleramt.
Freude am Kräfte- und Ideenwettstreit mit Trump
Als langjähriger Vorsitzender der deutsch-amerikanischen Atlantik-Brücke hatte er auch nach seiner ersten aktiven Politikerzeit Dutzende Male Washington besucht, Senatoren, Abgeordnete und Wirtschaftsvertreter getroffen und sich intensiv mit transatlantischen Beziehungen befasst. Zudem war Merz im Rahmen seiner privatwirtschaftlichen Tätigkeit mehrere Jahre lang bei der New Yorker Investmentfirma Blackrock. Als Aufsichtsratsvorsitzender hat er für den deutschen Zweig des amerikanischen Unternehmens gearbeitet.
Merz hat eine gewisse Freude am Kräfte- und Ideenwettstreit mit Trump. Und als unter den Europäern und bei ihm die Idee aufkam, man könne Selenskyj nach dem Alaska-Gipfel zwischen Trump und Russlands Präsidenten Wladimir Putin unmöglich allein nach Washington reisen lassen, war Merz ganz vorne mit dabei. Bis hinein in die Choreographie der europäischen Wortmeldungen wurde alles miteinander besprochen. Wobei es EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen wohl nur mäßig gefallen haben dürfte, als vormalige Familienministerin vor allem von den entführten ukrainischen Kindern zu reden, statt Europas eigentliche Potentiale in die Waagschale zu werfen.
Zu der Rolle, die Merz gemeinsam mit Frankreichs Präsident Emanuel Macron in Trumps Vorführung einnahm, gehörte die wiederholte Erwähnung des Wortes „Waffenstillstand“. Merz habe diese europäische Forderung Trump zuliebe nach dessen Treffen mit Putin zunächst nicht mehr erwähnt, dann wieder zu seiner tatsächlichen Meinung zurückgefunden, heißt es in Regierungskreisen. Ein wenig schlingernd wirkte der Kanzler nach Ansicht vieler Parteifreunde auch bei der Israel-Frage; zuweilen wünschen sie sich etwas mehr diplomatische Zurückhaltung.
Merz war offenbar bereit, im Weißen Haus etwas zu riskieren
Er wolle „nicht verhehlen, dass ich nicht sicher war, dass es heute so verläuft. Das hätte auch ganz anders kommen können“, sagte Merz nach dem Termin im Weißen Haus. Es heißt, dass die Europäer grundsätzlich bereit gewesen seien, es notfalls auch zum Bruch mit Trump kommen zu lassen, sollte dieser die Ukraine mehr oder weniger an Russland verscherbeln.
Offenbar war auch Merz darauf eingestellt, etwas zu riskieren, obgleich er sich an den Schmeicheleien für Trump beteiligte. So trug er etwa, ein kleiner Spaß, den Merz sich gelegentlich erlaubt, eine Krawatte mit passenden Tiermotiven. Diesmal eine mit kleinen Elefanten, dem Symbol von Trumps Republikanischer Partei.

Dass dem „Außenkanzler“, als den man ihn bezeichnet hat, das Herumfliegen zwischen den Kontinenten und das Gespräch mit den Staats- und Regierungschefs mehr Freude macht als die zähe Innenpolitik und die schwierige Kooperation mit der SPD, scheint auf der Hand zu liegen. Doch haben, abgesehen vielleicht von Kurt Georg Kiesinger und Olaf Scholz, alle deutschen Kanzler seit 1949 in Europa das wichtigste Handlungsfeld und in der Weltpolitik zumindest einen Schwerpunkt gefunden.
Merz ist angetreten, um Deutschland wieder zum Taktgeber und informellen Vorreiter des Kontinents zu machen. Und um diese Rolle wieder zu übernehmen, nachdem Macron sie während der Kanzlerschaft von Scholz zeitweise innehatte. Vor allem gilt es für Merz dabei, die Grundlage des deutschen Wohlstands wieder zu festigen, den seine Generation erlebt hat. Und die besteht aus Handel und Export. Dass er dabei auf europäischer Ebene Alleingänge vermeiden muss und genau darauf achtet, die kleineren Staaten einzubinden, ist klar.
