Frauen-EM: Italien weint nach Aus der Fußballerinnen gegen England – Sport

Die Tränen in Genf, sie waren nicht zu unterdrücken. Auf der Ehrenrunde, bei den Familien, später bei den Interviews vor dem Stadion, wo die Italienerinnen vor einigen Tagen nach dem Viertelfinale noch freudig gesungen hatten, sie kamen immer wieder. Man konnte selbst Cristiana Girelli weinen sehen, dreimal Torschützin bei dieser Europameisterschaft, mit 35 Jahren die tapfere, erfahrene Anführerin eines Teams, das es weit gebracht hatte und nun dieses Aus verarbeiten musste: Ein Gegentor in der sechsten Minute der Nachspielzeit und ein umstrittener Elfmeter in der 119. Minute in der Verlängerung, mit dem die Schiedsrichterin Ivana Martincic dieses Spiel entschieden hatte und nicht die Spielerinnen selbst.

Es brauchte Trost. Und er kam. Von den Familien, den Tifosi im Stadion und aus der Heimat: „Ein kleines Wunder“ habe diese Squadra dennoch vollbracht, schrieb am Morgen danach die Gazzetta dello Sport. Da allerdings hatten sich auch die Italienerinnen schon wieder aufgerichtet.

Unter den vier Halbfinalisten dieser Europameisterschaft konnte man vier große Fußballnationen finden, aber nur drei große Frauenfußballnationen. Italiens Calcio Femminile ist nicht auf demselben Niveau wie der englische, spanische, selbst der deutsche, das ist allen Beteiligten bewusst. Weshalb Italien auch gleich zwei Sonderrollen eingenommen hatte: die des sportlichen Underdogs. Und die des Teams, das noch ausgiebig für sich werben muss.

Sportlich gesehen konnte man auch am Dienstagabend trotz des 1:2 sehen, was für einen gewaltigen Schritt dieses Team in den vergangenen Jahren gemacht hat. England hatte mehr Ballbesitz, mehr Torabschlüsse, aber mit Disziplin, Einsatzbereitschaft und dem Talent, immer wieder Nadelstiche zu setzen, hielt Italien dagegen. Die Führung durch Barbara Bonansea in der ersten Halbzeit war kein Zufallsprodukt, sondern das Ende eines offensiven Spielzugs, den die hochdekorierten Engländerinnen nicht verhindern konnten.

Italiens Elf hatte keine Champions-League-Siegerinnen in der Startelf, keine Kandidatinnen für die Wahl zur Weltfußballerin und dennoch funktionierten sie als mannschaftliches Gebilde – was man sehen konnte, war moderner Frauenfußball, in dem nicht mehr nur Einzelspielerinnen dominieren, sondern Einheiten. Ein Hoffnungsschimmer war das für alle Nationen außerhalb der „Big Six“ im europäischen Vergleich, die inzwischen entrückt sind: England, Frankreich, Deutschland, die Niederlande, Spanien und Schweden haben nun schon beim zweiten Turnier nacheinander kein einziges Spiel verloren und überhaupt nur ein Mal Unentschieden gespielt gegen eine kleine Nation.

Trainer Soncin hat den Italienerinnen gezeigt, wie sie mithalten können mit den weltweit besten Teams

Andrea Soncin ist diese positive Entwicklung zuzuschreiben – dem Trainer, der aus der Männer-Jugendabteilung des FC Venezia vor zwei Jahren zu den Frauen gewechselt war und inzwischen erklärt, nie wieder in den Männerfußball zurückkehren zu wollen. Soncin hat erkannt, wie offen die Frauen sind für die Entwicklung, die er anstrebt. Und er hat ihnen gezeigt, wie Italien mithalten kann mit den weltweit besten Teams.

Aus einem fußballerischen Verständnis entstand das italienische Selbstbewusstsein, das sie ins Halbfinale führte: „Mit dem Mister arbeiten wir sehr viel an der Taktik“, sagte nach dem Spiel Manuela Giugliano, die Regisseurin auf der Sechs: „Es gibt Trainingseinheiten, in denen wir praktisch zweieinhalb Stunden lang nur Taktik trainieren, um klar zu denken und entschlossen zu sein.“

Er hat sein Team auf ein neues Niveau gehoben: Italiens Trainer Andrea Soncin.
Er hat sein Team auf ein neues Niveau gehoben: Italiens Trainer Andrea Soncin. (Foto: Alessandra Tarantino/AP)

Das italienische Publikum hat das inzwischen auch erkannt. Viel Aufmerksamkeit bekamen die Ragazze in den vergangenen Tagen, sie waren in Fernsehshows zugeschaltet und erzählten dort freudig von ihren Hoffnungen auf bewusstere Wahrnehmung. Ohne Trotz und Vorwürfe an das eigene Publikum und die Medien, die sie bisweilen ignoriert hatten. „Ich glaube, wir hatten schon in den letzten Jahren mehr verdient“, sagte Girelli nach dem Halbfinale, sie sah Inspiration in der Gastgebernation, die ebenfalls in den vergangenen Wochen erst die Frauen-Nati kennenlernte: „Wir haben es hier in der Schweiz gesehen: Wenn man etwas will, kann man es schaffen, und zwar im großen Stil. Ich hoffe, dass alle die Augen öffnen.“ Vielleicht auch mit einer Heim-EM, der italienische Verband bewirbt sich um die Austragung in vier Jahren, die Kampagne dürfte wenige Monate vor der Entscheidung der Uefa noch einmal intensiver werden, nach diesem Turniererfolg.

Gleichzeitig schwang ein wenig Skepsis mit, immerhin haben die Italienerinnen das alles schon einmal erlebt. 2019, bei der Weltmeisterschaft in Frankreich, kamen sie bis ins Viertelfinale, wurden bejubelt und hofften danach auf einen Boom – der allerdings ausblieb. „Damals haben wir den Moment ein bisschen verpasst“, sagte Sofia Cantore, mit 25 Jahren eine der Jüngeren im Team. Nach der EM wird sie in die USA wechseln, zu Washington Spirit in die beste Frauenliga der Welt, auch darin liegen wichtige Entwicklungsschritte für die Azzurre, die fast ausschließlich in der heimischen Liga spielen.

Girelli war es, die schließlich noch einmal auf diesen Elfmeter zurückkam, der über Sieg und Niederlage entschied. Über den Trainer Soncin nur vielsagend unkte, er wisse nicht, „ob sie ihn auf der anderen Seite gegeben hätten“. Der Elfmeter, der Italien die Chance auf das Finale kostete und damit auch die Chance auf einen Pokal, der wohl eine Art dauerhafte Garantie für mehr Aufmerksamkeit gewesen wäre, er hatte für Girelli eine größere Bedeutung. Auch sie kannte die Geschichte von 2019.

„Ich wünsche mir, dass dieser Elfmeter in der 120. Minute die Hoffnung nicht zunichtemacht“, sagte Girelli: „Dass er das Feuer nicht auslöscht, das wir entzündet haben“.