
Polen spielt gegen Schweden erst seine zweite Partie bei einer EM überhaupt. Geht es nach Trainerin Nina Patalon, ist das Turnier in der Schweiz nur ein Zwischenschritt in der Entwicklung des Frauenfußballs in ihrem Land.
Nina Patalon kann offenbar nichts aus der Ruhe bringen. Ganz entspannt stellt sie sich am Montag den Fragen der Journalistinnen und Journalisten aus ihrem Heimatland. Den sehr vielen Fragen, die verdeutlichen, dass der Frauenfußball in Polen von immer mehr Interesse ist. Zwei Millionen Zuschauer haben das Spiel gegen Deutschland (0:2) im Fernsehen verfolgt. Eine Rekordquote für eine weibliche Mannschaftssportart.
Und das hängt unmittelbar mit der Person Nina Patalon zusammen. Seitdem sie im März 2021 als Nationaltrainerin übernommen hat, geht es steil bergauf mit ihrem Sport. Und mit ihr selbst auch. Erste weibliche Cheftrainerin der polnischen A-Nationalmannschaft, erstmalige Qualifikation für eine Fußball-Europameisterschaft durch die Play-off-Siege gegen Österreich, Trainerin des Jahres in Polen.
Für uns ist diese Europameisterschaft nicht das Ende. Sie ist erst der Anfang für Polen.
Nach der Niederlage gegen die DFB-Frauen geht es für Patalon und ihr Team am Dienstag gegen Schweden (21 Uhr, im Ersten und im Livestream) schon „um alles oder nichts“. Im Falle einer Niederlage droht den Polinnen, einen Sieg der DFB-Auswahl gegen Dänemark zuvor (18 Uhr) vorausgesetzt, bereits das vorzeitige Aus nach der Gruppenphase.
Polen stellt das jüngste Team der EM
Patalon aber sagt: „Egal, wie es ausgeht, für uns ist diese Europameisterschaft nicht das Ende. Sie ist erst der Anfang für Polen.“ Eine Aussage als Spiegel ihrer Philosophie. Die 39-Jährige hat es geschafft, Zusammenhalt und gegenseitige Unterstützung im Team zu etablieren. Eine Mischung aus Emotionen und Empathie.
Nur so kann es den Polinnen, die das jüngste Team bei diesem Turnier stellen, gelingen, sich gegen die erfahrenen Nationen zu behaupten. Sie integriert darüber hinaus Mentaltraining, Atemtechniken und Stressbewältigung in ihre Arbeit – nicht nur bei den Profis, sondern besonders auch auf Jugend- und Schulebene.
Patalons Ziel: Frauenfußball sichtbar machen
Patalon selbst blieb als als Spielerin vorenthalten, sich auf höchstem Niveau zu präsentieren. Zum einen hatte der Frauenfußball in Polen zur damaligen Zeit (2002 bis 2009) keinen besonders hohen Stellenwert. Die Trainingsbedingungen bezeichnet sie als „rudimentär“, immerhin schaffte sie es 2009 mit der polnischen U19-Nationalmannschaft bis zur Universiade nach Belgrad.
Wir sind überall die Außenseiter, aber wir haben überhaupt kein Problem damit
Doch nach nicht weniger als sieben Knie-Operationen war Schluss mit der Fußball-Karriere. Und Patalon entschied sich, eine Trainerlaufbahn einzuschlagen. Ihr Ziel: Den Frauenfußball sichtbar zu machen in ihrem Heimatland. „Wir sind überall die Außenseiter, aber wir haben überhaupt kein Problem damit“, sagt sie, wenn es um ihren Auftrag geht, Siege einzufahren. Schließlich haben die Menschen in Polen mittlerweile nachhaltig Spaß am Frauenfußball gefunden, was zugleich bedeutet, dass auch die Erwartungen gestiegen sind.
Arbeit auf allen Ebenen
Obwohl auch ihr Tag nur 24 Stunden hat, wirkt es bei Patalon gelegentlich so, also wären es mehr. Sie hat sich dieser Aufgabe mit allem, was ihr zur Verfügung steht, verschrieben. Patalon übernimmt deshalb auch noch die gesamte Koordination des Frauenfußball-Trainings im polnischen Verband und engagiert sich insbesondere für strukturelle Programme wie FIFA‑geförderte Festivals, Workshops und Talentförderung in 16 Provinzen, um den Frauenfußball in Polen nachhaltig zu verankern. Zudem arbeitet sie als TV-Expertin sowie als technische Beobachterin bei der UEFA.
Gegen die routinierten Schwedinnen ist ihr Team erneut der „Underdog“. Was der Trainerin aber gefällt: „Wir wollen attraktiven Fußball zeigen, selbstbewusst auftreten und unseren Status unaufhaltsam vorantreiben.“ Das Ergebnis scheint einfach nur nebensächlich zu sein. Der Weltranglisten-Dritte Deutschland hat mit der polnischen Herangehensweise schon ganz schön zu kämpfen gehabt.
Patalons Fünf-Jahres-Plan
Nach der Partie, erzählen die polnischen Journalistinnen und Journalisten, sei trotz der Niederlage etwas ganz Besonderes entstanden. So viel Einsatz, so großer Zusammenhalt, Nina Patalon und ihr Team hätten so hohe Einsatzbereitschaft gezeigt vor den vielen polnischen Fans in St. Gallen, das wirkte fast wie ein Versprechen für den weiteren Turnierverlauf.
„Der Frauenfußball ist wichtig. In fünf Jahren soll er Mannschaftssportart Nummer eins sein“, verkündet Patalon vor dem zweiten Gruppenspiel. Die Schwedinnen, Platz sechs des FIFA-Rankings, sollten gewarnt sein.