Die Zeit im EU-Parlament hat ihn geprägt
Merz hat das schon lange vor Beginn seiner Amtszeit unter Beweis gestellt: Reisen nach Finnland und Schweden gehörten in dieser Phase ebenso zum Programm wie das Knüpfen enger Beziehungen zu Macron, den er zum Essen traf oder zu gemeinsamen Besuchen im Atelier des Künstlers Anselm Kiefer. Sichtbar wurde dabei bereits eine außenpolitische Beflissenheit, die nicht zuletzt auf Merz’ Zeit im EU-Parlament zurückgeht. Dort habe er gelernt, sagt einer, der ihn lange kennt, Leute so zu nehmen, wie sie sind.
Merz war in Brüssel und Straßburg Ende der Achtzigerjahre als junger Abgeordneter und erlebte dort den Umbruch des Kontinents nach dem Ende des Kalten Krieges. Im Parlament gehört der junge Merz damals dem Ausschuss für Wirtschaft, Währung und Industriepolitik an. Er ist der bislang erste Bundeskanzler, der die Außenpolitik in diesen Zeiten des Umbruchs unmittelbar aus europäischer Perspektive kennengelernt hat.
Bei aller Verwunderung über Trumps Vorgehen hat Merz dem US-Präsidenten doch zugutegehalten, dass er zumindest eine Möglichkeit geschaffen hat, Putin zu Gesprächen zu bringen, die ein Ende des russischen Tötens in der Ukraine vielleicht doch möglich machen. Merz dürfte es auch gelegen kommen, dass ihn bei solchen Reisen niemand an die schwelende Richterfrage für das Bundesverfassungsgericht erinnert oder sich nach dem Stand der Rentenreform und eventueller Steuerdebatten erkundigt.
Er finde sich schon selbst sehr gut in seiner Rolle, heißt es aus der Opposition über ihn. Manchmal scheine er selbst noch nicht ganz glauben zu können, dass der Mann, den alle Welt im Oval Office sieht, Friedrich Merz aus dem Sauerland ist.
Reibungslos läuft es offenbar zwischen dem Kanzler und seinem außenpolitischen Berater Günter Sauter. Der Diplomat hatte zuvor bei der Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) als Politischer Direktor und Berater gearbeitet. Nun organisierte er beispielsweise in ganz Europa gemeinsam mit seinen Kollegen die Gipfel-Vorbereitungen effizient und, so heißt es, in bestem Einvernehmen.
Das gilt auch für Merz’ Verhältnis zu zwei führenden CDU-Außenpolitikern: dem heutigen Außenminister Johann Wadephul, der bereits in der Unionsfraktion außenpolitische Belange vertrat, und auch zu Jürgen Hardt, einem erfahrenen Außenpolitiker, ehemaligem Transatlantik-Koordinator und derzeitigem außenpolitischen Sprecher der Fraktion.
Man kann es sich mit dem Kanzler aber auch verscherzen
Dass man es sich mit Merz auch verscherzen kann, zeigt allerdings das Schicksal des CDU-Außenpolitikers Roderich Kiesewetter. Merz hatte mehrfach versucht, ihn von außenpolitischen Solo-Auftritten abzubringen, ehe er dann mit ihm brach. Auch zu Norbert Röttgen, ebenfalls einer der versierten CDU-Leuten in Sachen Außenpolitik, galt das Verhältnis als belastet. Röttgen hielt Merz lange für einen ungeeigneten Parteivorsitzenden und Kanzlerkandidaten. Nun ist er selbst stellvertretender Fraktionsvorsitzender mit Zuständigkeit für Auswärtiges und Verteidigung.
Merz handele, sagt ein anderer Begleiter, der seit vielen Jahren mit ihm arbeitet, auch in der Außenpolitik aus einem Dreiklang heraus: Erstens prägten ihn seine politischen Erlebnisse und Kenntnisse. Diese seien nicht zuletzt verbunden mit dem Durchsetzungswillen und Standvermögen eines Mannes, der gegen die Funktionäre seiner Partei dreimal um den CDU-Vorsitz gekämpft hat. Zweitens seine beruflichen Erfahrungen in der Wirtschaft und nicht zuletzt sein Lebensalter, Merz wird bald 70, prägten sein Handeln.
Die SPD – und vor allem der ehemalige Kanzler Olaf Scholz – hatten im Wahlkampf viel darangesetzt, Merz als Neuling ohne exekutive Erfahrung darzustellen. Doch nun zeigt sich für Parteifreunde und auch Oppositionspolitiker, dass Merz in ihrer Wahrnehmung zumindest auf außenpolitischem Parkett nach ein paar Wochen schon sicherer und enger mit seinen EU-Kollegen verbunden wirkt als Scholz jemals.